FPÖ-Bundesparteiobmann Heinz Christian Strache verlässt in der Präsidentschaftskanzlei ein Gespräch mit Bundespräsident Van der Bellen.
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Videoaffäre um Strache Der Skandal im Schnelldurchlauf

Stand: 20.05.2019 21:00 Uhr

Ein Enthüllungsvideo stürzt Österreich in eine Regierungskrise. In den Hauptrollen: FPÖ-Chef Strache und eine angeblich reiche Russin. Jetzt gibt es Neuwahlen - wie konnte es so schnell so weit kommen?

Was ist in dem Video zu sehen?

Am Freitagabend um 18 Uhr veröffentlichten "Süddeutsche Zeitung" und "Spiegel" mehrere Artikel und Ausschnitte aus einem Video, das den inzwischen zurückgetretenen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und seinen ehemaligen Fraktionsvorsitzenden Johann Gudenus im Gespräch mit einer angeblichen russischen Oligarchen-Nichte zeigt. Insgesamt soll das Treffen im Juli 2017 mehr als sechs Stunden gedauert haben. Die junge Frau erklärt dabei, eine Viertelmilliarde Euro in Österreich investieren zu wollen. Mehrmals deutet sie laut "SZ" und "Spiegel" an, dass es sich um Schwarzgeld handeln könne. Sie bietet an, bei der österreichischen "Kronen Zeitung" als Investorin einzusteigen.

Daraufhin stellt ihr Strache Vorteile in Aussicht, falls die Zeitung zugunsten der FPÖ Partei ergreife. Zu diesem Zeitpunkt - im Juli 2017 - befand sich Österreich drei Monate vor der Parlamentswahl. Er schlägt etwa vor, für lukrative Aufträge zu sorgen, wenn die Frau ein Unternehmen in Österreich gründe. "Dann soll sie eine Firma wie die Strabag gründen. Alle staatlichen Aufträge, die jetzt die Strabag kriegt, kriegt sie dann", sagt Strache mit Blick auf den österreichischen Baukonzern, dessen langjähriger Vorstandsvorsitzender Hans Peter Haselsteiner zu seinen Intimfeinden zählt.

Außerdem offenbaren Strache und Gudenus laut "SZ" und "Spiegel" ein womöglich illegales System der Parteifinanzierung. "Es gibt ein paar sehr Vermögende. Die zahlen zwischen 500.000 und anderthalb bis zwei Millionen", sagt Strache demnach. Das Geld fließe aber nicht an die FPÖ, sondern an einen gemeinnützigen Verein. "Dadurch hast du keine Meldungen an den Rechnungshof."

Woher stammen die Aufnahmen?

Das ist unklar. Ebenso, warum die Aufnahmen gerade jetzt - zwei Jahre später - veröffentlicht wurden. Laut "SZ" und "Spiegel" war das Gespräch offensichtlich als Falle für die FPÖ-Politiker organisiert worden. Das Video sei ihnen zugespielt worden.

Beide Medien erklärten, dass sie aus Gründen des Quellenschutzes keine Angaben zur Herkunft der Aufnahmen machen werden. Das Material sei in einem verlassenen Hotel auf USB-Sticks übergeben worden, so die "SZ".

"Spiegel"-Redakteur Wolf Wiedmann-Schmidt sagte dem Sender n-tv, das Video sei nicht mit Absicht vor der Europawahl Ende Mai platziert worden. "Wir haben das Video im Laufe des Monats bekommen und ausgewertet. Und als wir uns dann sicher waren, dass es authentisch und echt ist, haben wir gesagt: Dann publizieren wir das Video."

Von den Aufnahmen wurden nur Ausschnitte veröffentlicht. Auf die Frage, was sonst auf dem stundenlangen Video zu sehen sei, antwortete Wiedmann-Schmidt: "Wir haben gezielt eine Auswahl getroffen. Genau die Aussagen, die wir für öffentlich relevant halten. Wir werden nicht private Plaudereien öffentlich machen. Uns ging es nur darum, die politisch brisanten Vorgänge öffentlich zu machen."

Der Satiriker Jan Böhmermann hatte bereits im April detaillierte Andeutungen zum Inhalt des Videos gemacht - also noch, bevor "Spiegel" und "SZ" es hatten. Das ZDF schloss jedoch eine Beteiligung Böhmermann oder seine Produktionsfirma an der Erstellung des Videos aus.

Böhmermann und das Video
Jan Böhmermann kennt das Ibiza-Video Straches bereits "seit Wochen". Das bestätigte sein Management. Woher der Satiriker die Aufnahmen kannte, wisse er nicht, sagte Manager Burtz der dpa. Burtz dementierte, dass die Aufnahmen Böhmermann angeboten worden seien.

Böhmermann hatte bereits im April bei der Verleihung des österreichischen TV-Preises Romy in einer Video-Botschaft Andeutungen zu dem Fall gemacht. Dabei erwähnte er die "Kronen-Zeitung", Ibiza und eine "russische Oligarchen-Villa". Danach war Böhmermann von österreichischen Medien attackiert worden.

Wie reagierte Strache auf das Video?

Nach der Veröffentlichung am Freitagabend reagierte der FPÖ-Chef öffentlich zunächst gar nicht. Man darf aber davon ausgehen, dass hinter den Kulissen Krisengespräche stattfanden. Am Samstagmittag bot Strache seinen Rücktritt von allen Ämtern an. Neben dem Regierungsamt gab der 49-Jährige auch die Führung der FPÖ auf.

Bei dem Pressestatement in Wien stellte der 49-Jährige sich als Opfer dar. Er habe nichts Illegales getan. Das Video sei inszeniert, niederträchtig und ein "gezieltes politisches Attentat", bei dem illegale Überwachungsgeräte gegen ihn eingesetzt worden seien. Er kündigte strafrechtliche Ermittlungen an. Mit der Frau in dem Video habe er keine weiteren Kontakte unterhalten, von ihr seien auch keine Spenden an seine Partei geflossen.

Er räumte aber auch Fehler ein und entschuldigte sich. Sein Verhalten in dem Video sei dumm und unverantwortlich gewesen. Seine Äußerungen bezeichnete er als "nüchtern gesehen katastrophal und ausgesprochen peinlich". In einem zunehmend alkoholisierten Zustand habe er "prahlerisch wie ein Teenager" agiert, auch um seine "attraktive Gastgeberin zu beeindrucken". Wörtlich sprach er von "alkoholbedingtem Machogehabe". Er habe aber immer wieder auf Einhaltung aller gesetzlichen Bestimmungen bestanden.

Doch weitere Recherchen der "SZ" und des "Spiegel" lassen Zweifel daran aufkommen, ob die im Video geäußerten Ideen von Strache und Gudenus tatsächlich nur eine "b'soffne G'schicht" eines einzelnen Abends war. Den Redaktionen liegen nach eigenen Angaben Audioaufnahmen von weiteren Treffen zwischen der angeblichen Russin und Gudenus vor. Ergebnis: Sowohl vor dem Treffen auf Ibiza als auch nach dem Treffen seien die Pläne zum Kauf der "Kronen-Zeitung" und dem Zuschanzen von Staatsaufträgen besprochen worden.

Wie reagierte der Koalitionspartner ÖVP?

"Genug ist genug", sagte Kanzler Sebastian Kurz am Samstag zu der Angelegenheit. Er bat Bundespräsident Alexander Van der Bellen um vorgezogene Neuwahlen - und dieser stimmte zu. Zwar hätten ÖVP und FPÖ in den vergangenen zwei Jahren erfolgreich zusammengearbeitet und viele Wahlversprechen umgesetzt, sagte Kurz. Das Video allerdings mache ein Ende der Koalition unausweichlich.

Was aber wirklich schwerwiegend und problematisch ist, das sind die Ideen des Machtmissbrauchs, die Ideen zum Umgang mit österreichischen Steuergeldern und natürlich auch das Verständnis gegenüber der Medienlandschaft in unserem Land. Die FPÖ schadet mit diesem Verhalten dem Reformprojekt und dem Weg der Veränderung. Sie schadet auch dem Ansehen unseres Landes", so Kurz.

Doch wann endet die Regierungskoalition? Am Montagabend, drei Tage nach der Veröffentlichung des Videos, erklärte Kanzler Kurz, dass er dem Bundespräsidenten die Entlassung von Innenminister Herbert Kickl vorgeschlagen habe. Dieser war FPÖ-Generalsekretär zu der Zeit, in der das Video entstand, und damit auch für die finanziellen Angelegenheiten der Partei verantwortlich. Kickl selbst betonte, er habe sich nichts zuschulden kommen lassen.

Wer regiert Österreich bis zu den Neuwahlen?

Nach der Entscheidung von Bundeskanzler Kurz in der Personalie Kickl kündigte die FPÖ am Montagabend an, dass alle FPÖ-Minister ihre Ämter niederlegen werden. Für diesen Fall hatte Kurz bereits deutlich gemacht, dass er die frei werdenden Positionen in den Ministerien mit Experten und Spitzenbeamten besetzen werde, um bis zu den vorgezogenen Neuwahlen die Handlungsfähigkeit der Regierung sicherzustellen.

Ob Kurz bis zu den Neuwahlen Regierungschef bleibt, ist aber keineswegs sicher. Auf Seiten der Opposition kündigte die Liste "Jetzt" an, im Parlament einen Misstrauensantrag gegen den Kanzler zu stellen. Sie hofft auf eine Unterstützung der FPÖ, um Kurz zu Fall zu bringen. Die größte Oppositionspartei, die SPÖ, ließ noch offen, ob sie einen Misstrauensantrag unterstützen wird. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner sprach von einer "veritablen Staatskrise" und forderte, es müssten alle Ministerposten mit Experten besetzt werden.

Seit wann regiert die FPÖ mit?

Wenige Monate nach dem Treffen in Ibiza fand in Österreich die Nationalratswahl 2017 statt, dabei kam die FPÖ auf 26 Prozent. Im Dezember 2017 bildete sie eine Regierungskoalition mit der ÖVP.

Obwohl beide Parteien stets die harmonische Zusammenarbeit betonten, gab es zuletzt auch zunehmend Differenzen zwischen den Bündnispartnern, zumal die FPÖ wegen innerparteilicher Skandale immer wieder in die Schlagzeilen geriet. Zuletzt hatte die ÖVP die Nähe der FPÖ zu der rechtsextremen "Identitären Bewegung" kritisiert. 

Welche Ämter werden jetzt neu besetzt? Und wie?

Feststeht: Im September gibt es eine Neuwahl in Österreich. Dann wird es auch eine neue Regierung geben. Bis dahin sind aber noch weitere Fragen zu klären - auch nach der Ankündigung der FPÖ, alle Minister aus der Regierung abzuziehen, wenn Innenminister Kickl entlassen wird.

Vizekanzler: Wer auf Strache als Vizekanzler folgt, ist noch unklar.

Innenminister: Kanzler Kurz hat dem Bundespräsidenten die Entlassung des bisherigen Ressortchefs Kickl vorgeschlagen. Wer das Amt bis zu den Neuwahlen übernehmen wird, ist noch offen.

FPÖ-Parteichef: Als Nachfolger von Strache als FPÖ-Parteichef Strache soll Verkehrsminister Norbert Hofer folgen. Das FPÖ-Bundesparteipräsidium traf sich am Sonntagabend und bestimmte ihn einstimmig zum neuen Parteichef. Bei der nächsten Sitzung des Bundesparteivorstandes, die nach der Europawahl stattfinden wird, solle diese Entscheidung formal bestätigt werden.

FPÖ-Fraktionschef: FPÖ-Fraktionschef Gudenus gab seinen Austritt aus der FPÖ bekannt - "mit sofortiger Wirkung", wie er mitteilte. Ebenso werde er sein Nationalratsmandat niederlegen. Gudenus hatte das Treffen zwischen Strache und der vermeintlichen Oligarchen-Nichte organisiert und ist auch in dem Video zu sehen. Er steht nach Angaben der "SZ" auch im Mittelpunkt der FPÖ-Beziehungen zu Russland.

Bundespräsident Van der Bellen und Kanzler Kurz geben gemeinsames Statement ab

ORF

Welche weiteren Reaktionen gibt es?

Den ganzen Samstag über demonstrierten Tausende Menschen vor dem Kanzleramt in der Wiener Innenstadt. Sie forderten ein Ende der Koalition und feierten Straches Rücktritt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte angesichts der Vorgänge einen entschiedenen Kampf gegen Rechtspopulismus. "Wir haben es mit Strömungen, populistischen Strömungen zu tun, die in viel Bereichen diese Werte verachten, die das Europa unserer Werte zerstören wollen. Dem müssen wir uns entschieden entgegenstellen."

"Die Affäre in Österreich ist ein neuer Tiefpunkt in der politischen Kultur", sagte Bundesaußenminister Heiko Maas im Bericht aus Berlin.

Grünen-Chefin Annalena Baerbock sprach in der "Welt am Sonntag" von einem "ungeheuerlichen Skandal". Er zeige, wie Rechtspopulisten Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit verachten würden und das Ziel hätten, die Demokratie systematisch auszuhöhlen.

Die Vertreter rechtspopulistischer Parteien in Europa äußerten sich zurückhaltender. Er werde der FPÖ nicht aufgrund einer "singulären Angelegenheit" "in den Rücken fallen", sagt AfD-Chef Jörg Meuthen. Die französische Rechtspopulistin Marine Le Pen erklärt, die Angelegenheit sei Sache der österreichischen Innenpolitik.

Was bedeutet der Skandal für die Europawahl?

Das ist offen. Umfragen zufolge konnte die konservative ÖVP, die der Europäischen Volkspartei (EVP) angehört, bisher auf Zugewinne hoffen. Der Spitzenkandidat der EVP lobte Kurz' Entscheidung, die Koalition aufzulösen. Mit Blick auf Strache twitterte Manfred Weber: "Die unpatriotischen Nationalisten verkaufen ihre Länder und Werte."

ARD-Korrespondent Michael Mandlik glaubt, dass das veröffentlichte Video sicher auch einen Teil der klassischen FPÖ-Wähler abschrecken werde. "Und von daher ist auch damit zu rechnen, dass bei den Europawahlen - aber dann auch letztlich hier bei den Nationalratswahlen - die FPÖ Verluste einstecken müssen wird."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 19. Mai 2019 um 11:00 Uhr.