Neue Schweizer Regierungsmitglieder Vor allem nett müssen sie sein
Die Schweizer Regierung hat zwei neue Gesichter: den rechtskonservativen Rösti und die Sozialdemokratin Baume-Schneider. Im Vorfeld der Wahl stand die Frage im Raum, mit wie viel Nettigkeit beide punkten können.
Das Regierungssystem der Schweiz ist in Europa einzigartig - und für Außenstehende manchmal entsprechend schwer zu durchschauen: Harte Kämpfe zwischen Opposition und Regierung gibt es kaum, denn das Land wird traditionell von den vier stärksten Parteien gemeinsam regiert. Sie stellen die sieben gleichberechtigten Mitglieder des Bundesrats, wie das Regierungsgremium in Bern genannt wird.
Und wer einmal in dieses Gremium gewählt wurde, bleibt gewöhnlich sehr lange - im Schnitt zehn Jahre, einige behielten ihr Amt sogar fast 30 Jahre lang.
Deshalb ist dieser Mittwoch ein besonderer Tag - mit möglicherweise langfristigen Folgen für die politische Schweiz. Nach den angekündigten Rücktritten von Finanzminister Ueli Maurer und Umweltministerin Simonetta Sommaruga hat das Parlament zwei Neue in den Bundesrat gewählt: mit Albert Rösti einen aus der Schweizerischen Volkspartei SVP und mit Elisabeth Baume-Schneider eine Sozialdemokratin. Eine Wahl, die das Land bereits seit Wochen in Atem hält.
Der Schweizer Bundesrat - eine Art übergroße Koalition.
Rechtskonservativ bis weit links in einer Regierung
Regierungsarbeit in der Schweiz erfordert Kompromissbereitschaft. Die sieben Mitglieder des Bundesrates vertreten traditionell die vier stärksten Parteien und lenken die Geschicke des Landes gemeinsam - in einer Art übergroßen Koalition.
Die reiche von der Schweizerischen Volkspartei (SVP), was in Deutschland etwa der AfD entsprechen würde, bis hin zur Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SP), welche links von der SPD einzuordnen sei, so der Politikwissenschaftler Claude Longchamp: "Die bilden zusammen eine Regierung - und die muss als Ganzes verantworten, was sie entschieden hat. Da muss man schon reinpassen."
"Lieb und umgänglich" im Bundesrat gefragt
Und so verwundert kaum, was gerade eine Studie zum Profil der Schweizer Bundesräte herausfand: Nämlich, dass die größten Chancen auf einen Sitz in der Regierung "die Lieben und Umgänglichen" hätten.
Eine Steilvorlage für den Moderator der Talkshow des Schweizer Fernsehens SRF, als er im Vorfeld der Wahl den Präsidenten der Mitte-Partei nach der charakterlichen Eignung der beiden SVP-Bewerber fragte: "Wer ist lieber und umgänglich - Herr Rösti oder Herr Vogt?"
Der Berner Albert Rösti galt von Beginn an als Favorit für den frei werdenden SVP-Sitz im Bundesrat. Er ist ehemaliger Präsident seiner Partei und tatsächlich dem Ruf nach ein netter Rechtsaußenpolitiker.
Hinter nett steckt wohl auch Taktik
Dahinter stecke aber auch Taktik, sagt Politikwissenschaftler Longchamp: "Wir Schweizer wissen natürlich auch, dass der Rösti ein guter Taktierer ist. Und ich denke auch, Albert Rösti war nicht immer ein Netter. Er verantwortet die Kampagne gegen Masseneinwanderung in der Schweiz - mit ziemlich latent rassistischen Plakaten. Das war sein nicht besonders nettes Werk."
Minuspunkte für "Kindergarten"-Tiraden
Auch nicht besonders nett finden Linke und Grüne, auf deren Stimmen Rösti bei der Wahl angewiesen war, die engen Verbindungen des SVP-Politikers zur Erdöl- und Autolobby. Politikwissenschaftler Longchamp ist allerdings überzeugt, dass gegen Rösti der andere SVP-Kandidat - der Züricher Jura-Professor Hans-Ueli Vogt - kaum Chancen gehabt hat. Denn er hatte sich erst vor einem Jahr zurückgezogen aus der Politik und dabei das Parlament als "Kindergarten" bezeichnet. Das werde Ueli-Vogt wohl übel genommen, "dass er das Parlament so beschimpft hat", so Longchamp.
Wahlsieg für die " volkstümliche Sozialdemokratin aus der Provinz"
Hauptsache nett also? Eine Ausnahme von der Schweizer Charakterregel für Regierungsmitglieder sieht Longchamp im zweiten, mit der Sozialdemokratin Baume-Schneider neu besetzten Bundesratssitz. Im Vorfeld galt jedoch eher die langjährige Basler Finanzdirektorin Eva Herzog als Favoritin für den Posten.
"Das ist eine Frau, die strategisch denkt und die eine ziemlich genaue, gerade Vorstellung hat, was für die Stadt Basel und die Schweiz wichtig ist. Das ist nicht die Nettere", beschreibt Longchamp die Politikerin Herzog.
Die "Nettere" sei die letztliche Wahlsiegerin aus dem Kanton Jura, Baume-Schneider: Eine "Außenseiterin", laut Longchamp, "eine volkstümliche Sozialdemokratin aus der Provinz".
Symphatiepunkte für das "Honigkuchenpferd"
"Eiskönigin gegen Honigkuchenpferd" - so beschrieb die "Neue Zürcher Zeitung" die Wahl zwischen den beiden Sozialdemokratinnen Herzog und Baume-Schneider. Letztere konnte in nur wenigen Wochen sowohl im Parlament als auch in der Öffentlichkeit viele Sympathiepunkte sammeln.
Mit Baume-Schneiders Wahl sind in der Schweizer Regierung nun übrigens mehr Französisch- und Italienischsprachige als Deutschschweizer, die aber mehr als 60 Prozent der Bevölkerung ausmachen.