Anschläge auf Kirchen in Nigeria Gibt es eine weltweit wachsende Christenverfolgung?
Nach den Anschlägen auf christliche Kirchen in Nigeria fliehen viele Christen aus dem von Gewalt erschütterten Norden des Landes in den Süden. Auch im Irak sind Christen auf der Flucht. Korrespondent Ulrich Pick beantwortet Fragen zu den Hintergründen dieser Gewalttaten und zum Thema Christenverfolgung weltweit.
Wie überraschend waren die Anschläge auf nigerianische Kirchen mit mehr als 40 Toten an Weihnachten?
Jeder Anschlag kommt natürlich überraschend. Aber es gab ja bereits vergangene Weihnachten Anschläge gegen Christen in Nigeria. Und im Laufe des Jahres sind mehr als 500 Personen bei Anschlägen der terroristischen Gruppe Boko Haram ums Leben gekommen - darunter viele Christen. So gesehen war man gewarnt.
Ulrich Pick berichtete bis 2011 für die ARD aus Istanbul. Sein Berichtsgebiet umfasste neben der Türkei auch Griechenland, den Iran und Zypern. Heute arbeitet Pick in der Redaktion Religion, Kirche und Gesellschaft beim SWR in Mainz. Ein Schwerpunkt des Theologen ist dort der arabische Kulturkreis.
Wer steckt hinter der Sekte Boko Haram?
Boko Haram heißt in der Haussa-Sprache "nichtislamische Erziehung verboten". Hier ist der Name Programm. Die Sekte, die vor zehn Jahren gegründet wurde, will in Nord-Nigeria ein Kalifat aufbauen, in dem eine sehr strenge Auslegung der Sharia gelten soll. Geleitet wird Boko Haram von einem Rat (Shura) von 20 Männern und diese pflegen auch Kontakte in die Nachbarländer Tschad und Kamerun. Zudem soll es Hinweise auf grenzübergreifende Dschihad-Bewegungen geben, der auch die Al Kaida im Islamischen Maghreb in Mali und Niger sowie die Al-Shabab-Miliz in Somalia angehören sollen.
Kann man von einer weltweit wachsenden Christenverfolgung reden?
Übergriffe auf Christen scheinen in der Tat zu wachsen. Aber man sollte vorsichtig sein mit dem Begriff "Christenverfolgung". Ich würde von "Christenverfolgung" nur sprechen, wenn Christen wirklich um Leib und Leben fürchten müssen. Das gilt nicht nur in Nord-Nigeria und Somalia, sondern auch für den Irak und Pakistan. Gerade in den beiden letztgenannten Ländern ist die Perspektive ungünstig. Hintergrund sind hier die USA, die ihre Soldaten aus dem Irak abgezogen haben, womit die Gefahr eines Bürgerkrieges steigt. Und das Verhältnis Washingtons zu Pakistan wird immer miserabler. In beiden Ländern herrscht deshalb ein guter Nährboden für anti-westliche - und das heißt anti-christliche - Vorurteile.
Wie frei können Christen im Orient ihre Religion ausüben?
Hier muss man genau hinschauen, Pauschalisierungen helfen niemandem. In Afghanistan und Saudi-Arabien ist es beispielsweise nicht erlaubt, Kirchen zu bauen. In Syrien und im Libanon hingegen leben Christen bislang recht unbehelligt. Wobei die Lage in Syrien zunehmend schwieriger wird. Christen genossen zwar bislang gewisse Freiheiten, geraten aber zunehmend in die Zwickmühle. Man weiß einerseits um das brutale Vorgehen von Präsident Baschar al-Assad gegen Kritiker, gleichzeitig haben Christen Angst, dass nach dem Fall des Regimes islamische oder gar islamistische Gruppen an die Macht kommen könnten, was eine Verschlechterung für sie bedeuteten könnte.
Wie ist die Lage im Iran?
Der Iran ist in diesem Punkt ein schwieriges Land. Auf der einen Seite haben im Iran die einheimischen Christen drei feste Sitze im Parlament (zwei Armenier und ein Assyrer). Das ist eine Besonderheit. Auf der anderen Seite steht Missionierung unter Strafe. Und wenn ein Muslim zum Christentum konvertiert, kann dies sogar die Todesstrafe nach sich ziehen, weil er als "Abtrünniger" gilt. Im Iran sind derzeit zahlreiche evangelisch-freikirchliche Christen im Gefängnis, weil sie - wahrscheinlich bewusst - den Konflikt mit dem iranischen Gesetz in Kauf genommen haben und missioniert haben.
Was sollten die Regierungen in den orientalischen Ländern zum Schutz der Christen unternehmen?
Sie könnten beispielsweise dem Christentum nicht nur Minderheitenrechte gewähren, sondern die Religionen egalitär behandeln. Dadurch würde der Islam immer noch dominant bleiben. Unsere Politiker sollten übrigens bei ihren Reisen deutlicher als bisher auf einen Schutz der orientalischen Christen drängen.
Worauf sollten Christen achten, wenn Sie in mehrheitlich nicht-christliche Länder reisen?
Sie sollten auf die Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes achten, gleichzeitig aber sollten sie auch versuchen, Kontakt zu Mitgliedern anderer Religionen suchen. Das erweitert nicht nur den eigenen Horizont. Es hilft auch Vorurteile abzubauen - das sind bei uns Ängste vor dem komplett gewalttätigen Islam und bei den Muslimen Zerrbilder eines geld- und machtgierigen Westens, der mit dem Christentum gleichgesetzt wird.