
Gazastreifen im Schwebezustand Mit Überleben beschäftigt
Die Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas stocken, Hilfslieferungen sind ausgesetzt. Unter dem Schwebezustand leiden die Menschen im Gazastreifen. Helfer berichten von katastrophalen Zuständen vor Ort.
Die Musharati, die Trommler, die die Menschen während des Ramadan und vor Beginn des Tagesfastens rufen, sind auch in Gaza City inmitten von Ruinen unterwegs. Die alte Tradition hat sich im Krieg in Gaza gehalten, sagt Abd Al Majeed der Nachrichtenagentur AFP und deutet auf die Trümmer der Häuser um ihn herum.
"Wir trommeln, aber die Menschen kommen nicht aus ihren Unterkünften", sagt er. Sie hätten Angst, dass Bomben fallen. "Sehen Sie: Überall in den Trümmern sind Zelte. Die Straßen sind dunkel. Drohnen fliegen wieder über unseren Köpfen und könnten angreifen." Niemand habe Geld, um ihnen etwas für ihre Arbeit zu geben. "Wir wissen nur, wir sind am Leben bei all der Zerstörung."
Seit einer Woche lässt Israel keine Hilfsgüter in den Küstenstreifen. Die Gespräche für eine zweite Phase der Waffenruhe zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas stecken fest. Der Schwebezustand verunsichert die Bevölkerung.
"Die Not ist immer noch unglaublich groß"
Die Preise für Lebensmittel auf den lokalen Märkten in Gaza schnellen derzeit in die Höhe, sagt Martin Keßler von der Diakonie Katastrophenhilfe. So sei etwa Salz 300 Mal teurer als normal, berichtet er dem ARD-Studio Tel Aviv am Telefon.
Der Leiter des Hilfswerks der evangelischen Kirchen Deutschlands ist gerade in Chan Yunis unterwegs. "Wir haben hier ein bestimmtes Budget und dann kriegen wir natürlich viel weniger Essensportionen nachher raus, wenn die Preise exorbitant nach oben gegangen sind", erzählt er. Das sei ein riesiges Problem. "Das fühlen die Menschen sofort. Die Not ist immer noch unglaublich groß. Humanitäre Hilfe ist notwendig und ist möglich."

Eine Frau trägt Lebensmittel nach dem Einkauf auf einem Straßenmarkt in Dschabaliya im nördlichen Gazastreifen. Ein 25-Kilo-Sack Reis koste umgerechnet 300 Euro, berichtet Keßler.
Es geht nur mit Improvisieren
Mit seinen Mitarbeitern kauft Keßler Essen und andere Güter des täglichen Bedarfs auf den Märkten in Gaza ein und verteilt es an Bedürftige. Doch weil die Diakonie Katastrophenhilfe selbst keine Hilfsgüter mitbringt und vor Ort einkauft, müssen die Helfer bei der aktuellen Situation improvisieren, so Keßler.
"Man muss dann schauen, ob es andere Güter gibt, die ich auf dem Markt kaufen kann, die ich dann verteilen kann, die vielleicht gerade etwas billiger sind", sagt er. Das könne man im Prinzip nur lösen, indem man einen kontinuierlichen Fluss von Hilfsgütern in den Gazastreifen hineinbringe.
Ein Kriegsverbrechen?
Auch UN-Nothilfekoordinator Tom Fletcher nannte den Stopp von Hilfslieferungen alarmierend. Zahlreiche Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen, die Europäische Union, arabische Länder aber auch die Bundesregierung warnten vor den Folgen.
Auch völkerrechtlich sei dies sehr bedenklich, warnt Elhanan Miller, Experte für die Beziehungen zwischen Israel und den Palästinenser am Shalom-Hartman-Institut in Jerusalem. "Ich denke, dass das eine kollektive Bestrafung ist und Netanjahu international noch mehr unter Druck geraten wird", sagt er. "Wenn er es mit dem internationalen Strafgerichtshof zu tun hat, könnte das potenziell als Kriegsverbrechen gewertet werden."
Keine Lichter, keine funktionierende Kanalisation
Dass Israel nun damit gedroht hat, in Gaza den Strom abzustellen, habe bei den Bewohnern des Küstenstreifens nur ein müdes Lächeln hervorgerufen, berichtet Keßler von der Diakonie. Straßenbeleuchtung gebe es sowieso nicht. "Ich habe bei der Reinfahrt keine Lichter gesehen." Die Menschen lebten in zerbombten Häusern in den Stockwerken, die noch halbwegs ganz seien. "Und die Wasserversorgung ist furchtbar. Die Kanalisation läuft über die Straße ab", so Keßler. "Da können Sie sich vorstellen, wie das riecht und aussieht."
Deshalb seien viele Menschen in Gaza momentan auch nicht an Weltpolitik interessiert, sondern mit Überleben beschäftigt. Die meisten, die Keßler getroffen hat, hätten sich nur eines gewünscht: Frieden - und dass sie in ihrer Heimat Gaza bleiben dürfen.