Ein Mann sitzt auf den Trümmern eines Hauses in Burkin im Westjordanland.

Flucht aus Dschenin Trümmer, Drohnen und ständige Angst

Stand: 19.02.2025 10:39 Uhr

Es ist einer der größten israelischen Militäreinsätze der vergangenen Jahre im Westjordanland. Tausende Menschen sind aus der Flüchtlingssiedlung Dschenin in umliegende Gemeinden geflüchtet - und wissen nicht, wann sie zurückkönnen.

Kampfjets donnern im Minutentakt über die Dächer von Burkin. Die 8.000-Einwohner-Gemeinde liegt Minuten vom Flüchtlingscamp Dschenin entfernt, wo die israelische Armee mit Bulldozern und Luftangriffen Straßen und Häuser zerstört, um nach eigenen Angaben Terroristen zu bekämpfen.

"Lager für menschliches Leben nicht mehr geeignet"

Tausende Bewohner des Camps hier im Norden des Westjordanlandes sind auf der Flucht, wie Maysoon Nasharti. "Über uns waren Drohnen. Sie gaben uns Befehle, das Flüchtlingslager zu räumen. Du hast fünf Minuten, maximal ein oder zwei Stunden", berichtet sie.

"Das Lager ist für menschliches Leben nicht mehr geeignet, vieles ist zerbombt und verbrannt. Hier, das sind die Trümmer meines Hauses, und Drohnen wie in Gaza." Maysoon zeigt ein Video auf ihrem Handy. Trümmer und Erde türmen sich vor einem zerstörten Haus auf.

Wie es weiter geht, weiß die Mutter von sechs Kindern nicht. Kaum etwas konnte sie mitnehmen, auch nicht ihre Geburtsurkunden. In einer Empfangshalle des Bürgermeisters von Burkin hat die Alleinerziehende Obdach gefunden. "Das ist unser Schutzraum für den Moment, aber Gott weiß, wie lange noch. Ich habe kein Geld, um irgendwo Miete zu zahlen."

Rauch steigt während eines israelischen Luftangriffes über Dschenin auf.

Dschenin gilt als Hochburg des Terrors. Organisationen wie die Hamas liefern sich immer wieder Kämpfe mit Sicherheitskräften der palästinensischen Autonomiebehörde und israelischen Truppen.

Zu wenig Kleidung

Mutter und Kinder fegen den Steinboden, auf dem die Matratzen liegen, auf denen sie schlafen. Daneben liegen wenige Habseligkeiten in Plastiktüten. 23 Menschen quetschen sich in den Saal ohne Heizung mitten im Winter. Es regnet herein.

Maysoons jüngste Tochter ist sieben Monate alt und ständig erkältet. Ihr zehnjähriger Sohn Rajaan hat Albträume. Er möchte davon erzählen. "Als das Militär bei uns einmarschierte, hatte ich Angst, dass sie auf uns schießen. Als wir losgingen, um zu flüchten, sahen wir Blut auf dem Boden. Wir rannten und versteckten uns. Eine Drohne folgte uns und flog über uns hinweg."

Wieder donnert ein Kampfjet über die Dächer. Maysoon nimmt Rajaan in den Arm. Es bedrückt sie, dass er Panikattacken hat. Maysoon kommen die Tränen. "Die Betten sind nicht sauber, aber wir brauchen sie. Wir wollen uns nicht beklagen. Aber wir haben nicht genug Kleidung, ich wasche sie dauernd. Rajaan hat zu große Sachen an."

Gemeinde ist überfordert

So wie Maysoon geht es vielen im Ort. Die Einwohnerzahl von Burkin habe sich wegen der Geflüchteten verdoppelt, klagt Bürgermeister Hasan Subuh. 800 Familien - 6.000 Menschen - seien dazugekommen. Die Kommune sei völlig überfordert.

"Vor 20 Tagen kam das Militär zu uns und tötete zwei junge Männer. Sie zerstörten zwei Häuser", berichtet der alte Mann. "Wir lassen niemanden auf der Straße schlafen. Auch wir haben Angst. Aber wohin sollen wir? Die Israelis bombardieren Häuser und Moscheen, reißen alles ab, damit wir sagen, dass wir hier nicht mehr leben wollen. Niemand kümmert sich um die Palästinenser, nicht die arabischen Staaten, auch nicht Europa."

In den Straßen von Burkin hängen Plakate von Märtyrern. Darunter Bilder des getöteten Hamas-Anführers in Gaza, Jihia Sinwar. "Früher, zu Zeiten meines Großvaters, haben die jungen Leute Steine geworfen, um Widerstand zu leisten. Jetzt hat der Widerstand Waffen. Deshalb wollen die Israelis, dass die junge Generation Palästina vergisst."

Angst vor weiteren Armee-Einsätzen

Subuh zeigt die Zufahrtsstraße zum Flüchtlingscamp, die von Bulldozern aufgerissen wurde. Hier habe die israelische Armee nach Sprengsätzen gesucht, dabei die Wasserleitung des Ortes beschädigt. Links und rechts der Einkaufsstraße klaffen Löcher in Wänden. Hier sei die Armee mit Bulldozern in die Geschäfte gefahren. Vor der örtlichen Apotheke liegt ein Trümmerhaufen.

"Als der Bulldozer kam, sind wir weggerannt", sagt Apothekerin Tharaa Ammar. "Die Glastüren zerbrachen, Splitter fielen auf die Medikamente. Wenn wir jetzt etwas aus dem Regal nehmen, schneiden wir uns. Sie haben alles bis zur Kasse hier zerquetscht. Sie haben keinen Terrorismus gefunden. Das sind dumme Ausreden."

Immer wieder veröffentlicht die israelische Armee Fotos von Waffen, die im Flüchtlingscamp Dschenin sichergestellt worden sein sollen. Israels Verteidigungsminister Israel Katz kündigte an, die Armee werde in Dschenin bleiben. Deshalb hat Bürgermeister Subuh die Reparaturen im Ort aufgeschoben aus Sorge, dass die Armee auch in seine Gemeinde zurückkommt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 19. Februar 2025 um 05:46 Uhr.