Esken zur Debatte über K-Frage "Wir haben kein wirklich gutes Bild abgegeben"
Die Querelen um die Kanzlerkandidatur haben der SPD-Parteispitze auch aus der eigenen Jugendorganisation harsche Kritik eingebracht. Beim Bundeskongress der Jusos übte sich Parteichefin Esken in Selbstkritik.
Nach der zähen Debatte über die Kanzlerkandidatur hat die SPD-Vorsitzende Saskia Esken erstmals Selbstkritik geäußert. "Nein, wir haben kein wirklich gutes Bild abgegeben bei der Nominierung unseres Kanzlerkandidaten", sagte Esken auf dem Juso-Bundeskongress in Halle in Sachsen-Anhalt und erntete dafür zunächst lang anhaltenden Applaus, den sie nach mehr als 30 Sekunden zu beenden versuchte mit dem Satz: "Ich bin sicher, ihr wollt den Rest auch noch hören." Schließlich ließen die Jusos ihre Parteivorsitzende weiterreden.
"Wir alle sind in tiefer Sorge um die Sozialdemokratie", versuchte Esken dem Unmut der Jusos am Management der SPD-Führung und der Nominierung von Scholz zu begegnen. Die SPD dürfe nicht dem antisozialdemokratischen Trend anderer Länder Europas zum Opfer fallen.
Esken betont "Einigkeit" der Partei
Esken machte aber auch deutlich, dass ihrer Ansicht nach der Partei kein Schaden entstanden sei. "Wir gehen aus dieser Debatte nicht beschädigt, sondern auch gestärkt hervor, weil wir eben große Einigkeit jetzt erzielt haben", sagte sie vor Journalisten. "So eine geschlossene Partei, die sich jetzt auch hinter dem Spitzenpersonal versammelt und gemeinsam losläuft, ist die Stärke der SPD. So werden wir die Wahl gewinnen."
Der Co-Vorsitzende Lars Klingbeil hatte das Vorgehen der Parteispitze in der K-Frage am Freitag noch verteidigt. Natürlich müsse diskutiert werden, sagte er auf einer Konferenz von SPD-Kommunalpolitikern in Berlin. "Ich bin ein Parteivorsitzender, der nicht sagt Basta (...), sondern ich will auch reinhorchen in die Partei, ich will auch ernst nehmen, was diskutiert wird."
Ebenfalls am Freitag warf der Vorsitzende des Nachwuchsverbands, Philipp Türmer, zum Auftakt des Juso-Kongresses unter dem Applaus der rund 300 Delegierten Klingbeil und Esken Führungsversagen vor: "So geht's nicht weiter. Was war das eigentlich für eine Shit Show in den letzten Wochen?", sagte er an ihre Adresse.
"Jetzt braucht es eine klare Strategie"
Nach Eskens Rede erneuerte Türmer heute seine Kritik. "Ich muss sagen, mir hat an dieser Stelle wirklich der Plan und auch tatsächlich die Führung in dieser Frage der Parteispitze gefehlt." Die Debatte sei "destruktiv" gewesen, sie sei jetzt aber beendet. "Jetzt braucht es eine klare Strategie, wie wir in diesen Wahlkampf gehen."
Er forderte einen Fokus auf die Verteidigung des Sozialstaats zu richten, auf die Sicherung von Industriearbeitsplätzen und die Modernisierung der Gesellschaft. Konkret verlangte Türmer unter anderem die Abschaffung der Schuldenbremse und die Besteuerung von Vermögen.
Vom designierten SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz forderte Türmer "eine Veränderung in der Tonalität und der Programmatik". Sonst werde aus "Olaf, dem Kanzler" nicht erfolgreich "Olaf, der Kanzlerkandidat". Der Juso-Chef sagte: "Hier sitzen 500 Jusos, die wollen, dass es auch in Zukunft noch eine starke Sozialdemokratie gibt." Dafür müsse die Parteiführung alles tun.
Nach tagelanger Unklarheit, ob der in Umfragen beliebtere Verteidigungsminister Boris Pistorius oder erneut Scholz Kandidat werden solle, warf Vorstandsmitglied Mareike Engel den Beteiligten einen "Pressekrieg zwischen Männern mit Ego-Problemen" vor. Im Wahlkampf träfen die Jusos auf Hass auf Scholz, Hass auf die Ampel und Hass auf die SPD. Der SPD-Führung warf Engel eine Plan- und Ambitionslosigkeit in dieser Lage vor.
Am Montag soll Scholz nominiert werden
Die Parteiführung hatte nach dem Koalitionsbruch und der Neuwahl-Entscheidung darauf verzichtet, Regierungschef Olaf Scholz sofort als Kanzlerkandidaten zu nominieren. Die Debatte wurde erst am Donnerstag durch Pistorius' Verzicht auf die Kandidatur beendet. Am Montag will der Vorstand nun Scholz als Kanzlerkandidaten nominieren.
Auch der stellvertretende SPD-Vorsitzende Hubertus Heil zeigte sich auf dem Juso-Kongress verärgert über die Querelen um die K-Frage. "Das war nicht gut in den letzten Tagen, damit muss jetzt Schluss sein", sagte der Arbeitsminister in Halle. "Unsere sozialdemokratische Partei, das ist kein Selbstzweck, und das ist keine Selbsthilfegruppe." Heil benannte anders als Türmer aber keine Verantwortlichen.
"Verdammt nochmal zusammenreißen"
Er rief die Jusos auf, den Blick nach vorne zu richten und sich auf die Wahl in drei Monaten am 23. Februar zu konzentrieren. "Kämpft mit, es geht nicht nur um uns, es geht um unser Land." Die SPD müsse sich jetzt "verdammt nochmal zusammenreißen und gemeinsam stehen, damit wir gewinnen".
Die Jungsozialisten sind die Jugendorganisation der SPD mit rund 70.000 Mitgliedern zwischen 14 und 35 Jahren. Sie stellen fast ein Viertel der SPD-Abgeordneten im Bundestag. Kanzler Scholz wird wieder nicht teilnehmen. Er war in seinen fast drei Jahren als Regierungschef noch nie auf einen Juso-Kongress.
Pistorius: "Ich liebe meine gegenwärtige Aufgabe"
Auch Boris Pistorius äußerte sich heute erneut: Bei einer Veranstaltung im Sauerland betonte er, dass er sich als Kandidat nie ins Spiel gebracht und die Debatte nicht gewollt habe. "Ich liebe meine gegenwärtige Aufgabe", sagte er. Er sei mit seiner Arbeit für die Bundeswehr noch nicht fertig und strebe eine zweite Amtszeit als Verteidigungsminister an. "Es gibt noch viel zu tun. Also sorgen Sie dafür, dass ich Verteidigungsminister bleibe."
Pistorius stellte sich bei der Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung vor 200 Zuhörern erneut klar hinter Scholz und nannte ihn den "richtigen Kanzlerkandidaten". Er stehe für "Vernunft, Ruhe und Besonnenheit und für einen klaren Kompass".
Scholz habe in schwersten Zeiten dafür gesorgt, dass es den Menschen weiter gut gehe, dass die von Russland angegriffene Ukraine mit Deutschland ihren wichtigsten Unterstützer in Europa habe. Es seien auch Fehler passiert, die aber nicht Scholz allein zu verantworten habe, sondern "noch ein paar mehr." Pistorius mahnte: "Wir sollten mit unserem Spitzenpersonal nicht so umgehen, wie es bisweilen mitunter passiert."
Die Ausgangslage für Scholz könnte ungünstiger kaum sein. Wenn er wiedergewählt werden will, muss er eine extreme Aufholjagd hinlegen. In den Umfragen liegt die SPD mit Werten zwischen 14 und 16 Prozent noch 16 bis 19 Punkte hinter der Union.