Hintergrund

Aserbaidschan übernimmt Vorsitz des Europarats Eine Frage der Menschenrechte

Stand: 14.05.2014 11:55 Uhr

Der Europarat steht immer etwas im Schatten der EU. Dabei ist sein Kampf gegen Korruption und für Menschenrechte nicht allein in Osteuropa wichtig. Einige Staaten unterminieren dessen Arbeit jedoch. Nun übernimmt Aserbaidschan den Vorsitz.

Von Silvia Stöber, tagesschau.de

Modern und imposant muss er einst gewirkt haben, der "Europapalast" im europäischen Viertel von Straßburg. Heute sieht man ihm an, dass es ein Gebäude der 70er-Jahre ist. Die in goldbraun, silber und rot gehaltene Fassade wirkt wie eine Festungsmauer. Der Sitzungssaal im Zentrum des Palasts ist oval wie eine Muschel geformt und mit hellbraunem Holz vertäfelt.

Im "Europapalast" tagt der Europarat, der zwar nach Europäischer Union klingt und ebenfalls die Europa-Flagge verwendet, aber eine ganz eigenständige Organisation ist. Sie wurde noch unter dem Eindruck des Zweiten Weltkrieges vor 65 Jahren als Verbund europäischer Staaten gegründet und hat heute 47 Mitgliedsländer weit über die EU hinaus. Gerade in Nicht-EU-Staaten, vor allem im Osten des Kontinents, ist die Organisation eine wichtige Stimme Europas. Mitgliedschaft symbolisiert zugleich Zugehörigkeit mit dem Westen.

Will ein Staat aufgenommen werden, muss er auf seinem Territorium die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit anerkennen, die Grundfreiheiten und Menschenrechte gewähren und daran arbeiten, die Ziele des Europarates zu erfüllen. Wichtigste Grundlage ist die Europäische Menschenrechtskonvention, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) überwacht.

In den vergangenen Jahren legte der Europarat den Schwerpunkt wieder verstärkt auf Menschenrechte und Demokratie und setzte dabei auch seinen westeuropäischen Mitgliedern zu: Österreich zum Beispiel verschärfte sein Korruptionsstrafrecht und die Regeln zur Parteienfinanzierung nach scharfer Kritik des Europarats. Das Fürstentum Monaco geriet wegen seiner fragwürdigen Gewaltenteilung in den Fokus, denn der Fürst kann als Staatsoberhaupt gegen alle Gesetzesbeschlüsse des Parlaments sein Veto einlegen.

Mitgliedsländer des Europarats
Der 1949 gegründete Europarat mit Sitz in Straßburg dient als Forum für Debatten über Menschenrechtsfragen und fördert die demokratische Entwicklung in seinen 47 Mitgliedsländern. Der Europarat ist eine internationale Organisation und kein Organ der EU, ihm gehören aber alle 28 EU-Staaten an.
Weitere Mitglieder: Albanien, Andorra, Armenien, Aserbaidschan, Bosnien-Herzegowina, Georgien, Island, Liechtenstein, Mazedonien, Moldawien, Monaco, Montenegro, Norwegen, Russland, San Marino, Schweiz, Serbien, Türkei und die Ukraine.
Beobachterstatus: Israel, Japan, Kanada, Mexiko, USA und der Vatikan.

Bürger können gegen Regierungen klagen

Bei der Aufnahme ehemaliger Ostblockstaaten ab Ende der 90er-Jahre senkte der Europarat die Hürden. Ziel war es, diese Staaten bei ihrer Transformation zu begleiten und mittels verstärkter Beobachtung auf die Entwicklung rechtsstaatlicher Prinzipien hinzuwirken.

Auch wurde es den Bürgern dieser Länder möglich, beim Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg Klagen gegen Regierungen einzureichen. Gerade erst fällte der Menschenrechtsgerichtshof ein Urteil, wonach die Türkei für die Besetzung Nordzyperns 90 Millionen Euro Entschädigung an Angehörige von verschollenen Griechen auf Zypern zahlen muss.

Brisante Berichte zur Menschenrechtslage

Wichtig sind auch Berichte zur Menschenrechtslage vor Ort. Abgeordnete erstellen sie als Berichterstatter im Auftrag der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, in das jeder Mitgliedsstaat Parlamentarier entsendet. Für großen Wirbel sorgte Ende 2010 ein Bericht des Schweizer Abgeordneten Dick Marty, in dem der Führung der kosovarischen Befreiungsarmee um Hashim Thaci eine Beteiligung am Handel mit Organen serbischer Gefangener vorgeworfen wurde.

Andere Berichte erlangen weniger Aufmerksamkeit, sind aber wichtig zur Aufklärung auch von Verbrechen. So erstellte der schwedische Diplomat Thomas Hammarberg als Menschenrechtskommissar des Europarats Berichte zur Lage in Tschetschenien. Nach dem Georgien-Krieg 2008 befasste er sich zusammen mit Experten mit dem Schicksal zahlreicher Vermisster.

Vor wenigen Tagen gelangte der Generalsekretär des Europarats, der Norweger Thorbjörn Jagland, in die Schlagzeilen. Er präsentierte sich als einer derjenigen, der bei der Befreiung der Militärbeobachter aus den Händen der Separatisten in der Ostukraine geholfen hatte. In den Monaten zuvor hatte er bereits versucht, in Kiew zwischen der damaligen Opposition und Präsident Wiktor Janukowitsch zu vermitteln.

Staaten bilden Allianzen

Ein Kalkül ging jedoch nicht auf: Mehrere Ex-Sowjetrepubliken entwickelten sich nach ihrer Aufnahme in den Europarat nicht stärker in Richtung Demokratie, auch wenn sie unter verschärfter Beobachtung standen. Es ist im Gegenteil zu konstatieren, dass der Europarat an Profil verlor. Denn immer wieder schließen sich Abgeordnete der 318 Sitze zählenden Parlamentarischen Versammlung zusammen, um Beschlüsse zu verzögern, die Arbeit von Berichterstattern zu stören oder die Annahme von Berichten zu verhindern.

Die ehemalige liberale Abgeordnete Marina Schuster stellte zum Beispiel fest, dass sich Allianzen nicht allein über die Zugehörigkeit zur gleichen Parteienfamilie ergeben. Häufig schließen sich Politiker zusammen, deren Staaten wenig Interesse an demokratischer und rechtsstaatlicher Entwicklung haben: "Es gibt eine Allianz von Staaten, die nicht öffentlich kritisiert werden möchten", sagt Schuster. So habe sich beim Thema Pressefreiheit ein Bündnis aus Russland, Türkei und Aserbaidschan ergeben. Solche Allianzen bestätigt auch der ungarische Politiker Matyas Eörsi. Dies habe letztlich zu einer Senkung der Standards geführt, sagt er.

Kungeln in der Kantine

Ein beliebter Ort, in dem Bündnisse geschmiedet sowie Abstimmungsergebnisse und Debatten vorbereitet werden, ist die Kantine im Europapalast, gleich neben dem Plenarsaal. Ein Beispiel lieferten im April 2013 georgische Abgeordnete der einstigen Regierungspartei UNM. Vor einer Rede ihres politischen Rivalen, des georgischen Premierministers Bidsina Iwanischwili, überzeugten sie beim Kaffee in der Kantine verbündete Abgeordnete aus Polen und Schweden, Fragen mit vorgegebenen Formulierungen an Iwanischwili zu stellen. Die Fragerunde im Plenarsaal geriet praktisch zu einer innenpolitischen Debatte - und Iwanischwili reichlich unter Druck.

In der Kantine versuchen Menschenrechtsaktivisten ebenso wie Lobbyisten für ihre Anliegen zu werben. Davon berichtet auch der ehemalige norwegische Abgeordnete Göran Lindblad. Es gebe Zeiten, da säßen mehr Lobbyisten in der Kantine als Abgeordnete. Nach seinem Ausscheiden aus dem Europarat wurde er selbst für einige Monate zum Lobbyisten im Auftrag der Organisation "The European Azerbaijan Society". Er habe sich jedoch bald mit ihr überworfen bei der Frage, wie man Abgeordnete von bestimmten Anliegen überzeugen solle.

Geschenke von der Lobby-Maschinerie

Die autoritär regierte Südkaukasus-Republik Aserbaidschan ist inzwischen durch Berichte von Medien und NGOs bekannt für ihre Methoden, Abgeordnete anderer Länder auf ihre Seite zu ziehen. Dazu zählen Reisen in das Land am Kaspischen Meer mit anschließendem Ferienaufenthalt und Sachgeschenke. Auch berichteten Abgeordnete, dass des Nachts leicht bekleidete Frauen mit Champagnerflaschen vor den Hotelzimmern auftauchten oder am Telefon unzweideutige Angebote machten. Oft komme hinzu, dass Abgeordnete aus westlichen Ländern keine klare Vorstellung von den Verhältnissen in Ex-Sowjetrepubliken haben, beklagte der Schweizer Abgeordnete Andreas Gross. Aber er verwies darauf, dass es inzwischen strengere Verhaltensregeln gibt.

Wer sich wie er oder der deutsche SPD-Politiker Christoph Strässer gegen die Lobby-Maschinerie Aserbaidschans stemmt, braucht einen starken Durchhaltewillen. Als Berichterstatter für Politische Gefangene in Aserbaidschan sah er sich starkem Druck und auch persönlichen Angriffen ausgesetzt. "Ich habe ein Gefühl dafür bekommen, wie es Regierungskritikern in Aserbaidschan ergeht. Da wurde definitiv eine Grenze überschritten", sagte er 2012. Inzwischen ist Strässer Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung.

Aserbaidschan übernimmt Vorsitz

Aserbaidschan übernimmt heute für ein halbes Jahr die Führung im Ministerrat des Europarats, in dem die Außenminister der Mitgliedsstaaten beziehungsweise ihre Stellvertreter regelmäßig zusammen kommen. Mehrere Menschenrechtsgruppen starteten aus diesem Anlass einen neuen Aufruf, die politischen Gefangenen in Aserbaidschan freizulassen. Politische Gefangene dürfte es nach den Vorgaben des Europarats in keinem Mitgliedsstaat geben. So ist kaum zu erwarten, dass der Europarat unter dem Vorsitz Aserbaidschans auf diesem oder anderen Gebieten große Fortschritte machen wird.

Das könnte auch die Ukraine-Krise betreffen. Aserbaidschans Verhältnis zu diesem Konflikt ist nicht einfach. Die Regierung will aus innenpolitischen Gründen keine Führung in Kiew unterstützen, die durch einen Umsturz an die Macht gekommen ist. Der Annexion Russlands steht sie ebenfalls kritisch gegenüber. Denn auch ein Teil Aserbaidschans ist besetzt durch den Nachbar Armenien, der wiederum von Russland unterstützt wird. Doch die aserbaidschanische Führung ist klug genug, sich nicht offen gegen  den übermächtigen Nachbarn Russland zu stellen. Stattdessen versucht sie, sich mit ihm zu arrangieren.

Doch könnte auch künftig der Generalsekretär des Europarates, Jagland, in die Bresche springen, wenn es um heikle Vermittlungen zwischen Mitgliedern der Organisation geht. Dies geschieht jedoch eher hinter verschlossenen Türen. So wird der Europarat vermutlich nur dann wieder in die öffentliche Aufmerksamkeit im Westen Europas geraten, wenn Jagland ein Erfolg wie kürzlich bei der Befreiung der Militärbeobachter gelingt oder wenn der Menschenrechtsgerichtshof wichtige Urteile fällt.