Energiekrise in Europa Wer soll das bezahlen?
Russlands Krieg in der Ukraine hat eine Energiekrise in Europa ausgelöst - und hohe Kosten für die Länder. Die EU-Staaten streiten nun darum, wie sie das stemmen: Durch neue Schulden oder Eigenverantwortung?
Sind es 100 Milliarden, 500 Milliarden oder am Ende weit über 1000 Milliarden Euro, die da durch den Krieg in der Ukraine an Kosten für die Europäische Union zusammenkommen? Zuverlässig kann das im Moment niemand abschätzen. Und das will in Brüssel auch ernsthaft niemand versuchen, weil niemand weiß, wie lange der Krieg und das Blutvergießen dort noch dauern werden.
Und doch ist eines schon jetzt klar, sagt Rene Repasi, SPD-Europaparlamentarier und Professor für Europarecht an der Universität Rotterdam: "Die Ausgaben, die auf Europa zukommen, sind enorm - es gibt die steigenden Energiepreise, mit denen man umgehen muss, es gibt die Waffenlieferungen, die auch noch mehr werden und es werden weitere Ausgaben kommen." Dazu zählt Repais unter anderem den Wiederaufbau der Ukraine - "als Teil des Versprechens, dass die Ukraine irgendwann auch einmal Mitglied der Europäischen Union werden kann."
Preispolitik ist Ländersache - noch
Das ist vor allem EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein besonderes Anliegen gewesen, seit Russland die Ukraine vor einem halben Jahr angegriffen hat. Man wolle das Land dabei haben in der Gemeinschaft der demokratischen europäischen Staaten, hat sie seitdem stets gesagt - und vor zwei Monaten hatte sie sogar zu einer ersten Geberkonferenz für einen Wiederaufbau des Landes nach Lugano eingeladen, um ein Zeichen zu setzen, dass Europa sich an diesem Wiederaufbau beteiligen wird. Mit der Hilfe Europas, sagte von der Leyen, könnten die Freunde in der Ukraine ihr Land wieder aufbauen - und zwar nicht nur so, wie es war, sondern so, wie die junge Generation der Menschen dort es gestalten wolle.
Viele hielten solche Worte für einigermaßen verfrüht - und doch zeigt sich daran, dass die EU jetzt in der Pflicht ist: Man hat der Ukraine schließlich den Status als EU-Beitrittskandidat gegeben. Über die Kosten werde man zu gegebener Zeit reden, heißt es.
Über die Kosten für die EU durch die Energieknappheit, die dieser Krieg verursacht hat, redet man schon jetzt. Allerdings bislang vor allem in den EU-Mitgliedsstaaten selbst. Denn die Kostenzuschüsse, die Preisdeckel oder auch die deutsche Gasumlage sind nationale Entscheidungen - noch.
Denn zumindest für den sozialdemokratischen Europaparlamentarier Repasi ist klar: "Die ökonomischen und sozialen Folgen des Krieges werden uns in eine tiefe wirtschaftliche und soziale Depression stürzen - oder viel Geld von der öffentlichen Hand verlangen, um dagegen vorzugehen." Wirtschaftlich starke Staaten wie Deutschland könnten das noch mit ihren eigenen Mitteln schultern, doch andere Staaten seien da längst an ihren Grenzen.
Ein Energiekrise-Rettungsfonds?
Man kann an Italien denken, an Spanien, vielleicht sogar an Frankreich, auch an Länder wie Bulgarien oder Rumänien. Es sind Länder, die schon jetzt so viele Staatsschulden angehäuft haben, dass deren Finanzierung auch angesichts steigender Zinsen vielen wachsende Sorge bereitet. Und Länder, von denen manche auch noch hart mit den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise zu kämpfen haben - mit hoher Jugendarbeitslosigkeit etwa - wie Spanien.
Schon warnen Ökonomen davor, dass die Währungsunion dadurch in eine gefährliche Schieflage geraten könne. Soweit dürfe man es nicht kommen lassen, sagt Damian Böselager, Abgeordneter der europäischen Volt-Partei im EU-Parlament. Er schlägt ein neues, mit gemeinsamen Schulden finanziertes Investitionsprogramm der EU vor - ähnlich dem Corona-Rettungsfonds: Die EU solle ein Programm aufsetzen, um europaweit die Lieferengpässe anzugehen - das heißt gezielt dort investieren, wo man neue Produktionskapazitäten schaffen kann.
Um den Energiepreis "zu entspannen", sollten Investitionen - wo immer möglich - in erneuerbare Energien fließen. Das sei dann nicht nur europäische Solidarität, sondern auch ein Weg, um Europas Zukunft energieunabhängig zu machen. Ähnlich hat es auch bereits EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni aus Italien skizziert.
Streit um Neuverschuldung
Das Ziel stellt auch der Europaparlamentarier Markus Ferber von der CSU nicht in Frage - neue gemeinsame Schulden der EU allerdings schon. Der Corona-Fonds sei eine absolute Ausnahme gewesen, sagt er: "Ein neues Schuldenprogramm müsste auch die Aufstockung des mehrjährigen Finanzrahmens beinhalten, das müssten alle nationalen Parlamente ratifizieren - ich kann mir nicht vorstellen, dass das funktioniert."
Über diese Frage dürfte von nun an sehr intensiv gestritten werden. In Brüssel. Und zwischen den Hauptstädten. Sicher ist dabei nur: Es wird viel Geld nötig werden in nächster Zeit - und irgendwo muss es herkommen.