Freihandelszone EU-Mercosur Auf der Zielgeraden des Verhandlungsmarathons?
Seit 25 Jahren wird um die Freihandelszone zwischen der EU und Südamerika gerungen. Nun soll das Mercosur-Abkommen stehen - doch die Widerstände bleiben groß. Die EU-Kommissionschefin scheint dennoch entschlossen.
Hier, im Hinterland von São Paulo, grast er also, der Schreck der europäischen Landwirte. Braune und weiße Rinder stapfen über die grünen Weiden der Fazenda von Ellen Marina nahe dem Städtchen Lorena.
"Das sind unsere berühmten grünen Rinder", sagt die Landwirtin stolz. "Grün", weil sie zu 90 Prozent Gras fressen. Die Aufzucht unterliege strengen Kontrollen. "So entsteht das Fleisch, das in der ganzen Welt gelobt wird."
Und deswegen hofft die Rinderzüchterin auf das Handelsabkommen der EU mit der lateinamerikanischen Wirtschaftsorganisation Mercosur: "Damit man in Europa in Zukunft nicht auf unser gutes Fleisch verzichten muss", sagt sie. Schon jetzt ist Brasilien größter Rindfleischexporteur der Welt.
Streit um Konkurrenz aus Südamerika
Natürlich weiß auch Ellen Marina, dass Rindfleisch aus Südamerika in Europa, allen voran in Frankreich, derzeit für Streit sorgt. Französische Landwirte fürchten, "Billigfleisch" aus Südamerika könne ihre Erzeugnisse vom Markt verdrängen und gehen gegen das Abkommen auf die Barrikaden.
Vor wenigen Tagen kündigte die Supermarktkette Carrefour an, das Fleisch aus Solidarität mit den heimischen Bauern zu boykottieren. Dann bezeichnete ein französischer Abgeordneter brasilianisches Fleisch sogar als "Müll".
Das verärgerte auch Brasiliens Präsidenten Luis Inácio Lula da Silva. "Ich möchte, dass unsere Agrarindustrie weiterwächst und weiter französische Abgeordnete erbost, die brasilianische Produkte schlecht machen", polterte er.
Das Mercosur-Abkommen werde umgesetzt, nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, sondern weil er, Lula, dafür nun seit Jahren kämpfe. In diesem "Kampf" kann er auch auf Deutschland, Spanien und die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zählen.
"Kein Veto aus Südamerika"
Verhandelt wird schon seit 25 Jahren. Sehr viel deutet darauf hin, dass der Freihandels-Deal nun wirklich kommt - und zwar trotz der Blockade aus EU-Ländern mit starker Agrarlobby wie Frankreich.
Von der Leyen ist selbst zum derzeitigen Mercosur-Gipfel in Uruguays Hauptstadt Montevideo gereist. Erwartet wird, dass der Verhandlungsmarathon über das Abkommen dort offiziell abgeschlossen und unterschriftsreif gemacht wird. Aus Südamerika jedenfalls sei kein Veto mehr zu erwarten, teilte Uruguays Außenminister Omar Paganini am Donnerstag bereits mit.
Es wäre ein erster, aber historischer Schritt - nachdem eine Grundsatzeinigung eigentlich schon seit 2019 steht, seitdem aber auf Eis liegt beziehungsweise immer wieder nachverhandelt wurde. Sollte nun also eine finale Version stehen, dann müsste der Text danach immer noch übersetzt und den EU-Ländern vorgelegt werden, die dem Abkommen mit qualifizierter Mehrheit zustimmen müssten. Und da knirscht es weiterhin sehr.
Größte Freihandelszone der Welt
Das Abkommen, das die größte Freihandelszone der Welt mit mehr als 700 Millionen Menschen schaffen würde, umfasst 27 EU-Staaten sowie die vier Mercosur-Gründungsmitglieder Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay.
Es habe nicht nur wirtschaftlich großes Potenzial, meint der Politikwissenschaftler Paulo Velasco von der staatlichen Universität Rio de Janeiro. Mit der Aussicht, dass sich unter dem zukünftigen US-Präsidenten Donald Trump der Handelskonflikt mit China verschärfe, sei die EU für Südamerika ein zentraler Partner, und das eben nicht nur als Abnehmer von Rohstoffen.
Großes Potenzial sieht Velsaco bei der Zusammenarbeit in Branchen wie Maschinenbau, grüne Energie, Chemie oder Technologie. "Da steckt Brasilien teils noch in den Kinderschuhen. Da guckt man nicht nach China oder Russland, sondern Richtung EU. Wir teilen gemeinsame Werte, anders als beispielsweise mit den meisten BRICS-Staaten und das erleichtert auch die Geschäfte."
Kritik auch aus Südamerika
Widerstand gibt es allerdings auch in Südamerika. Zum einen fürchten Gewerkschaften und linke Parteien um lokale Industrien, die im Wettbewerb mit europäischen Importprodukten nicht mithalten könnten. Auch da geht es um Arbeitsplätze.
Zudem warnen viele Organisationen der Zivilgesellschaft, der Deal würde ein Wirtschaftsmodell stärken, dass Ungleichheit und Umweltzerstörung mit sich bringe. Maureen Santos von FASE, der brasilianischen Vereinigung für Sozial- und Bildungshilfe, spricht von einem "neokolonialen Abkommen". Gewinner seien die Agrarindustrie Südamerikas und die Autohersteller und Pharmakonzerne Europas - "cars for cows", Autos gegen Rinder.
Statt Gewinne bringe es Rückschläge: mehr giftige Pestizide, mehr Umweltzerstörung und Entwaldung durch mehr Viehzucht, mehr Soja, mehr Bergbau. Die EU-Kommission verweist hingegen unter anderem darauf, dass das Abkommen Unternehmen in der EU schätzungsweise mehrere Milliarden Euro jährlich an Zöllen ersparen und die Exporte ankurbeln könnte.
Nicht nur Interesse an Europa
Die Versuche Europas, immer mehr Auflagen etwa für den Umweltschutz in das Abkommen aufzunehmen, sorgten allerdings schon im vergangenen Dezember für Misstrauen im rohstoffreichen und immer selbstbewusster auftretenden Südamerika.
Auch der Boykott-Aufruf der französischen Supermarktkette Carrefour ging nach hinten los. Schließlich ist der brasilianische Markt für Carrefour sehr viel wichtiger als Carrefour für Brasiliens Fleischexporteure. Der Großteil der Rindfleischexporte geht ohnehin nach China.
Kommt ein Abkommen erneut nicht zustande - wie im vergangenen Dezember, als die EU auf den letzten Metern nochmal nachbessern wollte - dann sorgt das in Südamerika sicher nicht für mehr Vertrauen in die EU als Handelspartner.
Uruguay liebäugelt schon lange mit einem Abkommen mit China. Und Argentinien, das den Mercosur-Vorsitz heute übernimmt, macht Druck, dass in Zukunft nicht mehr im Bündnis, sondern bilateral verhandelt werden kann - und schielt dabei Richtung USA.