Neuer Präsident für Ecuador Die Wahl nach den tödlichen Schüssen
Noch vor wenigen Jahren galt Ecuador als stabiles Land in Südamerika. Heute wird es von Korruption, Gewalt und Kriminalität erschüttert. Überschattet von der Ermordung eines Kandidaten wird nun ein neuer Präsident gewählt.
In kugelsicherer Weste und sichtlich bewegt gibt Christian Zurita seine erste Pressekonferenz als Präsidentschaftskandidat. Er ersetzt seinen engen Freund und Kollegen Fernando Villavicencio, der am 9. August auf offener Straße erschossen wurde, anderthalb Wochen vor der Abstimmung.
"Ich konnte nicht zulassen, dass sein politisches Projekt vor dem Nationalen Wahlrat verloren geht. Fernando Villavicencios Projekt ist intakt, dafür hat er gekämpft", sagt Zurita.
Ein weiterer Präsidentschaftskandidat, Otto Sonnenholzner, berichtete auf X, dass er in Guayaquil Zeuge einer Schießerei geworden sei. Die Schüsse seien in der Nähe des Cafés abgefeuert worden, in dem er mit seine Familie frühstückte. Laut Sonnenholzner handelte es sich um eine Verfolgungsjagd der Polizei. Fünf Verdächtige seien dabei festgenommen worden.
Der 59-jährige Villavicencio, Politiker und Journalist, hatte immer wieder die überbordende Korruption im Land angeprangert und vor dem Vormarsch der Organisierten Kriminalität gewarnt. Nun wurde er selbst zum prominentesten Opfer einer Gewaltwelle, die sich seit Jahren zuspitzt. Doch die Wahlen finden statt - trotz allem, so Präsident Guillermo Lasso: "Denen, die den Staat einschüchtern wollen, sage ich: Wir werden nicht nachgeben. Wir werden Macht und demokratische Institutionen nicht an die organisierte Kriminalität übergeben."
Lasso verhängte einen dreimonatigen Ausnahmezustand und bat die US-Bundesbehörde FBI um Hilfe. Politischen Rückhalt und Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung hat er allerdings nicht mehr. Umso weniger, als Anfang des Jahres auch gegen ihn Korruptionsvorwürfe laut wurden. Einer Amtsenthebung entging er im Mai nur, indem er das Parlament auflöste und Neuwahlen ausrief.
"Eine der größten Krisen"
Ecuador stecke in seiner tiefsten Krise, sagt Politikwissenschaftler Franklin Ramirez von der sozialwissenschaftlichen FLACSO-Fakultät: "Was gerade auf dem Spiel steht, ist die Legitimität unseres politischen Systems als Ganzes. Und das in einer der größten Krisen, die unser Land erlebt: Mit wirtschaftlicher Rezession, zunehmender Armut und Ungleichheit und einer brutalen Welle der Gewalt, wie wir sie noch nie erlebt haben. Die Bürger sorgen sich, ob der Staat, bzw. die Regierung überhaupt in der Lage ist, bei diesen Wahlen für Sicherheit zu sorgen."
Ecuador galt noch vor wenigen Jahren als recht stabile Oase in Südamerika. Heute sind die Mordraten höher als in Mexiko oder Mittelamerika. Denn das strategisch zwischen den beiden größten Kokainproduzenten Kolumbien und Peru liegende Land ist zum neuen Drehkreuz des Drogenschmuggels geworden, vor allem nach Europa. Im Namen mexikanischer Kartelle liefern sich kolumbianische und ecuadorianische Banden blutige Stellvertreterkriege um die lukrativen Routen. Der Staat scheint machtlos -die Sicherheit ist das dominierende Thema im Wahlkampf.
Ein Wahlplakat in der Stadt Canuto für die Linkspolitikerin Luisa González.
"Sie haben unser Land zerstört, denn der Drogenhandel und die Kriminalität haben diese Regierung und staatliche Behörden unterwandert. Wir werden sie säubern", sagt die Linkspolitikerin Luisa González. Die Anwältin lag in den Umfragen zunächst vorn. Ihrem Ansehen schadet nun die Nähe zu Ex-Präsident Rafael Correa, der seit Ende seiner Amtszeit in Belgien lebt und in Abwesenheit zu acht Jahren Korruption verurteilt wurde. Der ermordete Villavicencio galt als sein härtester Kritiker.
Am meisten an Popularität aber gewann seit dessen Ermordung der rechte Geschäftsmann Jan Topic - tätowierte Oberarme, Spitzname "Rambo". Politische Erfahrung hat er keine, ihn qualifiziere seine Zeit als Fremdenlegionär in Kriegsgebieten. Nun will er die Banden auslöschen und mehr Gefängnisse bauen. Sein Vorbild dabei: El Salvadors autoritärer Staatschef Nayib Bukele. Der geht mit martialischen Methoden und medienwirksamen Bildern gegen die "Maras" vor, die brutalen Gangs Mittelamerika - und räumt dabei zunehmend auch Rechtsstaat und Menschenrechte aus dem Weg.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung hieß es, Rafael Correa sei seiner Verurteilung wegen Korruptionsvorwürfen durch eine Flucht nach Belgien entkommen. Richtig ist, dass Correa bereits vorher nach Belgien gezogen war und in Abwesenheit verurteilt wurde.
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