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Auch neue Investitionen gefordert Rufe nach Reform der Schuldenbremse werden lauter
Der voraussichtliche neue Kanzler Merz hält nichts von einer schnellen Reform der Schuldenbremse. Doch die Rufe werden lauter. Ähnlich wie Forderungen nach einem neuen Sondervermögen für die Bundeswehr.
Neue Regierung, alte Probleme: Auch eine Koalition unter einem möglichen Kanzler Friedrich Merz steht vor der Frage, wie sie nötige Milliardeninvestitionen etwa in die Bundeswehr finanzieren will. Im Mittelpunkt der Debatte steht eine Reform der Schuldenbremse. Die Stimmen, die genau das fordern, mehren sich.
Günther für Beschluss des nächsten Bundestags
Eine davon ist die von Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther. Eine Reform müsse im nächsten Bundestag "relativ schnell" beschlossen werden, sagte der CDU-Politiker im Berlin Playbook Podcast des Nachrichtenmagazins Politico. "Wir brauchen die Schuldenbremse, aber bei den Regeln haben wir Handlungsbedarf auch für unser Landeshaushalte."
Eine Reform noch vor dem Zusammentreten des neu gewählten Bundestages lehnte Günther ab. Man müsse nun in Kauf nehmen, dass für eine entsprechende Grundgesetzänderung auch Stimmen aus der Linkspartei benötigt würden.
Im alten Bundestag wäre die für die Grundgesetzänderung nötige Zweidrittelmehrheit mit Union, SPD und Grünen noch möglich, im neuen Bundestag würde es für die drei Fraktionen nicht mehr reichen.
Schnelles Sondervermögen
Günther plädierte nun für ein schnelles neues Sondervermögen zur Finanzierung des Verteidigungshaushaltes. Das Geld auch für den Klimaschutz oder die Infrastruktur einzusetzen, lehnte er ab. "Wir sollten uns bei den Sondervermögen jetzt darauf konzentrieren, was unmittelbar notwendig ist", betonte der CDU-Politiker. "Und das Wichtigste ist die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes."
Merz gegen schnelle Reform der Schuldenbremse
Günthers Parteikollege und voraussichtlicher nächster Bundeskanzler, CDU-Chef Merz, hatte am Dienstag eine Reform der Schuldenbremse - anders als zunächst angedeutet - "in der naheliegenden Zukunft" ausgeschlossen. "Das ist, wenn es überhaupt stattfindet, eine ziemlich umfangreiche, schwierige Arbeit", sagte er. Auf die Frage, ob er alternativ ein neues Sondervermögen befürworten würde, bestätigte Merz, dass es Gespräche gebe. Er sehe dies aber auch "im Augenblick als schwierig" an.
Linke strikt gegen Sondervermögen für Bundeswehr
Die Schuldenbremse ganz abschaffen will der Co-Vorsitzende der Linken, Jan van Aken. Er verwies im Deutschlandfunk auf dringend notwendige Investitionen, etwa für den ökologischen Umbau der Industrie oder die Sanierung maroder Schulen. "Die Schuldenbremse muss weg. Wenn ein Antrag kommt, sie aus dem Grundgesetz zu streichen, sind wir dabei." Zugleich stellte van Aken klar, dass seine Partei ein Sondervermögen für die Bundeswehr ablehnt.
Klingbeil kritisiert öffentliche Diskussion
Bei der SPD, dem möglichen Koalitionspartner der Union, kommt die zuletzt teils öffentlich geführte Diskussion über die Schuldenfrage innerhalb der Christdemokraten nicht gut an. Parteichef und neuer Fraktionsvorsitzender Lars Klingbeil übte Kritik: "Wenn wir ernsthafte Gespräche führen (...), sollten wir Vorschläge nicht in der Öffentlichkeit diskutieren." Er forderte Vertraulichkeit der Gespräche. "Vorschläge, von denen ich öffentlich aus der Zeitung erfahre, die sind automatisch vom Tisch."
"Wir haben ein Interesse daran, dass wir die Bundeswehr stärken, wir haben ein Interesse daran, dass es viel mehr Investitionen in unserem Land gibt, als das heute der Fall ist", stellte Klingbeil zwar klar. "Aber was nicht funktionieren wird, ist dass wir öffentlich Vorschläge aus Zeitungen, aus Internetportalen erfahren."
SPD-Co-Parteichefin Saskia Esken äußerte sich skeptisch gegenüber einem schnellen Beschluss zu einem neuen Sondervermögen für Verteidigung noch mit dem alten Bundestag. "Ich bin skeptisch, weil ich denke, dass das den Wählern und Wählerinnen schwer zu vermitteln ist, dass jetzt neue und alte Mehrheiten noch so strategisch ausgenutzt werden sollen", sagte Esken den Sendern RTL/ntv. "Sondern wir sollten zusehen, dass wir Mehrheiten für einen guten Weg in unserem Land insgesamt finden."
Sorge vor der Sperrminorität
Hintergrund der neuen Debatte ist, dass sowohl für eine Reform der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse als auch für die Einrichtung eines neuen Sondervermögens eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat nötig ist. Im neuen Bundestag verfügen AfD und Linke aber über eine Sperrminorität.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, Bernd Baumann, wies sowohl ein Sondervermögen als auch die Reform der Schuldenbremse klar zurück. "Der alte Bundestag ist abgewählt. Die Mehrheiten jetzt noch schnell irgendwie zu nutzen, das ist eine Trickserei", sagte er der Nachrichtenagentur Reuters. Ohnehin sei keine Reform nötig. "Wir haben die höchsten Steuereinnahmen, die wir jemals hatten. Mit dem Geld müssen wir auch auskommen."
Grüne stellen Bedingungen
Die Grünen knüpfen zusätzliche Gelder für Verteidigung an eine Schuldenbremsenreform. Der scheidende Chefhaushälter Sven-Christian Kindler sagte der der Nachrichtenagentur dpa, seine Partei sei offen für Gespräche. Es gehe aber um eine grundlegende Reform der Schuldenbremse, damit neben Investitionen in äußere und innere Sicherheit auch mehr Investitionen für Klimaschutz, die marode Infrastruktur, eine wettbewerbsfähige Wirtschaft und Bildung möglich werden.
Eine solche Reform wäre bis zur Konstituierung des neuen Bundestags gesetzestechnisch machbar. Bisher sei die Union noch nicht auf die Grünen zugegangen. Kindler kritisierte den Kurs von CDU-Chef Merz. Er habe alle Änderungen vor der Wahl aus parteitaktischen Gründen abgeblockt. "Nun will er allein bei der Bundeswehr notdürftig die Lücken stopfen." Das werde den Herausforderungen für das Land nicht gerecht, so der Grünen-Politiker, der dem neuen Bundestag nicht mehr angehören wird.
Verbände für weitergehende Investitionen
Eine Reform der Schuldenbremse und über die Verteidigung hinaus gehende Investitionen fordern Gewerkschaften und Verbände. In einer gemeinsamen Erklärung machen sich dafür der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), die Arbeiterwohlfahrt und der Bund für Umwelt und Naturschutz stark. "Eine Sonderregelung allein für Rüstungsausgaben oder ein zusätzliches Sondervermögen für die Bundeswehr löst die zentralen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen nicht", kritisieren sie. Es müssten vielmehr Investitionen in eine soziale, ökologische und resiliente Wirtschaft und Gesellschaft ermöglicht werden.
Ähnlich äußerte sich auch der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, André Berghegger. Die Schuldenregel im Grundgesetz müsse so verändert werden, "dass neben einem Sondervermögen für Sicherheit und Verteidigung auch ein Infrastrukturfonds auf den Weg gebracht wird", sagte der Neuen Osnabrücker Zeitung. Aus dem Fonds müssten in den kommenden Jahren Investitionen vor allem in den Städten und Gemeinden finanziert werden.
Die beiden Bereiche - Verteidigung und Infrastruktur - sind auch aus Sicht des Direktors des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, bei zusätzlichen Investitionen zentral. "Wir haben in den beiden Fällen [...] nicht einfach die Aufgabe ein bisschen mehr zu machen, sondern wir sind eigentlich vor der Aufgabe, dass wir 30 Jahre Unterfinanzierung kompensieren müssen. Das schafft man halt nicht in einem normalen Haushalt", sagte er im rbb. Es gebe an beiden Stellen Handlungsbedarf "jenseits der Schuldenbremse".