Krieg gegen die Ukraine Was über die Gräuel in Butscha bekannt ist
Es sind schreckliche Bilder Hunderter getöteter Zivilisten, die aus dem ukrainischen Butscha um die Welt gehen. Was ist über das Massaker bekannt? Was sagen Russland und die Ukraine dazu? Ein Überblick.
Was ist passiert, was zeigen die Bilder?
Nach dem Rückzug russischer Truppen aus dem Kiewer Vorort Butscha wurden dort Hunderte Leichen entdeckt. Bislang sollen laut ukrainischen Medienberichten mehr als 300 leblose Körper geborgen worden sein.
Augenzeugen berichten über die gezielte Tötung von Zivilisten durch russische Soldaten. Journalisten, die vor Ort waren, berichten das Gleiche und legten Foto- und Videoaufnahmen vor.
Journalisten der Nachrichtenagentur AP in Butscha sahen die Leichen von mindestens neun Menschen in Zivilkleidung, die dem Anschein nach aus kurzer Distanz getötet wurden. Mindestens zwei hatten die Hände hinter dem Rücken zusammengebunden. Die AP-Journalisten sahen zudem zwei in Plastik eingewickelte und mit Klebeband zusammengeschnürte Leichen, die in einem Graben lagen. Ein Reuters-Reporter berichtet von einer Leiche eines Mannes am Straßenrand mit auf dem Rücken gefesselten Händen und einer Schusswunde am Kopf. Die britische BBC berichtet ähnliches in einem Film aus Butscha.
Berichte gibt es auch von mehreren Anwohnern. "Leute liefen auf der Straße und sie wurden einfach abgeknallt", erzählt einer. "Die haben einfach geschossen, ohne Fragen zu stellen." Auf einer Straße der Kleinstadt mit einst 27.000 Einwohnern sind auf einer Videoaufnahme alle paar Meter Leichen zu sehen.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch veröffentlichte einen Bericht über regelrechte Hinrichtungen, der sich auf die Schilderung von Augenzeugen stützt. Dazu gehört auch die Erschießung eines Mannes am 4. März in Butscha, in den ersten Tagen des Kriegs.
Männer kümmern sich um die Leichen von Menschen, die in Butscha auf einer Straße liegen.
Was sagt die Ukraine?
Die Ukraine macht für das Massaker russische Truppen verantwortlich und wirft ihnen Gräueltaten an der Zivilbevölkerung vor. Die Staatsanwaltschaft hat Untersuchungen angekündigt. Mehr als 50 Mitarbeiter von Staatsanwaltschaft und der Nationalen Polizei nahmen erste Ermittlungen auf.
"Das ist eine Hölle, die dokumentiert werden muss, damit die Unmenschen, die sie geschaffen haben, bestraft werden", schrieb die ukrainische Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa auf Facebook. Die Behörden in der Ukraine erklärten, sie dokumentierten Beweise für die Strafverfolgung russischer Verantwortlicher wegen Kriegsverbrechen. Um sie zu verurteilen, werden Strafverfolger des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) ein Muster von Gräueltaten gegen Zivilisten während der russischen Invasion in die Ukraine nachweisen müssen.
Präsident Wolodymyr Selenskyj spricht von einem Genozid und warnt, dass mit der Rückeroberung anderer Gebiete von russischen Truppen weitere Gräueltaten offenbar werden könnten. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba fordert wegen zunehmender Belege für an Zivilisten verübte Gräueltaten härtere Sanktionen gegen Russland. Der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko spricht mit Blick auf das Geschehen in Butscha und anderen Vororten der Hauptstadt gegenüber der "Bild" von einem Genozid.
Was sagt Russland?
Das Verteidigungsministerium in Moskau weist Vorwürfe der Gräueltaten an Zivilisten im Großraum Kiew zurück und dementiert die Tötung von Zivilisten durch russische Soldaten. "In der Zeit, in der die Siedlung unter der Kontrolle der russischen Streitkräfte stand, hat kein einziger Einwohner unter irgendwelchen Gewalttaten gelitten", heißt es in einer Mitteilung.
Der russische Chefermittler Alexander Bastrykin kündigt offizielle Ermittlungen zu den Vorgängen an, die er als "Provokation" der Ukraine bezeichnet. Die Ermittlungen sollten auf der Grundlage eingeleitet werden, dass die Ukraine "absichtlich falsche Informationen" über die russischen Streitkräfte in Butscha verbreitet habe.
Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, sagte, dass die Aufnahmen der toten Zivilisten "angeordnet" worden seien, um Russland an den Pranger zu stellen und um Friedensverhandlungen zu stören.
Wie reagiert der Westen?
Die Bilder aus Butscha sorgen international für Entsetzen. Viele Staaten verurteilten die Vorgänge, bezeichneten sie als Kriegsverbrechen beziehungsweise forderten Untersuchungen, dass sie als Kriegsverbrechen untersucht werden müssten.
Deutschland kündigte härtere Sanktionen gegen Russland an. "Wir werden im Kreis der Verbündeten in den nächsten Tagen weitere Maßnahmen beschließen", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, selbst wegen vermeintlicher früherer Nähe zu Russland unter Druck, spricht ebenso von "Kriegsverbrechen" wie Außenministerin Annalena Baerbock.
Diskussion über Reaktionen auf Butscha: Ausweisung von Diplomaten, Gas-Embargo und Waffenlieferungen
US-Außenminister Antony Blinken verwies darauf, dass die USA schon länger davon ausgingen, dass es in der Ukraine zu schweren Kriegsverbrechen kommt. Dies sei eine "Realität, die sich jeden Tag abspielt, solange Russlands Brutalität gegen die Ukraine anhält. Deshalb muss es ein Ende haben."
Die EU wirft der russischen Armee Gräueltaten vor. Die Europäische Union unterstütze die Ukraine bei der Dokumentation von Kriegsverbrechen, twitterte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Er sei schockiert. Die Vizepräsidentin des Europaparlaments, Nicola Beer, forderte ein "Sonderkriegsverbrecher-Tribunal ähnlich wie bei den Jugoslawien-Kriegen" gegen die Verantwortlichen.
UN-Generalsekretär António Guterres äußerte sich "zutiefst geschockt" über die Gräueltaten. "Es ist essenziell dass eine unabhängige Untersuchung zu effektiver Rechenschaft führt", sagte der UN-Chef laut Mitteilung.
Auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch wirft der russischen Armee Kriegsverbrechen wie Hinrichtungen und Plünderungen vor.
Was sagt China?
China hat sich bislang nicht zum Massaker in Butscha geäußert. Die Führung in Peking hat den russischen Angriffskrieg in der Ukraine bislang nicht verurteilt. Nach außen bietet sich China als neutraler Vermittler an, die staatlichen Medien folgen aber weitgehend der russischen Linie und kritisieren vor allem die USA und die NATO.
Mit Informationen von ARD-Korrespondent Bernd Musch-Borowska, NDR, z. Zt. an der polnisch-ukrainischen Grenze