Sitzungen in Genf, New York und Gödöllö Beratungen über Zukunft Libyens laufen auf Hochtouren
In Libyen gehen regierungstreue Truppen weiter gewaltsam gegen Aufständische vor. Aus mehreren Städten werden Tote und Verletzte gemeldet. Der UN-Sicherheitsrat will heute über Sanktionen gegen das Regime beraten. Zudem streben die EU und die USA an, Libyen aus dem UN-Menschenrechtsrat auszuschließen.
Ausländische Söldner und bewaffnete Anhänger des libyschen Staatschefs Muammar al Gaddafi gehen weiter gewaltsam gegen die Bevölkerung vor. Aus mehreren Orten wurden Tote und Verletzte gemeldet. So berichten Korrespondenten von dem Angriff auf eine Moschee in Al Sawija. Wie die libysche Zeitung "Kurina" berichtet, sollen mindestens 23 Menschen dabei getötet und Dutzende verletzt worden sein. Zuvor war von zehn Opfern die Rede gewesen.
Schwierig sei auch die Versorgung der Verletzten. Sie könnten nicht in Krankenhäuser gebracht werden, weil auf den Straßen geschossen werden würde, schrieb das Blatt weiter.
Berichte über 400 Tote allein in Bengasi
Bei den Auseinandersetzungen in den vergangenen Tagen sollen allein in Bengasi etwa 400 Menschen getötet und 1300 verletzt worden sein. Die Nachrichtenagentur dpa beruft sich bei ihren Angaben auf den Sicherheitschef der ostlibyschen Stadt, Nuri al Obeidi, der sich inzwischen den Aufständischen angeschlossen hat.
Obeidi berichtete demnach auch von einem unterirdischen Gefangenenlager, das auf einem Stützpunkt einer von Chamies al-Gaddafi, einem Sohn des Staatschefs, befehligten Militäreinheit entdeckt worden sei. Unter den 90 befreiten Gefangenen seien auch Deserteure gewesen, die sich geweigert hätten, auf Regimegegner zu schießen. Laut Obeidi ist die Stadt ist jetzt sicher und unter Kontrolle der Aufständischen.
Sie haben auch die östliche Stadt Tobruk übernommen. Dort hatten sich am Donnerstagabend erneut Regierungsgegner auf dem zentralen Platz versammelt und das Ende des Gaddafi-Regimes gefordert. Laut Krankenhausangaben kamen bei den Unruhen in Tobruk mindestens vier Zivilisten ums Leben. Auch in anderen Orten sollen Zivilisten getötet und verletzt worden sein, unter anderem in Misrata.
Dem Bericht eines Polizisten aus der nordostlibyschen Stadt Al Baidha zufolge sollen Aufständische dort 200 Söldner getötet haben. Ihnen sollen die Verantworlichen des Gaddafi-Regimes 12.000 Dollar für jeden getöteten Regierungskritiker geboten haben.
Sondersitzungen der UN-Räte
Angesichts der Gewalt in Libyen wird heute der UN-Sicherheitsrat in New York über mögliche Sanktionen gegen die Gaddafi-Regierung beraten. Als konkrete Maßnahmen kämen etwa Reiseverbote, das Einfrieren von Vermögen, ein Waffenembargo oder ein Flugverbot über libysches Gebiet infrage.
In Genf kommt der UN-Menschenrechtsrat zu einer Sondersitzung zusammen, dem Libyen seit rund einem Jahr angehört. Aufgrund des brutalen Vorgehens der Gaddafi-Regierung gegen die Bevölkerung streben die Europäische Union und die USA an, Libyen aus dem Rat auszuschließen. Zudem schloss sich Washington dem EU-Vorschlag an, einen Sonderermittler zur Untersuchung von mutmaßlichen Gräueltaten zu berufen.
US-Präsident Barack Obama stimmte sich außerdem mit den Staatschefs von Frankreich, Großbritannien und Italien - Nicolas Sarkozy, David Cameron und Silvio Berlusconi - über das internationale Vorgehen im Umgang mit Libyen ab. Dabei ging es um die Frage, wie die libysche Führung für ihre Gewalttaten zur Verantwortung gezogen werden kann. Sie vereinbarten auch, bei der Rettung ihrer Staatsbürger zusammenzuarbeiten.
Schwierige Evakuierungen
Unterdessen gestalten sich die Evakuierungen aus Libyen weiter schwierig. Raue See behindert die Ausreise mit Schiffen. Auf dem Flughafen in der Hauptstadt Tripolis warten noch immer Tausende auf ihre Ausreise. Wie die kanadischen Behörden mitteilten, konnten rund 200 Kanadier am Donnerstag auch nicht wie geplant mit einem gecharterten Flugzeug ausreisen, weil die Versicherung des Charterers den Flug in das von Gewalt erschütterte Land nicht abdecken wollte.
Um die noch bis zu 6000 Europäer aus Libyen herauszuholen, schließt die EU einen militärischen Einsatz nicht länger aus. Das sei "eine der Möglichkeiten", die im Zuge eines Notfallplans erwogen würden, hieß es beim Europäischen Auswärtigen Dienst.
Der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zufolge flohen wegen der Gewalt bislang mindestens 30.000 Menschen aus Libyen.
Gaddafi-Vermögen eingefroren
Die Schweiz sperrte inzwischen mit sofortiger Wirkung das Vermögen des libyschen Staatschefs und seines Umfeldes. Damit wolle die Regierung jegliches Risiko einer Veruntreuung von staatlichem libyschem Eigentum vermeiden, teilte das Außenministerium mit. Auch der Verkauf und jegliche Veräußerung von Gütern und Immobilien des Gaddafi-Clans sei ab sofort verboten. Die entsprechende Verordnung trat am Donnerstag in Kraft und hat eine Gültigkeit von drei Jahren. Als Reaktion darauf teilte das libysche Außenministerium mit, dass es in der Schweiz keine Konten von Gaddafi gebe.
Die Beziehungen zwischen der Schweiz und Libyen verschlechterten sich im Jahr 2008 dramatisch, als die Genfer Polizei einen Sohn des Machthabers festnahm, der unter Verdacht stand, zwei Mitarbeiter misshandelt zu haben. Das Verfahren wurde später eingestellt. Als Reaktion auf die Festnahme zog Libyen Millionen aus der Schweiz ab, stoppte Öllieferungen in das Land und hinderte zwei Schweizer Geschäftsleute an der Ausreise aus Libyen.
Wie die britische Zeitung "Telegraph" berichtete, will auch Großbritannien Gaddafis Vermögen sperren. Die Finanzbehörden hätten eine Einheit gebildet, um entsprechende Güter und Konten aufzuspüren. Dem Blatt zufolge wird Gaddafis Vermögen in Großbritannien auf 20 Milliarden Pfund, 23,5 Milliarden Euro) geschätzt.
Gaddafi macht Al Kaida verantwortlich
Gaddafi selbst macht inzwischen Al-Kaida-Führer Osama bin Laden für die Massenproteste gegen sein Regime verantwortlich. Anhänger des Terrornetzwerks hätten jungen Libyern halluzinogene Tabletten in den Kaffee getan und sie auf diese Weise dazu gebracht, zu rebellieren, sagte Gaddafi telefonisch im Staatsfernsehen.