Interview zum Merkel-Besuch in Ungarn "Ein großes Geschenk für Orban"
Wenn Kanzlerin Merkel den ungarischen Ministerpräsidenten Orban in Budapest trifft, will sie die außenpolitische Absicherung, er die innenpolitische Aufwertung. Wo das zusammengeht und wo nicht, erklärt der Politikwissenschaftler Dániel Hegedüs im Interview mit tagesschau.de.
tagesschau.de: Der Besuch der Bundeskanzlerin in Ungarn gilt als schwierig. Auf welche Herausforderungen muss sich Angela Merkel vorbereiten?
Daniel Hegedüs: Meiner Ansicht dominieren die internationalen und europäischen Fragen die Gespräche, vor allem die Frage von Sanktionen gegenüber Russland. Dieser Aspekt gewinnt noch an Bedeutung, weil der russische Präsident Wladimir Putin am 17. Februar nach Budapest kommt. Merkel wird sich hinter verschlossenen Türen dazu offen äußern. Ihr Ziel ist es, Ungarn auf die gemeinsame europäische Politik zu verpflichten, trotz aller russlandfreundlicher Schritte, die Ungarn und Ministerpräsident Victor Orban in den letzten zwei Jahren gegangen sind.
tagesschau.de: Was kann, was muss Merkel Orban dafür bieten?
Hegedüs: Ich glaube, Merkel hat den Preis mit diesem Besuch schon bezahlt. Zuletzt war sie 2009 in Ungarn und hat die Arbeitsbesuche von Orban seit seiner Wahl 2010 nicht erwidert. Die regierende Fidesz-Partei wird den Merkel-Besuch dahingehend interpretieren, dass Partei und Ministerpräsident sich in allerbester Form zeigen und große internationale Anerkennung genießen.
tagesschau.de: Wie sehr wertet Merkel Orban dadurch auf?
Hegedüs: Der Besuch ist ein großes Geschenk für Orban und Fidesz. Das wissen alle. Doch deutsche Diplomatie richtet sich nicht nach der Logik der ungarischen Innenpolitik. Ich hoffe aber, dass die Bundeskanzlerin die Zeit in Budapest nutzt, um ein Zeichen zu setzten, dass in Ungarn nicht alles in Ordnung ist.
Es reichen ein paar Sätze, die der ungarischen Opposition ihrerseits Interpretationsspielraum eröffnen, so dass Fidesz nicht die alleinige Deutungshoheit übernimmt. Allerdings hat man sich international schon ein wenig daran gewöhnt, dass Merkwürdiges in Ungarn geschieht. Die aktuelle Situation in der Ukraine hat ihrerseits Orbans Umgang mit Medien und Minderheiten von den Top-Positionen der medialen Tagesordnung verdrängt.
"Die Proteste finden weiter statt"
tagesschau.de: Was zeichnet diesen Umgang zurzeit aus? Aus deutscher Warte scheint die Zeit der ganz großen Proteste vorbei zu sein.
Hegedüs: Die Zeit der Berichterstattung ist vorbei. Die Proteste finden weiter statt. Auch die Besuche von Merkel und Putin werden von Demonstrationen begleitet sein. Seit 2010 haben noch nie so viele Menschen die Opposition unterstützt. Noch nie so wenige die Regierungspartei Fidesz. Dabei waren die Entscheidungen der Fidesz-Regierung in den ersten drei, vier Jahren die mit den wirklich dramatischen Folgen.
Das ganze System wurde mit der Maßgabe umgebaut, eine Abwahl von Fidesz zu erschweren. Da hat zum Beispiel durch die Verfassungsänderung ein systematischer Abbau von Rechtsstaatlichkeit stattgefunden, der inzwischen kaum noch geahndet werden kann, weil sich die Zeitfenster schließen oder sogar schon geschlossen haben. Verglichen damit wirkt die Diskussion über die Internet-Steuer zweitrangig.
tagesschau.de: Wenn Orban innenpolitisch doch unter Druck steht - ist er noch ein verlässlicher Player in der EU?
Hegedüs: Die außenpolitische Kommunikation der ungarischen Regierung ist nicht immer glaubwürdig, stabil und kohärent, aber man hat mehrfach betont, dass der deutsche Standpunkt gegenüber Russland eine Art Leitlinie darstellt. Folglich wird man auch aller Wahrscheinlichkeit nach die gemeinsame europäische Außenpolitik nicht unterminieren. Aber wegen des Putin-Besuchs bleibt eine leichte Verunsicherung auf deutscher und europäischer Seite.
Und ja: Griechenland hat einen kleinen Dammbruch bewirkt, in der irrigen Annahme, Russland sei in der Lage, Griechenland finanziell beizuspringen – was definitiv nicht der Fall ist. Selbst wenn sich die Griechen der finanziellen russischen Situation bewusst sind, haben sie sich im Zweifel mehr Verhandlungsspielraum gegenüber der EU verschafft.
Die europäische Sanktionspolitik öffentlich in Frage zu stellen, stärkt natürlich die Position derjenigen, die ebenfalls gerne die Sanktionen aufgehoben oder abgemildert sehen wollen, aber nicht die Konsensbrecher sein möchten. Von daher kann man nur hoffen, dass das griechische Beispiel keine Schule macht.
Das Interview führte Ute Welty, tagesschau.de