FDP-Papier zum Ampel-Aus Scholz sieht sich bei Lindner-Entlassung bestätigt
Das detaillierte Drehbuch der FDP für den Ausstieg aus der Ampel lässt die Wogen der Empörung hochschlagen. Kritik kommt von SPD und Grünen, aus der CDU und auch aus den eigenen Reihen. Der Druck auf FDP-Chef Lindner wächst.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sieht sich nach Bekanntwerden des FDP-Papiers für einen Ausstieg aus der Ampelkoalition in seinem Schritt bestätigt, den damaligen Finanzminister Christian Lindner zu entlassen. "Und er findet, dass er in diesem Zusammenhang richtig entschieden hat", sagte der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner.
Er machte auf eine entsprechende Frage hin keine Angaben dazu, ob Scholz vor der Bekanntgabe der Entlassung über den nun öffentlich gewordenen detaillierten Strategieplan der FDP informiert gewesen war. Er könne nicht sagen, zu welchem Zeitpunkt der Kanzler welchen Wissensstand gehabt habe, sagte Büchner.
In dem Papier zum Koalitionsende ist zum Beispiel davon die Rede, dass der "ideale Zeitpunkt" für einen "avisierten Ausstieg" aus der Ampel zur Mitte der 45. Kalenderwoche zwischen dem 4. und 10. November liegen könnte. Am 6. November kam es tatsächlich zum Bruch des schon lange kriselnden Bündnisses - indem Scholz Lindner bei einer Sitzung des Koalitionsausschusses entließ.
Djir-Sarais Rücktritt als "Bauernopfer"?
Wegen des Bekanntwerden des aggressiv formulierten Papiers, in dem von einem "D-Day" und einer "offenen Feldschlacht" die Rede war, waren am Vormittag FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai und FDP-Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann zurückgetreten.
SPD-Generalsekretär Matthias Miersch nannte den Rücktritt Djir-Sarais ein "durchschaubares Bauernopfer". Der Schritt sei erfolgt, um die Verantwortung von Lindner abzulenken. Scheibchenweise neue Details bekanntzugeben, reiche aber nicht aus. "Die entscheidende Frage bleibt: Welche Rolle hat Christian Lindner selbst in diesen Plänen gespielt?". Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil sagte der "Rheinischen Post": "Die FDP hat das ganze Land hinters Licht geführt und die Öffentlichkeit belogen."
Grüne: FDP "schadet dem Vertrauen in die Politik"
Die Grünen reagierten mit Kopfschütteln auf die Entwicklungen bei den Liberalen. "Was von der FDP nach und nach ans Licht kommt, hat nichts mit verantwortungsvoller Regierungsarbeit zu tun", sagte die Politische Geschäftsführerin der Partei, Pegah Edalatian. "Wer Politik wie in House of Cards betreibt, schadet dem Vertrauen in die Politik insgesamt massiv."
Sie respektiere die Entscheidung Djir-Sarais, betonte Edalatian. "Doch es ist schwer vorstellbar, dass Christian Lindner mit dem Papier nichts zu tun hatte." In der Ampel-Regierung hätten FDP-Vertreter ohne die Zustimmung ihres Parteivorsitzenden nicht einmal über Kleinigkeiten von Gesetzen verhandeln dürfen. Wählerinnen und Wähler würden nun entscheiden, ob sie dies für glaubwürdig hielten.
Skepsis in der CDU gegenüber Koalition mit FDP
Der Chef des CDU-Arbeitnehmerflügels, Dennis Radtke, hält die FDP nach den Vorgängen nicht mehr für koalitionsfähig. "Die aktuellen Chaostage bei der FDP bestätigen mich in meiner Haltung: Diese Partei kann aktuell für niemand ein zuverlässiger Partner sein", sagte der CDA-Vorsitzende.
"Wer die Öffentlichkeit belügt, um am Ende eigenen Mitarbeitern die Schuld in die Schuhe zu schieben, sollte so schnell keine Verantwortung in Deutschland mehr übernehmen." Am besten sollte sich die FDP außerhalb des Parlaments neu aufstellen, riet der CDU-Politiker. Verlässliche bürgerliche Politik bekomme man auch so mit einer möglichst starken CDU. "Wir haben an diese liberale Laienschauspieltruppe keine Stimmen zu verschenken."
Linke kritisiert "Soap-Opera der Ampelparteien"
Die Linken-Vorsitzende Ines Schwerdtner versteht nach eigenen Worten die Debatte nicht. "Warum regen sich jetzt alle so über das D-Day-Papier der FDP auf?", fragte Schwerdtner in Berlin. "Es war doch klar, was Lindner da für ein verantwortungsloses Spiel treibt."
In Deutschland drohe die Mietpreisbremse auszulaufen, die Preise stiegen und Tausende Industriejobs seien in Gefahr, meinte Schwerdtner. "Wir diskutieren über die politische Verkommenheit einer Opportunisten-Partei, und niemand aus der Reste-Ampel will Verantwortung tragen für die jahrelange Blockade in zentralen Politikbereichen." Sie sprach von einer "Soap-Opera der Ampelparteien".
Kritik auch aus der FDP
Unmittelbar vor der Erklärung Djir-Sarais hatte die Vorsitzende der Jungen Liberalen, Franziska Brandmann, dessen Rücktritt gefordert. Im Portal X erklärte sie, das am Vortag öffentlich gewordene Papier sei "einer liberalen Partei unwürdig".
FDP-Präsidiumsmitglied Marie-Agnes Strack-Zimmermann erwartet von ihrer Partei nun eine ernsthafte Aufarbeitung von Fehlern. "Der Rücktritt des Generalsekretärs und des Bundesgeschäftsführers ist angesichts der Kommunikation der letzten Tage unausweichlich gewesen. Wer führt, muss auch Verantwortung übernehmen", sagte Strack-Zimmermann.
Lindner: "Nicht zur Kenntnis genommen und nicht gebilligt"
FDP-Chef Lindner dankte dem zurückgetretenen Generalsekretär Djir-Sarai "für die freundschaftliche Zusammenarbeit". Er würdigte dessen "bisherige Verdienste um die FDP". Wie Djir-Sarai bestritt Lindner, von dem umstrittenen Planungspapier gewusst zu haben.
Das Papier sei "lediglich ein Entwurf" gewesen, erklärte der FDP-Chef. Lindner verwies auf Angaben Reymanns, denen zufolge dieses "auf Mitarbeiterebene erstellt und nur dort diskutiert" worden sei. "Ich habe es nicht zur Kenntnis genommen und hätte es auch nicht gebilligt", erklärte Lindner. Er räumte allerdings ein, dass es auch nach seiner Auffassung "angesichts des Streits in der Koalition und des Stillstands im Land notwendig war, das mögliche Ausscheiden der FDP aus der Ampel zu durchdenken".
Sein tatsächlicher Vorschlag an Bundeskanzler Scholz sei aber anders gewesen, nämlich als Koalition gemeinsam Neuwahlen herbeizuführen, wenn in der Sache keine Einigung mehr möglich ist.