Stahlindustrie in der Ukraine Weiter produzieren, auch unter Beschuss
Die Industriestadt Krywyj Rih gilt als eisernes Herz der Ukraine. Obwohl nur 60 Kilometer von der Front entfernt, produzieren sie hier weiter Stahl - trotz regelmäßiger Luftangriffe. Wie schaffen sie das?
Sprühende Funken, die an eine Wunderkerze erinnern und Temperaturen von über 1.500 Grad Celsius - so sieht es in einem Hochofen aus, wenn sie Metall zum Schmelzen bringen.
"Wir können hier nicht weggehen und alles liegen lassen"
Das große Stahlwerk befindet sich in der Stadt Krywyj Rih, etwa 60 Kilometer von der Front im Südosten der Ukraine entfernt. Immer wieder heulen die Sirenen. Bedeutet: Jederzeit könnten russische Raketen und Drohnen hier einschlagen.
Die Arbeit geht trotzdem weiter. "Die Produktion läuft in einem engen Zeitplan, wir können hier nicht weggehen und alles liegen lassen - auch nicht während eines Luftalarms", sagt Mykola Bojkow. Der junge Mann ist Schichtleiter an diesem Hochofen. "Wir fahren einige Prozesse runter, wenn es eine besonders große Gefahr gibt. Aber sonst arbeiten wir einfach weiter. Das ist unser Job."
Stolze Arbeiterstadt - trotz des Krieges
Den Anblick von flüssigem Metall kennt Bojkow seit seiner Kindheit. "Meine Eltern haben hier gearbeitet und auch mein Bruder." Irgendwann ist auch er im Stahlwerk gelandet und überprüft heute, dass der strenge Zeitplan bei der Stahlproduktion eingehalten wird.
Sie alle sind stolz auf ihre Arbeit. Stolz auf ihre Stadt. Trotz des Krieges. "Die Menschen machen diesen Ort so besonders, weil es eine große Industriestadt ist", sagt Bojkow und lächelt. "Alle hier sind wie Ameisen in einem Ameisenhaufen. Sie gehen zur Arbeit, sie haben ihr eigenes Leben, Hektik und Trubel. Natürlich gibt es auch Zeit für Erholung. Aber vor allem arbeiten wir." Nicht ohne Grund gilt Krywyj Rih als eisernes Herz der Ukraine.
Eine Region reich an Bodenschätzen
Der Krywbass, das Becken rund um die große Arbeiterstadt, ist reich an Bodenschätzen. Auch mitten im Krieg bauen sie hier Eisenerz ab - und machen weiter. Wer in die Stadt reinfährt, stellt fest: Hier geht es wirklich immer weiter.
Krywyj Rih ist wohl eine der längsten Städte Europas. Und es ist eine Stadt, in der die Folgen des Krieges sehr konkret werden. Nicht nur die fast ständig heulende Sirene im Stahlwerk erinnert die Metallarbeiter an die Gefahren des Krieges. Ihnen gehen auch zunehmend die Leute aus.
Bereits 3.000 Mitarbeiter mobilisiert
"Wir haben derzeit etwa 20.000 Mitarbeiter, von denen etwa 3.000 mobilisiert sind", sagt Serhij Plitschko, stellvertretender Generaldirektor von "ArcelorMittal" Krywyj Rih. "Das sind mehr als 15 Prozent."
"ArcelorMittal" ist einer der größten Stahlkonzerne der Welt. Das Dilemma der Ukraine wird in den Produktionshallen des Unternehmens schnell klar: Der Staat braucht Männer, um sich zu schützen - und die Industrie braucht Männer, um Stahl zu produzieren und wirtschaftlich zu bleiben.
Stahlwerk will mehr Frauen anwerben
"Es dauert sehr lange, diese Arbeiter auszubilden", sagt Plitschko. "Das kann man nicht in ein paar Wochen oder ein paar Monaten tun. Und gleichzeitig geht die Mobilisierung weiter." Rüstung produzieren sie nicht. Aus ihrem Stahl werden aber Befestigungsanlagen und Schutzkeller gebaut. Und ihre Steuergelder sind wichtig für den maroden Staatshaushalt.
Wie die Regierung dieses Problem lösen will? Ungewiss. Deshalb versucht die männerlastige Stahlindustrie jetzt, aktiv Frauen anzuwerben.
"Wir werden das Land verteidigen."
Denn Mitarbeiter wie Mykola Bojkow sind im wehrfähigen Alter. "Wir haben jetzt zu wenig Leute, also bin ich meistens hier in der Gießerei. Man muss den Jungs helfen, weil es einen echten Mangel gibt."
Und was, wenn er selbst eingezogen wird? "Dann ist es halt so", sagt Bojkow. "Dann wird das notwendig sein. Wir werden das Land verteidigen. Im Moment arbeiten wir weiter, solange wir können."
Der Ball rollt auch mitten im Krieg weiter. Denn die Ukrainerinnen und Ukrainer wollen sich ihren Alltag nicht nehmen lassen. Auch, wenn er immer wieder vom Sirenenalarm unterbrochen wird.
Auch im Krieg rollt in der Arbeiterstadt der Ball
Sie arbeiten weiter, weil es in Krywyj Rih immer weiter geht. Und wie es sich für eine Arbeiterstadt gehört, gibt es mit dem FC Kryvbas Krywyj Rih auch einen erfolgreichen Fußballverein.
Derzeit liegt er auf Platz drei in der ukrainschen Premjer Liga. Das wollen sich die Ukrainerinnen und Ukrainer nicht nehmen lassen, trotz Sirenenalarm.