Ahmet und seine Familie.

Flüchtlinge in der Türkei Ein vereintes Syrien spornt sie an

Stand: 08.02.2025 15:34 Uhr

Seit Ende des Assad-Regimes machen sich viele Syrer aus der Türkei auf den Weg in die alte Heimat. Sie planen den Wiederaufbau - und hoffen auf ein friedliches Zusammenleben unter den neuen Machthabern.

Vor 14 Jahren musste die fünfköpfige Akademikerfamilie Ayse ins türkische Gaziantep fliehen - gleich zu Beginn des syrischen Bürgerkrieges. Jahrelang wusste sie nicht, wie es um ihr Haus und ihren Garten aussehen. Bis vergangene Woche. Da bekam sie von Verwandten ein Video, das ihr Dorf bei Aleppo zeigt.

Die Bilder waren ein Schock für sie. Das Haus ist zerstört. Bomben haben Dach und Wände durchschlagen. Das Haus wurde geplündert. Möbel, Bilder, Fotos - alles ist weg. Einen Garten gibt es nicht mehr.

Mutter Fatma kann die Tränen nicht zurückhalten. "Mein Mann und ich haben es mit den eigenen Händen Stein für Stein aufgebaut. Darin steckt die Kindheit meiner Kinder, meine Erinnerungen, mein Leben, meine Familie, meine Gäste und die Blumen, die ich gepflanzt habe - alles, was wir erlebt haben, das Gute und das Schlechte."

Familie Ayse guckt gemeinsam auf ein Smartphone.

Will ihr Haus in einem Dorf nahe Aleppo wiederaufbauen: Familie Ayse.

Vom Assad-Sturz überwältigt

Der plötzliche Sturz des syrischen Diktators Baschar al-Assad durch die syrische Opposition Anfang Dezember kam überraschend, überwältigte sie.

Vater Ali Ayse und seine Frau Fatma wollen mit der Familie zurück. "Wir werden nach Syrien zurückkehren - sobald dort die Sicherheit wiederhergestellt ist. Man kann doch alles wieder aufbauen", sagt der Rechtsanwalt.

Er setzt darauf, dass trotz des islamistischen Hintergrunds der neuen Machthaber in Damaskus ein vereintes Syrien entsteht: "Wir beenden die Trennung nach ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit. Ob jemand Kurde, Schiit, Sunnit, Christ oder Armenier ist, sollte keine Rolle spielen."

Syrer stehen mit Koffern an der Grenze zu Syrien.

Über den Grenzübergang Kilis im Südosten der Türkei geht es für viele Syrer zurück in die alte Heimat.

"Schnupperbesuche" und Zollfreiheit

Die südanatolische Stadt Gaziantep liegt im Südosten der Türkei, nahe der syrischen Grenze. Von den hier lebenden 2,5 Millionen Menschen stammen über 400.000 aus Syrien. Seit Dezember sollen bereits 30.000 von ihnen heimgekehrt sein.

Während in Deutschland Regierung und Opposition darüber streiten, ob Geflüchtete aus Syrien eine einmalige Informationsreise in ihr Land machen dürfen, ohne ihren Schutzstatus in Deutschland zu verlieren, hat die türkische Regierung nach dem Sturz Assads schnell ein pragmatisches Rückkehrmodell geschaffen. Es handelt sich um ein Paket praktischer Hilfen, das den Syrern die Rückkehr erleichtern soll.

So dürfen potenzielle Heimkehrer bis zu dreimal sogenannte Schnupperbesuche in die alte Heimat machen, ohne ihren Aufenthaltsstatus zu verlieren. Steht der Entschluss heimzukehren fest, gibt es bürokratische Erleichterungen wie die zollfreie Mitnahme von in der Türkei erworbenem Hausrat oder gekauften Autos.

Zudem bietet die Türkei Unterstützung für Rückkehrer bei der Beschaffung von Dokumenten und weiteren Fragen im Zusammenhang mit der Migration. Abschiebungen sind nicht vorgesehen.

Freiwillige Rückkehrer - der Türkei dankbar

Am Grenzübergang Kilis, unweit von Gaziantep, herrscht reger Verkehr. Syrische Familien verlassen zu Fuß mit Koffern und Taschen die Türkei Richtung syrische Heimat - vollbepackte Autos und private Kleintransporter überqueren die Grenze.

Unter ihnen sind auch der Schreiner Ahmet Humeyedi, seine fünf Jungen, seine Ehefrau und Brüder. Sie alle geben jetzt ihre Aufenthaltserlaubnis für die Türkei ab, um in das Dorf El Kurha bei Aleppo zurückzureisen. Ein Bruder hatte zuvor die Lage zuhause inspiziert.

"Mein Bruder ist noch dort und hat uns ein Video geschickt. Das Haus ist beschädigt worden. Man wird es reparieren müssen. Aber trotz allem haben wir Glück gehabt", meint Ahmet.

Als Schreiner hatte er nach seiner Flucht in der Türkei sofort Arbeit gefunden. Er konnte sich ein Auto, Werkzeuge und Maschinen kaufen, die er nun mit nach Syrien nimmt. Er glaubt, auch in Syrien schnell eine Arbeit zu finden. Der Türkei ist er dankbar für die vergangenen Jahre.

UNHCR warnt Rückkehrer

Die Rückkehr der Flüchtlinge aus der Türkei werde schrittweise erfolgen, schätzen die Experten des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR. Aber nur maximal eine Million Syrer würden freiwillig in ihre Heimat zurückkehren. Ein Grund ist die katastrophale Lage in dem Land. Laut UNHCR sind noch immer 90 Prozent der syrischen Bevölkerung auf humanitäre Hilfe angewiesen. Es fehle an Strom, Wasser und Kanalisation.

Der Großteil der Infrastruktur des Landes sei im Krieg zerstört worden. Noch immer sei Syrien von Kämpfen und Gewalt betroffen, so das UNHCR. Viele Landesteile sind demnach durch Hinterlassenschaften des Krieges zerstört. Die Wirtschaft liege am Boden.

Wohnraum, kritische Infrastruktur und landwirtschaftliche Flächen sind massiv zerstört. Zudem seien viele Besitzverhältnisse von Land oder Häusern nach den Kriegswirren unklar und müssten juristisch überprüft werden, erklärt das UNHCR.

Das Flüchtlingshilfswerk will deshalb aktuell freiwillige Rückführungsprogramme von Staaten nicht fördern und spricht sich deutlich gegen das Aussetzen von Asylverfahren und die Aufhebung des Schutzstatus für Syrer aus.

Mehr Türkisch als Arabisch

Auch von der Familie Ayse in Gaziantep wollen einige bleiben. Die jüngste Tochter Lana besucht noch die türkische Schule, sie will Modedesign studieren. Sie liebt den westlichen Lebenstil.

Lana kam als Baby in die Türkei. Sie spricht und denkt auf Türkisch - Arabisch ist ihr fremd. Nach Syrien möchte sie nicht: "Hier können wir Wasser beliebig nutzen und das Licht nach Bedarf an- und ausschalten. Wir müssen nicht frieren, können auch jetzt kurzärmelige Sachen tragen. Aber die Menschen in Syrien haben diese Möglichkeiten nicht."

Ihre 22-jährige Schwester Raniye studiert in Gaziantep Medien- und Kommunikationswissenschaften. Ihr Traumberuf: Reporterin. Raniye will nur in ein demokratisches Syrien zurückkehren: "Ich stelle mir ein Land vor, in dem die Rechte der Frauen geschützt und die Rechte der Kinder geachtet werden. Als wir vor 14 Jahren hierher geflüchtet sind, blieben viele von uns noch ohne Bildung. Viele mussten ihre Ausbildung abbrechen und arbeiten."

Raniye will zunächst ihr Studium in der Türkei beenden und erst dann über eine Rückkehr nach Syrien entscheiden.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das Mittagsmagazin am 08. Februar 2025 um 10:52 Uhr.