Der Fuß eines Babys in der Klinik für Geburtshilfe und Gynäkologie des Universitätskrankenhauses von Debrecen, Ungarn.

Mangel an Pflegefamilien Ungarns zurückgelassene Kinder

Stand: 23.01.2025 12:51 Uhr

Jeden Monat werden Hunderte Neugeborene in ungarischen Kliniken zurückgelassen. Sie brauchen schnell eine Pflegefamilie - doch davon gibt es viel zu wenige. Mitunter leben die Babys monatelang im Krankenhaus.

Von Karin Straka, ARD-Studio Wien

Im ersten Moment fällt es schwer hier den Überblick zu behalten. Kinder und Hunde toben im Haus von Ilona Jenei herum. Sie ist seit vier Jahren Pflegemutter, alleinerziehend und lebt am Rand der ungarischen Hauptstadt Budapest. Jenei betreut im Moment neben ihren beiden Adoptivtöchtern noch drei Pflegekinder. "Ich habe diese Kinder zu mir geholt, weil sie eine Familie brauchen. Und ich kann ihnen diese Familie bieten, solange sie nicht nach Hause oder in eine neue Familie können."

Zu viele bedürftige Kinder, zu wenige Pflegefamilien

Doch inzwischen fehlen in Ungarn viele Pflegeeltern. In ungarischen Krankenhäusern warten auch Babys auf einen derartigen Pflegeplatz. Die Säuglinge werden nach der Geburt von ihren Müttern dort zurückgelassen. Die Frauen befinden sich oft in einer Lebenssituation, in der sie sich nicht um ihre Babys kümmern können. Ihre Zahl ist laut Léna Szilvási von SOS-Kinderdorf Ungarn zuletzt stark gestiegen - Medien berichten von Hunderten im Monat.

Es gibt zwar rund 5.800 Pflegeeltern wie Jenei, die rund 17.000 Kinder betreuen. Doch das sind zu wenige, erklärt Szilvási: "Tatsache ist, dass die Zahl der Kinder im Kinderschutzsystem stark gestiegen ist. Die Zahl der Pflegeeltern hat aber nicht entsprechend zugenommen."

Ilona Jenei

Pflegemutter Jenei: In Ungarn gibt es viel zu wenig Pflegeeltern.

Kinder zeigen Auffälligkeiten

Das führt dazu, dass einige der zurückgelassenen Säuglinge monatelang, manche bis zu einem Jahr, in Krankenhäusern betreut werden, obwohl sie nicht krank sind. Auch eines der Babys, das Jenei als Pflegemutter übernommen hat, hat seine ersten drei Lebensmonate im Krankenhaus verbracht. Nicht ohne Folgen, wie sie sagt: "Es hat dann wirklich keine Reaktion mehr gezeigt. Egal ob es hungrig war oder die Windel voll hatte. Es lag nur da wie eine Puppe."

Szilvási vom SOS-Kinderdorf sagt, das Krankenhauspersonal habe oft einfach keine Zeit, sich intensiv um die Säuglinge zu kümmern. "Die Krankenschwestern sind oft sehr wütend, weil sie die aktuelle Situation als Vernachlässigung der Babys empfinden. Sie können die Säuglinge füttern und versorgen, haben aber oft keine Zeit sich darüber hinaus mit ihnen zu beschäftigen. Sie sind also sehr verzweifelt."

Léna Szilvási

Szilvási von SOS-Kinderdorf Ungarn: Die Zahl der betreuten Kindern ist gestiegen.

Armut als Grund

Der Grund, warum immer mehr Babys in den Krankenhäusern zurückgelassen werden, ist die sozioökonomische Situation im Land. 99 Prozent der Kinder, die in Kinderschutzeinrichtungen aufgenommen werden müssen, kommen aus Familien, die in extremer Armut leben, sagt Szilvási. Sie kritisiert, dass die staatlichen Mittel aus der Familienförderung nicht bei diesen ankommen. "Ich denke, dass die aktuelle Regierung Familien der Mittelschicht bevorzugt und die 10 bis 20 Prozent der Gesellschaft abgeschrieben hat, die in prekären Verhältnissen leben und nicht mithalten können."

Die ungarische Regierung hat im vergangenen Sommer mit einem neuen Gesetz reagiert. Demnach können die zurückgelassenen Babys jetzt nach sechs Wochen zur Adoption freigegeben werden, wenn sie in dieser Zeit nicht von ihren Eltern oder nahen Verwandten besucht worden sind. Szilvási sieht darin aber keine Lösung: "Nur 20 Prozent der im Krankenhaus zurückgelassenen Babys werden überhaupt nicht besucht. In 80 Prozent der Fälle möchten die Eltern in Kontakt bleiben und geben die Kinder nicht auf."

Innenministerium verweigert Antworten

Die Fidesz-Regierung in Ungarn hebt oft hervor, sich besonders um Familien zu kümmern. Doch scheint sie in manchen Bereichen zu versagen. Das zuständige Innenministerium hat Fragen der ARD dazu nicht beantwortet.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 23. Januar 2025 um 05:24 Uhr.