Polizisten am Unfallort in Vilnius

Nach Absturz in Litauen Flugschreiber von DHL-Frachtmaschine gefunden

Stand: 26.11.2024 13:22 Uhr

Auf der Suche nach der Ursache haben die Ermittler ein entscheidendes Puzzleteil gefunden: die Black Box der Unglücksmaschine. Beweise für einen Sabotageakt Russlands gibt es bislang nicht. Kanzler Scholz mahnt deshalb zur Zurückhaltung.

Die Ermittler in der litauischen Hauptstadt Vilnius können einen Erfolg vermelden: Einen Tag nach dem Absturz eines DHL-Frachtflugzeugs haben sie die Flugschreiber der Unglücksmaschine geborgen. Nach Angaben des litauischen Justizministeriums fanden sie auch den Stimmenrekorder. Beide Geräte seien gegen Mittag aus dem Wrack entfernt worden und sollen nun untersucht werden. Sie könnten Aufschluss über die bislang unbekannte Ursache des Absturzes geben.

Auch Deutschland beteiligt sich an den Untersuchungen zur Unglücksursache und schickte vier Ermittler nach Vilnius. Am frühen Montagmorgen war nahe des Flughafens ein Frachtflugzeug im Auftrag der DHL verunglückt. Vier Menschen befanden sich an Bord der Maschine, die kurz vor der geplanten Landung aus bisher unbekannten Gründen auf den Boden prallte und zerschellte. Bei der Unglücksmaschine handelt es sich um eine Boeing 737-400. Deren Trümmer waren nach Angaben der Behörden mehrere Hundert Meter weit geschlittert und hatten dabei ein Wohnhaus beschädigt.

Überlebende werden befragt

Eines der Besatzungsmitglieder kam bei dem Absturz ums Leben, drei weitere - darunter auch ein Deutscher - werden im Krankenhaus medizinisch behandelt. Der Zustand von mindestens einem Besatzungsmitglied soll Medienberichten zufolge ernst sein. Von den Überlebenden erhoffen sich die Ermittler nun Aufschluss über die Absturzursache.

Mit einem der Verletzten konnte nach Angaben von Polizeichef Arunas Paulauskas im Krankenhaus bereits gesprochen worden. Demnach habe es keine Anzeichen auf ungewöhnliche Aktivitäten an Bord oder im Inneren des Flugzeugs gegeben, sagte er im litauischen Fernsehen.

Ermittlungen laut Polizeichef bald abgeschlossen

Bei einer Pressekonferenz erklärte Paulauskas heute zudem, dass seiner Ansicht nach die Untersuchung der Unglücksstelle in wenigen Tagen beendet werden kann. "Ich denke, dass die Inspektion vor Ort innerhalb der nächsten zwei bis drei Tage abgeschlossen sein kann. Dann folgt eine neue Phase - die Entfernung der Flugzeugtrümmer vom Gelände. Wir suchen derzeit aktiv nach einem Hangar, in dem wir diese Teile unterbringen können."

Auch der Leiter des Nationalen Krisenmanagementzentrums, Vilmantas Vitkauskas, sprach davon, dass die Untersuchung in die nächste Phase eintrete. Es gehe nun darum, die gesammelten Daten und Informationen "in Ruhe und konsequent" zu untersuchen, auszuwerten und zu vergleichen.

Litauens Präsident warnt vor Spekulationen

Von Anfang an stand die Frage im Raum, ob Russland mit dem Absturz etwas zu tun hätte. Litauens Staatspräsident Gitanas Nauseda rief aber dazu auf, von Spekulationen über die Absturzursache abzusehen. Die Vermutung eines möglichen Sabotageakts dürfe nicht überbetont, aber auch nicht heruntergespielt werden. Gleichzeitig könne man eine solche Version nicht ausschließen, sagte Nauseda am Morgen im litauischen Radio.

"Ich wiederhole es noch einmal: Natürlich besteht die Möglichkeit einer Sabotage, wir können sie nicht ausschließen. Daher wird dies mit aller Ernsthaftigkeit ermittelt", sagte der litauische Präsident, der sich selbst bereits ein Bild von der Unglücksstelle gemacht hatte. Nach seinen Angaben liegen bislang nicht ausreichend Informationen vor, um eine Unfallursache zu nennen.

Scholz will keine voreiligen Schlüsse ziehen

Auch aus Deutschland, von wo aus die Maschine gestartet ist, gab es Appelle zur Zurückhaltung. Bundeskanzler Olaf Scholz warnte vor vorschnellen Urteilen über den Absturz. "Wir gucken uns das genau an, wir können das gegenwärtig nicht sagen", sagte der SPD-Politiker am Montagabend im ZDF auf die Frage, ob er die Ursache kenne und ob Russland dahinter stecke. "Es könnte so sein. Es gibt sehr viele schlimme Formen hybrider Kriegsführung, die wir in Deutschland feststellen", fügte Scholz hinzu.

Er erinnerte an die Geheimdienstberichte über Pakete, die mit Zündern in Flugzeuge geschmuggelt worden sind. "Deshalb muss das auch genau untersucht werden. Aber zu unserer Seriosität im Handeln gehört immer auch, dass wir dann jemandem einen Vorwurf machen, dass er es war, wenn wir das nachvollziehbar beweisen können", mahnte der Kanzler.

Baerbock fordert vollständige Aufklärung

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock verlangte eine vollständige Aufklärung des Absturzes und sagte, die Behörden beider Länder ermittelten derzeit "in alle Richtungen". Sie schloss neben einem technischen Unglück auch die Möglichkeit eines absichtlich herbeigeführten Absturzes nicht aus.

In Europa habe es in jüngster Zeit mehrfach "hybride Angriffe" auf einzelne Personen oder Infrastruktur gesehen, sagte die Grünen-Politikerin auch mit Blick auf die vor einer Woche erfolgte Beschädigung zweier Datenkabel in der Ostsee.

DHL lagen nach eigenen Angaben bisher keine Hinweise auf verdächtige Pakete an Bord der Maschine vor, auch das Bundesverteidigungsministerium hat nach Angaben von Minister Boris Pistorius bislang keine Erkenntnisse über einen möglichen Sprengsatz. Der SPD-Politiker forderte erhöhte Sensibilität bei bestimmten Frachtsendungen. 

"Gleichzeitig wissen wir auch, dass es in diesem Feld wohl keine hundertprozentige Sicherheit gibt. Aber die Lücken, die es gibt, die man erkennt, müssen geschlossen werden", sagte der Minister und ergänzte: "Das weiß sowohl die zivile Luftfahrt als auch die militärische." 

Vorfall in Leipziger DHL-Frachtzentrum

Der Flugzeugabsturz wirft vor allem auch deshalb Fragen und Befürchtungen auf, weil deutsche Sicherheitsbehörden Ende August vor "unkonventionellen Brandsätzen" gewarnt hatten, die von Unbekannten über Frachtdienstleister verschickt werden. Die Warnung wurde damals in Sicherheitskreisen mit einem Vorfall im DHL-Logistikzentrum Leipzig in Verbindung gebracht, das als weltweites Drehkreuz des Unternehmens fungiert.

Dort soll im Juli ein aus dem Baltikum verschicktes Paket Feuer gefangen haben, das einen Brandsatz enthielt. Basierend auf den Ermittlungen kam es auch in Litauen zu Festnahmen, die Anfang des Monats von der Generalstaatsanwaltschaft in Vilnius bestätigt worden waren.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 26. November 2024 um 13:04 Uhr sowie Deutschlandfunk um 10:42 Uhr.