Zukunft des Gazastreifens "Sicherheitspräsenz" oder Besatzung?
Israels Ministerpräsident Netanyahu warf mit Äußerungen zur Zukunft des Gazastreifens Fragen auf. Ein Berater hat nun klargestellt, was der Regierungschef gemeint habe: Eine Besetzung des Gebietes sei nicht geplant - militärische Präsenz jedoch schon.
Israel will nach den Worten eines ranghohen Beraters von Premierminister Benjamin Netanyahu den Gazastreifen nach Ende des Krieges gegen die Hamas nicht dauerhaft besetzen. Es müsse aber eine "Sicherheitspräsenz" Israels geben, damit das Militär je nach Bedrohungslage für Einsätze hineingehen könne, stellte Mark Regev im US-Sender CNN eine Äußerung Netanyahus zur künftigen Rolle Israels im Gazastreifen vom Vortag klar.
"Wir müssen zwischen Sicherheitspräsenz und politischer Kontrolle unterscheiden", sagte Regev. "Wenn dies vorbei ist und wir Hamas besiegt haben, ist es entscheidend, dass es dort kein wieder auflebendes terroristisches Element, keine wieder auflebende Hamas gibt." Es sei nicht sinnvoll, die Militäroffensive gegen die Hamas durchzuführen, "und einfach wieder von vorne zu beginnen".
Wirbel um Netanyahu-Interview
Netanyahu hatte am Montag in einem Interview mit dem US-Sender ABC gesagt, Israel wolle "für unbestimmte Zeit" die Verantwortung für Sicherheit im Gazastreifen übernehmen, um weitere Angriffe zu unterbinden. Seine Worte warfen jedoch Fragen auf, was genau Israel plane.
Der israelische Minister für strategische Angelegenheiten, Ron Dermer, erklärte, Netanyahu habe "nicht davon gesprochen, Gaza zu besetzen". Nachdem die islamistische Hamas "nicht mehr an der Macht" und ihre "Infrastruktur zerschlagen" sei, werde Israel aber "für unbestimmte Zeit" eine "allgemeine Verantwortung für die Sicherheit" tragen, sagte er in einem Interview mit dem US-Fernsehsender MSNBC. Wenn eine "palästinensische Kraft" Gaza "zum Wohle seiner Bewohner und ohne Israel zerstören zu wollen" regiere, könne darüber gesprochen werden. Auf eine Rückfrage, wie dies konkret gestaltet werden könne, sagte Dermer, dies sei eine offene Frage. Es werde sich aber "nicht um eine Besatzung handeln".
USA gegen Besetzung
Die USA sprachen sich unterdessen erneut gegen eine langfristige Besetzung des Gazastreifens durch Israel aus. Auch Israel wolle das nicht, sagte der Sprecher des US-Außenministeriums, Vedant Patel. "Wir sind der Meinung, dass die Palästinenser bei diesen Entscheidungen an vorderster Stelle stehen müssen und dass der Gazastreifen palästinensisches Land ist und bleiben wird."
John Kirby, der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats der USA, wies noch einmal deutlich auf die Haltung seiner Regierung hin: "Der Präsident (Joe Biden) denkt nach wie vor, dass eine Wiederbesetzung des Gazastreifens durch Israels Streitkräfte nicht gut ist. Sie ist nicht gut für Israel und auch nicht gut für das israelische Volk." Zugleich betonte Kirby, dass nach einem Ende des Gaza-Kriegs dort nicht dieselbe Regierung herrschen könnte, wie vor dem 7. Oktober. "Es kann nicht Hamas sein", sagte er.
US-Außenminister Antony Blinken bekräftigte diese Haltung: "Gaza kann nicht weiterhin von der Hamas regiert werden. Das lädt einfach dazu ein, den 7. Oktober zu wiederholen", sagte Blinken am Rande des G7-Außenministertreffens in Tokio. Es sei aber auch klar, "dass Israel Gaza nicht besetzen kann". Am Ende des Konflikts könnte möglicherweise eine Übergangszeit erforderlich sein.
Zu den Voraussetzungen für "dauerhaften Frieden und Sicherheit" solle gehören, "dass die Palästinenser nicht gewaltsam aus dem Gazastreifen vertrieben werden, sagte Blinken. "Nicht jetzt, nicht nach dem Krieg." Blinken fügte hinzu: "Keine Wiederbesetzung des Gazastreifens nach Beendigung des Konflikts, kein Versuch, den Gazastreifen zu blockieren oder zu belagern, keine Verkleinerung des Gebiets von Gaza." Zugleich dürfte der Gazastreifen aber auch nicht "als Plattform für Terrorismus oder andere gewalttätige Angriffe" genutzt werden. "Wir müssen auch sicherstellen, dass keine terroristischen Bedrohungen vom Westjordanland ausgehen können."
Israel bringt internationale Verwaltung ins Spiel
Bisher äußerte sich Israel vage über seine langfristigen Pläne für Gaza. Der israelische Außenminister Eli Cohen sagte dem "Wall Street Journal", Israel wolle, dass das Gebiet einer internationalen Koalition untersteht, zu der die USA, die Europäische Union und Länder mit muslimischer Mehrheit gehören oder dass es von lokalen politischen Führern im Gazastreifen verwaltet wird.
Auch Diplomaten in Washington, bei den Vereinten Nationen, im Nahen Osten und darüber hinaus haben begonnen, die Optionen abzuwägen. Zu den Diskussionen gehören die Entsendung einer multinationalen Truppe in den Gazastreifen nach dem Konflikt, eine Übergangsregierung unter palästinensischer Führung, die Hamas-Politiker ausschließen würde, eine Notlösung für Sicherheits- und Regierungsführung für benachbarte arabische Staaten und eine vorübergehende UN-Überwachung des Territoriums.
Auch G7 beraten über Zukunft des Gazastreifens
Die G7-Außenminister diskutierten bei ihrem Treffen in Tokio darüber, wie die Friedensbemühungen im Nahen Osten und "übermorgen" im Gazastreifen wiederbelebt werden können, sobald der Konflikt dort nachlässt. Das Thema sei während eines Arbeitsessens am späten Dienstag zur Sprache gebracht worden, erklärte Gastgeber Japan. Die Erklärung enthielt aber keine Einzelheiten zu den diskutierten Optionen für den Fall, dass die Hamas aus Gaza vertrieben würde.
Ein Schritt hin zu einer friedliebenden Führung in Palästina sei das am meisten gewünschte Ergebnis im Israel-Hamas-Konflikt, sagte der britische Außenminister James Cleverly und bekräftigte damit die Unterstützung Großbritanniens für eine Zwei-Staaten-Lösung. "Kurzfristig ist es unvermeidlich, dass Israel, weil es Truppen in Gaza hat, eine Sicherheitsverantwortung übernehmen muss", sagte Cleverly. "Aber unserer Ansicht nach ist ein Schritt hin zu einer friedliebenden palästinensischen Führung das am meisten gewünschte Ergebnis, sobald dies möglich ist."
Abzug Israels vor 18 Jahren
Israel hatte sich im Jahr 2005 vollständig aus dem Küstenstreifen zurückgezogen. Aus dort abgehaltenen Wahlen ein Jahr später ging die militant-islamistische Hamas als Sieger hervor. Nach bewaffneten Auseinandersetzungen mit der rivalisierenden säkularen Fatah von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas übernahm sie 2007 schließlich die Kontrolle über den Gazastreifen.
Die Hamas wird von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft. Am 7. Oktober hatten Terroristen der Hamas und anderer Gruppen bei Massakern und Angriffen im israelischen Grenzgebiet mehr als 1.400 Menschen getötet und zahlreiche Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Die israelischen Streitkräfte flogen daraufhin Luftangriffe und rückten mit Bodentruppen in den dicht besiedelten Küstenstreifen ein.