Terrorexperte zur Kooperation der Geheimdienste "Manchmal werden falsche Prioritäten gesetzt"
Tagtäglich erhalten Geheimdienste eine Flut von Informationen - auch von befreundeten Diensten. Bei der Entscheidung, was davon relevant ist, kommt es jedoch zu Fehlern. Warum, erklärt ARD-Terrorexperte Holger Schmidt im Gespräch mit tagesschau.de.
tagesschau.de: Bei der Absage des Länderspiels in Hannover soll der entscheidende Hinweis vom französischen Geheimdienst gekommen sein: Wie stark kooperieren die Geheimdienste verschiedener Länder miteinander?
Holger Schmidt: Das hängt davon ab, welche Länder es sind. Grundsätzlich gibt es kaum einen Staat, mit dem es nicht wenigstens lose Kontakte auf der sogenannten Arbeitsebene gibt. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass man wirklich sensible Informationen austauscht. Man kann sagen: Je besser insgesamt die zwischenstaatlichen Beziehungen sind, desto intensiver tauschen sich auch die Nachrichtendienste aus.
Übrigens sprechen die Geheimdienste untereinander immer von "Freunden" mit denen sie Informationen austauschen - wobei man wie im richtigen Leben dem einen Freund mehr, dem anderen weniger erzählt. Zu Frankreich gibt es sehr gute nachrichtendienstliche Kontakte.
Holger Schmidt ist Terrorismus-Experte des ARD-Hörfunks. Er beschäftigt sich vor allem mit der Entwicklung des islamistischen Terrorimus in der Bundesrepublik. Seine Recherchen veröffentlicht er auch in seinem Internet-Blog "Terrorismus in Deutschland".
tagesschau.de: Die deutschen Behörden bezweifelten offenbar zunächst, dass es sich um eine seriöse Quelle des Dienstes handelte. Das klingt nicht gerade nach vertrauensvoller Zusammenarbeit.
Schmidt: Auch unter sehr befreundeten Nachrichtendiensten hält man sich sehr bedeckt, bei der Frage, wer die jeweiligen Quellen sind. Erstens sind Informanten wichtig und wertvoll, zweitens kann ihre Enttarnung für die Quelle Lebensgefahr bedeuten. Nachrichtendienste bewerten intern ihre Quellen und sagen damit aus, für wie verlässlich sie die Informationen halten. Schwierig wird es, wenn eine Quelle Informationen aus dritter Hand hat.
"Five Eyes"-Allianz arbeitet besonders eng zusammen
tagesschau.de: Gibt es besonders enge Kooperationen beziehungsweise Länder, wo die Zusammenarbeit nicht so gut funktioniert?
Schmidt: Es gibt beispielsweise die berühmten "Five Eyes", eine Allianz der Länder USA, Großbritannien, Australien, Kanada und Neuseeland, die besonders eng zusammenarbeiten. Im Gegensatz dazu ist entlang der ehemaligen Front des kalten Krieges die Zusammenarbeit auch heute noch von alten Rivalitäten geprägt. Auch, weil es immer noch Leute in den Diensten gibt, die die "alte" Zeit selbst miterlebt haben.
tagesschau.de: Der türkische Geheimdienst MIT will Frankreich zweimal vor einem der Attentäter der jüngsten Anschläge gewarnt haben. Frankreich sei den Informationen aber nicht nachgegangen. Wie erklären Sie sich das?
Schmidt: Nachrichtendienste bekommen täglich Tausende und Abertausende Informationen auf ganz unterschiedlichen Wegen. Sie werden zum Zeitpunkt des Eingangs bewertet und gesteuert. Im Nachhinein, also wenn man zum Beispiel weiß, dass jemand Attentäter geworden ist, können Informationen plötzlich ein ganz anderes Gewicht haben.
Zu klären ist also, was genau die Türkei Frankreich damals übermittelt hat und wie Frankreich diese Information damals bewertet hat. Das ist von außen kaum zu beurteilen. Allerdings ist das Verhältnis zwischen Frankreich und der Türkei in Sicherheitsbelangen nicht ungetrübt. In Frankreich wird vermutet, dass türkische Behörden direkt oder indirekt an der Ermordung von drei kurdischen Aktivistinnen in Paris im Januar 2013 beteiligt waren oder davon wussten.
"Man kann nicht alle Personen überwachen"
tagesschau.de: Auch US-Geheimdienste hatten offenbar einige der Attentäter auf dem Radar. Nach Auskunft von Vertretern der Sicherheitsbehörden standen sie auf einer US-Flugverbotsliste. Diese Informationen scheinen aber nicht angekommen oder nicht berücksichtigt worden zu sein?
Schmidt: Ob Frankreich diese Informationen bekommen hat, kann ich nicht sagen. Grundsätzlich gilt, dass die französischen Behörden mehr Personen kennen, die für Anschläge infrage kommen, als man effektiv überwachen kann. Also werden Prioritäten gesetzt. Dabei kann es zu falschen Entscheidungen kommen - in Frankreich wie in Deutschland. Wie es aber konkret auf die Attentäter bezogen in Frankreich war, kann ich nicht beurteilen. Interessant ist jedenfalls, dass man sicher war, dass Abaaoud in Syrien ist - und damit offenkundig falsch lag.
"Geheimdienste halten Erkenntnisse eher unter Verschluss"
tagesschau.de: Wie tauschen sich europäische Sicherheitsbehörden denn generell aus? Gibt es da Standards?
Schmidt: Das kommt auf die Art der Informationen und die Behörden an. Nachrichtendienste halten ihre Erkenntnisse eher unter Verschluss und reagieren auf Nachfragen von anderen Diensten. Oder sie geben von sich aus Informationen weiter, wenn es konkrete Gründe dafür gibt.
Auf Ebene der Polizei gibt es in Europa beziehungsweise im Schengenraum unterschiedliche Dateien, unter anderem für die Fahndung nach gesuchten Personen. Und es gibt mit Europol in Den Haag eine zentrale europäische Koordinierungsbehörde der Polizei. Etwas, was es für die Nachrichtendienste nicht gibt und vermutlich sobald auch nicht geben wird.
Das Gespräch führte Sandra Stalinski, tagesschau.de