"Tag der Störung" Die Wut auf Netanyahu steigt
Auch nach neun Monaten befinden sich noch mehr als 120 Geiseln im Gazastreifen. Israels Premier Netanyahu schlägt im eigenen Land zunehmend Wut entgegen. Immer mehr Menschen schließen sich den Protesten an.
Vor der Wiederaufnahme indirekter Verhandlungen über ein Abkommen im Gaza-Krieg wächst der Druck auf Benjamin Netanyahu: Neun Monate nach Kriegsbeginn schlägt Israels Regierungschef aus der eigenen Bevölkerung zunehmend Ungeduld und auch Wut entgegen.
Mit einem "Tag der Störung" demonstrierten den ganzen Sonntag Tausende Israelis in Tel Aviv und anderen Städten des Landes für einen Deal mit der radikal-islamischen Hamas zur Freilassung der Menschen. Dabei legten sie zeitweise auch den Verkehr lahm.
"Neun Monate lang haben Sie die Geiseln im Stich gelassen. Netanyahu - hören Sie auf, es zu verschleppen. Wir wollen sie zu Hause haben, und es liegt an Ihnen, sie nach Hause zu bringen", rief die Mutter einer der Geiseln bei einer abendlichen Protestaktion in der Tel Aviv.
Forderung nach Neuwahl in Jerusalem
Um auf das Schicksal ihres Sohnes und der anderen rund 120 noch immer in Gaza festgehaltenen Geiseln aufmerksam zu machen, stieg die Demonstrantin in einen schwarzen Käfig, der unter einer Straßenbrücke hing, wie die "Times of Israel" berichtete. "Ich möchte Netanyahu sagen: Die Schlüssel zu diesem Käfig und allen anderen Käfigen liegen in Ihren Händen."
Zum Abschluss des "Tags der Störung" kam es auch in Jerusalem zu Protestkundgebungen. Tausende Demonstranten marschierten örtlichen Medienberichten zufolge zur Residenz von Netanyahu und forderten, dass die Verhandlungen über einen Geisel-Deal und eine Waffenruhe endlich zum Erfolg geführt werden. Auch verlangten sie Neuwahlen.
Proteststart zur Uhrzeit des Hamas-Massakers
Die Proteste im Land hatten am Sonntag um 6.29 Uhr (Ortszeit) begonnen - jener Uhrzeit, zu der am 7. Oktober der Überfall der Hamas begonnen hatte. Protestteilnehmer in Tel Aviv trugen etwa Schilder mit der Aufschrift "Wir sind alle Geiseln". Die Polizei nahm nach eigenen Angaben fünf Demonstranten fest, die eine Straßenkreuzung im Norden der Metropole blockierten.
In Jerusalem setzten sich Protestteilnehmer auf die Schienen der Straßenbahn, die durch das Stadtzentrum fährt. Nahe der Grenze zum Gazastreifen ließen Aktivisten schwarze und gelbe Luftballons steigen - die Farbe Gelb symbolisiert für sie das Schicksal der Geiseln. Die Blockaden störten auch den Berufsverkehr. In Israel beginnt am Sonntag die Arbeitswoche. Bereits am Samstagabend hatten in Israel Zehntausende demonstriert.
Mögliche Fortschritte bei Verhandlungen befeuern Proteste
Befeuert wurden die Proteste von Berichten, wonach es nach langem Stillstand Fortschritte bei den von Katar, Ägypten und den USA vermittelten Verhandlungen geben soll. Ägypten werde schon in diesen Tagen mit allen Seiten intensive Beratungen führen, berichtete der staatsnahe Fernsehsender Al-Kahira unter Berufung auf hohe ägyptische Regierungsbeamte. Eine Delegation hoher US-Beamter traf am Sonntagnachmittag in Kairo ein.
Die seit Monaten andauernden Verhandlungen waren zuletzt ins Stocken geraten. Die Hamas forderte bislang die sofortige Beendigung des Krieges seitens Israels im Gegenzug für eine Geiselfreilassung. Israel will sich hingegen die Option für die Fortsetzung des Krieges offenhalten, um die Hamas als militärische Formation und Regierungsmacht im Gazastreifen zu zerschlagen.
Wie viele Geiseln sind noch am Leben?
Medienberichten zufolge soll die Hamas inzwischen ihre strikten Forderungen etwas gelockert haben. Der Chef des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad, David Barnea, hatte am Freitag wieder mit der Regierung in Katar verhandelt, die in direktem Kontakt mit der Hamas steht.
Am 7. Oktober hatten Terroristen der Hamas sowie anderer palästinensischer Gruppierungen Israel überfallen und 1.200 Menschen getötet. Zudem wurden rund 250 weitere Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Rund 120 Geiseln befinden sich nach israelischen Schätzungen immer noch in der Gewalt ihrer Entführer. Viele von ihnen dürften nicht mehr am Leben sein.