Flüchtlingsansturm auf Lampedusa Italien will Hilfe - die EU schweigt
Italien hat angesichts des Massenandrangs von Flüchtlingen aus Tunesien die EU um finanzielle und personelle Unterstützung gebeten. Doch bis in Brüssel Entscheidungen fallen, könnte es noch dauern. Gestritten wird auch in Deutschland. Das Innenministerium lehnt eine Verteilung der Flüchtlinge in der EU ab.
Die Europäische Union ringt um eine gemeinsame Strategie im Umgang mit der Flüchtlingswelle aus Nordafrika. Konkrete Forderungen gibt es aus Italien. Innenminister Roberto Maroni forderte von der EU-Kommission den Einsatz der EU-Grenzschutzagentur Frontex sowie Unterstützung in Höhe von 100 Millionen Euro an. Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi telefonierte mit EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und erklärte, dass es sich um einen Notfall handele, der "die ganze EU betrifft und entsprechend angegangen werden muss". Van Rompuy habe diese Sicht geteilt und zugesagt, das Thema baldmöglichst auf einem EU-Gipfel zu diskutieren, teilte die Regierung in Rom mit.
Ashton und die EU-Kommission vermeiden Stellungnahmen
Einen konkreten Termin für ein EU-Gipfeltreffen zum Thema Flucht gibt es aber bislang offenbar nicht. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton wollte sich bei einem Besuch in Tunis am Montag überhaupt nicht zu dem neuen Flüchtlingsproblem äußern. Auch die EU-Kommission hält sich bislang bedeckt: Auf die Frage, wie die Lasten zwischen den Südländern der EU, in denen die Flüchtlinge eintreffen, und den Nordländern besser verteilt werden könnten, antwortete ein Sprecher der EU-Kommission ausweichend: "Ich bin nicht bereit, da ins Detail zu gehen", sagte Michele Cercone in einer Pressekonferenz am Montag.
Frontex ist einsatzbereit
Frontex wiederum signalisierte Einsatzbereitschaft: "Die Planungen für Aktionen laufen", sagte der Chef der Grenzschutzagentur, Ilkka Laitinien, auf dem Europäischen Polizeikongress in Berlin. Frontex stelle vor allem Hardware wie Hubschrauber und Boote, aber auch mobile Radaranlagen und Wärmebildkameras zur Verfügung.
Europarat will keine Massen-Abschiebungen
Der Europarat appellierte an Italien, die tunesischen Flüchtlinge nicht auszuweisen. Es dürfe keine "massiven Abschiebungen" geben, erklärte der Präsident der Parlamentarier-Versammlung des Europarats, Mevlut Cavusoglu. Die Flüchtlinge müssten den Schutz und die Hilfestellung bekommen, die sie benötigten, forderte der Politiker.
Eine Weiterleitung der Flüchtlingsströme in andere EU-Staaten ist derzeit allerdings nicht möglich. Das sogenannte Dublin-II-Abkommen legt fest, dass Asylbewerber bis zur Prüfung ihrer Anträge in dem Land bleiben müssen, in dem sie europäischen Boden betreten haben.
Bundesinnenministerium will keinen "Verteilungsschlüssel"
Deutsche Politiker sind sich uneins, wie mit dem verstärkten Strom tunesischer Flüchtlinge nach Italien zu verfahren sei. Der Staatssekretär im Innenministerium, Ole Schröder, sprach er sich dagegen aus, die in Italien gestrandeten Flüchtlinge auf andere Länder in Europa zu verteilen. Man könne nicht davon sprechen, dass nur die südlichen Länder betroffen seien, sagte Schröder auf dem Europäischen Polizeikongress. So nehme etwa Schweden fünf Mal so viele Menschen auf wie Italien.
Statt auf einen Verteilungsmechanismus setze die Bundesregierung auf finanzielle Hilfe, die Frontex-Grenzschützer und die freiwillige Aufnahme von Flüchtlingen.
Zuvor hatte Schröder der "Rheinischen Post" gesagt, auch wenn es im Einzelfall nachvollziehbar sei, dass Menschen aus wirtschaftlichen Gründen in die EU kommen wollten, sei es "nicht Aufgabe des Asylrechts, Wirtschaftsmigranten in die EU zu lassen."
Özdemir: "Der Norden darf den Süden nicht alleine lassen"
Grünen-Chef Cem Özdemir zeigte sich dagegen offen für die Aufnahme von Flüchtlingen aus Nordafrika. "Der Norden darf den Süden dabei nicht alleine lassen", sagte Özdemir der "Rheinischen Post". Auch er drängt auf schnelle Entscheidungen der EU: Die zuständige Kommissarin Cecilia Malmström und die EU-Innenminister müssten sich umgehend zusammensetzen und zu einer "fairen Lastenverteilung" kommen.
SPD-Innenexperte fordert Quotenregelung
SPD-Innenexperte Sebastian Edathy wies in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" darauf hin, dass die Asylbewerberzahlen dramatisch gesunken seien und die Aufnahme eines bestimmten Kontingents somit verkraftbar sei. Er appellierte an die Bundesregierung, beim Treffen der EU-Innenminister in der nächsten Woche konkrete Hilfszusagen zu machen. "Wir brauchen dringend eine europäische Quotenregelung, die anerkannte Flüchtlinge am Maßstab der Bevölkerungszahl und der bisherigen Flüchtlingsaufnahme auf die 27 EU-Länder verteilt", sagte der SPD-Politiker.
Die Generalsekretärin von Amnesty Deutschland, Monika Lüke, verlangte, Deutschland müsse seine Blockadehaltung gegenüber einer solidarischen Regelung innerhalb der EU endlich aufgeben. Zudem müsse die Bundesregierung darauf hinwirken, dass Italien seine Verpflichtungen nach der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention einhalte, forderte sie. Das bedeute, dass Italien den Asylsuchenden Zugang zu einem fairen Asylverfahren gewähre.
UNO: Mindestens vier Tote bei Flucht aus Tunesien
Auf der italienischen Insel Lampedusa zwischen Sizilien und Tunesien haben in den vergangenen Tagen mehr als 5000 Tunesier um Asyl gebeten. Das Eiland ist völlig überfüllt. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR ertranken mindestens vier Menschen bei ihrer Flucht.
Umwälzungen in Nordafrika beschäftigen die EU-Finanzminister
Die finanziellen Folgen des Machtwechsels in Ägypten und Tunesien stehen heute im Fokus des EU-Finanzministertreffens in Brüssel. Frankreich pocht auf eine Diskussion, wie man die demokratischen Bewegungen in Ägypten und Tunesien unterstützen könne. Ressortchefin Christine Lagarde sagte in Brüssel: "Es geht beispielsweise um die Rolle der Institutionen wie der Europäischen Investitionsbank."
Thema ist auch ein mögliches Einfrieren von Vermögenswerten von ehemaligen Amtsträgern des Mubarak-Regimes. Lagarde bestätigte, dass Ägypten bei mehreren EU-Staaten um eine Sperrung der Konten gebeten hatte. Nach Angaben aus EU-Kreisen soll auch Hosni Mubarak selbst zu den Betroffenen gehören, was von Lagarde aber nicht bestätigt wurde.