Journalisten im Gazastreifen Unter schwersten Bedingungen
Derzeit berichten aus dem Gazastreifen ausschließlich palästinensische Journalisten. Sie leben und arbeiten unter größtem Risiko - und können doch "nur die halbe Geschichte erzählen", wie nicht nur einer von ihnen beklagt.
Der Krieg im Gazastreifen hat schon viele Opfer gefordert - und auch viele Journalisten sind unter den Toten. Das Committee to Protect Journalists (CPJ) zählt seit Kriegsbeginn 85 getötete Journalisten im Gazastreifen, darunter 78 Palästinenser. Die Zahlen palästinensischer Quellen sind noch höher.
Für Sherif Mansour, den Koordinator des CPJ für den Nahen Osten, ist der Gazastreifen das gefährlichste und tödlichste Umfeld für Journalisten in den vergangenen 30 Jahren: Die Zahl der getöteten Journalisten im Nahost-Krieg übersteige alle Konflikte, seit das CPJ 1992 seine Erhebungen begonnen hat.
Vor Ort im Gazastreifen arbeiten zur Zeit ausschließlich palästinensische Journalisten. Sie leben und arbeiten mit einem großen Risiko und unter sehr prekären Bedingungen. Ihre Arbeit ist lebensgefährlich.
Nizar Zadawi zum Beispiel ist Reporter für den englischsprachigen türkischen Fernsehsender TRT World. Zur Zeit lebt er in einem Zelt ganz im Süden des Gazastreifens in Rafah, zusammen mit anderen Journalisten. Er hat in den vergangenen Kriegswochen schon viele Kollegen verloren.
Auf die Frage, ob er sich durch die Terrororganisation Hamas bedroht fühle, reagiert Zadawi zurückhaltend - aber er meint, dass Journalisten in diesem Krieg ins Visier geraten können und konkreten Gefahren ausgesetzt seien. Weil Journalisten sich viel im Gazastreifen bewegten, könnten sie bei Angriffen getötet werden: "Unser Job ist doppelt so gefährlich", sagt er.
Berichterstattung unter vielfach erhöhter Gefahr: Nizar Zadawi
Gezielte Tötungen bislang unbelegt
Dass Journalisten im Gazastreifen gezielt getötet werden, ist bislang nicht belegt. Am 7. Januar aber wurde beispielsweise das Auto von Hamza Al Dahdou und Mustafa Thuraya von einer israelischen Drohne beschossen, beide Journalisten starben. Aus ihrem Fahrzeug heraus soll, nach israelischen Angaben, von einer dritten Person, die verletzt wurde, eine Drohne gesteuert worden sein. Die israelischen Streitkräfte bezeichneten sie als "Bedrohung für Soldaten".
Anderen Angaben zufolge war auch der dritte Mann ein Journalist, demnach ging es um journalistische Filmaufnahmen mit dem Ziel, die Zerstörung durch einen israelischen Luftangriff nordöstlich der Stadt Rafah zu dokumentieren - in einem Gebiet, das eigentlich als Schutzzone für die Zivilbevölkerung ausgewiesen war. Fälle wie diese verdeutlichen, wie riskant die Arbeit von Journalisten im Gazastreifen derzeit ist, der Tod von Journalisten wird offenbar immer wieder als Kollateralschaden in Kauf genommen.
Beklagt die Einschränkung der Pressefreiheit: Anat Saragusti
Berichte über Hamas-Nähe von Reportern
Immer wieder hat es Berichte über die Nähe einiger Journalisten zur Hamas gegeben, in wenigen Fällen ist diese Nähe auch belegt. Unbelegt ist aber weiterhin die Behauptung, die immer noch verbreitet wird, Journalisten seien vorab vom Überfall der Hamas und anderer Terrororganisationen auf Israel informiert gewesen.
Diese Berichte hatten jedoch zu Äußerungen von israelischer Seite geführt, die die Gefahren unterstreichen, denen Journalisten im Gazastreifen ausgesetzt sind: Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hatte gesagt, Journalisten seien "Komplizen bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit" gewesen. Benny Gantz, Mitglied des Kriegskabinetts, erklärte, wenn es Journalisten gegeben habe, "die von dem Massaker wussten, es fotografierten und untätig daneben standen, als Kinder abgeschlachtet wurden, unterscheiden sie sich nicht von Terroristen und sollten als solche behandelt werden".
Danny Danon, Abgeordneter der regierenden Likud-Partei und ehemaliger UN-Botschafter Israels, sagte: "Fotojournalisten, die sich an Aufnahmen der Massaker vom 7. Oktober beteiligt haben, sind legitime Kriegsziele". Nach Angaben von Journalistenorganisationen hatten diese Berichte auch das Ziel, die Berichterstattung von palästinensischen Journalisten aus dem Gazastreifen pauschal zu diskreditieren und zu erschweren.
"Wir erzählen nur die halbe Geschichte"
Anat Saragusti von der israelischen Journalistengewerkschaft sieht derzeit insgesamt große Probleme, was die Berichterstattung aus dem Gazastreifen angeht. Denn auch ausländische Journalisten kämen derzeit in der Regel nur mit der israelischen Armee in den Gazastreifen - und bekämen dort ein verzerrtes Bild zu sehen. In Teilen des Gazastreifens gäbe es die Bedrohung durch die Hamas, aber auch in dem Teil des Gazastreifens, der von der israelischen Armee kontrolliert wird, gebe es keine Pressefreiheit, sagt Saragusti. Denn die Armee entscheide, wo und wie lange sich Journalisten aufhalten können und mit wem sie sprechen. Außerdem unterliege alles Material, das bei diesen Embedded-Einsätzen erstellt wird, der Militärzensur.
So sind internationale Medien, auch aus Deutschland, auf Bilder, Interviews und Einschätzungen palästinensischer Kollegen vor Ort angewiesen. Viele von ihnen arbeiten schon lange und professionell für diese Medien. Doch sie setzen einerseits jeden Tag ihr Leben aufs Spiel - und können andererseits auch kein vollständiges Bild von der Lage im Gazastreifen liefern, sagt Hani Mahmoud, der seit vielen Jahren für Al Jazeera aus Gaza berichtet.
Beschreibt die eingeschränkten Möglichkeiten der Berichterstattung: Hani Mahmoud
"Wir sind nicht in der Lage, über alles zu berichten. Wir können nicht in den Norden von Gaza-Stadt. Da können wir das Ausmaß der Zerstörung nicht dokumentieren, die Zahl der Menschen, die noch unter den Trümmern sind, Getötete, Vermisste oder Eingeschlossene", klagt er. "Wir erzählen gerade nur die halbe Geschichte, wir erzählen, was wir jeden Tag sehen und erleben. Aber der halbe Gazastreifen ist im totalen Blackout und wir sind nicht in der Lage zu sehen, was passiert."
Das Committee to Protect Journalists fordert einen besseren Schutz für Journalisten im Gazastreifen - auch im Sinne einer guten Berichterstattung über das, was dort passiert. Und im Sinne der Pressefreiheit.