Eine Szene aus dem Film "Real" von Oleh Senzow.

Oleh Senzows Dokumentation "Real" Beklemmend nah am Krieg

Stand: 24.02.2025 14:39 Uhr

Der ukrainische Regisseur Oleh Senzow ist auch Offizier - bei einem Einsatz an der Front lief seine Helmkamera mit. Daraus entstanden ist eine beklemmende Dokumentation, die nicht geplant war.

Von Stephan Laack, WDR, ARD Kiew

Eigentlich sei es ein Zufall gewesen, dass sein neuer Film "Real" überhaupt entstanden ist, meint der ukrainische Regisseur Oleh Senzow.

Er kämpft selbst als Offizier in den Reihen der ukrainischen Armee. Eine Dokumentation über den Einsatz an der Front zu drehen, hatte er überhaupt nicht geplant.

Ich bin kein Regisseur in diesem Krieg, sondern ein Soldat. Aber ich habe eine Go-Pro-Kamera an meinem Helm, wie viele andere auch. An diesem Tag wurde mein Bradley-Schützenpanzer getroffen, wir eilten in den Graben, und ich hatte gecheckt, ob meine Kamera noch da ist. Sie schaltete sich ein und filmte anderthalb Stunden lang, bis die Batterie leer war.
Oleh Senzow
Oleh Senzow

Freunde hätten ihn ermutigt, die Aufnahmen zu veröffentlichen, erzählt Oleh Senzow.

Von den Erinnerungen überwältigt

Erst ein paar Monate später bemerkte Senzow, dass es dieses Video auf seiner Kamera gibt und will es zunächst löschen. Als er sich das Material dann doch noch mal anschaut, wird er von den Erinnerungen überwältigt.

Freunde und Bekannte hätten ihm dann geraten, das Material zu veröffentlichen. Was den Film auszeichnet, sei das, was viele Kritiker mit dem englischen Begriff "immersive" bezeichnen - das Eintauchen in eine Atmosphäre, erzählt Senzow.

"Man begreift, dass dies nur ein kleines Stück ist, man sieht nicht alles, man versteht nicht alles, aber man fühlt, was dort passiert. Das ist die Hauptsache: das Gefühl des Krieges." 

Entstanden ist eine Dokumentation, die ohne einen einzigen Schnitt auskommt. Lediglich der Ton ist nachbearbeitet worden.

Mit Senzow gefangen im Schützengraben

Der Zuschauer sieht alles aus der Perspektive von Senzow - gefangen mit seiner Einheit in einem Schützengraben.

Es war am 17. Juni 2023 in der Nähe des Dorfes Robotyno, als eine große Gegenoffensive der ukrainischen Streitkräfte im Süden stattfand. Diese war nicht sehr erfolgreich, es war der zehnte Tag der Kämpfe. Unsere Aufgabe war es, einen Durchbruch von zwei Kilometern zu schaffen und die Real-Stellung einzunehmen. Wir schafften den Durchbruch, aber die Russen fingen an, unsere Bradleys zu zerstören. Die Logistik war gestört und die Infanterie, die dort gelandet war, war umzingelt." 
Oleh Senzow

Eingepfercht in den lehmigen Schützengraben ist nicht zu erkennen, wer aus welcher Richtung schießt. Sind es die eigenen Truppen oder feindliche?

Die Kommunikation mit der Zentrale reißt immer wieder ab. Missverständnisse, im Hintergrund das Stöhnen der Verwundeten. Aufklärungsdrohnen in der Luft. Das Gefühl der Beklemmung wird mit zunehmender Dauer des Films immer intensiver.

Senzow: Keine Dokumentation, sondern ein Dokument

Senzow sagt über seinen Film "Real", es sei eigentlich keine Dokumentation, sondern ein Dokument. "Es gibt nur eineinhalb Stunden eines zufällig aufgenommenen Videos, das in einer einzigen Einstellung das Kampfleben von Infanteristen in einem Schützengraben zeigt."

Welche Wirkung "Real" auf die Zuschauer habe, das liege nun nicht mehr in seiner Hand. Viele sind direkt nach der Premiere geradezu erschlagen von der Wucht und Intensität des Films. "Ich fühle mich am Boden zerstört. Ich habe keine Gedanken. Wir müssen etwas tun. Das ist mein Gefühl", berichtet ein Zuschauer.

Überlebende bei Premiere - ein bewegender Moment

Zur Premiere in Kiew sind alle Überlebenden dieses Einsatzes gekommen - wie auch die Angehörigen der Gefallenen. Es ist ein bewegender Moment, als sie von Senzow am Ende des Films namentlich vorgestellt werden.

Schuja ist ebenfalls unter ihnen - er ist besonders häufig in "Real" im Bild und wirkt in allen Situationen erstaunlich gelassen. Niemand in seiner Einheit habe Panik gehabt. Es sei wahrscheinlich das Adrenalin und die Fokussierung aufs Überleben, meint er. Wenn er sich jetzt den Film anschaue, habe er kein schlechtes Gefühl, so Schuja nach der Premiere.

"Ich kann nicht das empfinden, was die andern Zuschauer fühlen. Wir sind in unterschiedlichen Positionen. Als ich im Krieg war, habe ich viel schrecklichere Situationen erlebt", sagt Schuja.

Wenn er jetzt diesen Film sehe, "so zeigt er einen ganz normalen Tag im Krieg. Nichts wirklich Schlimmes passiert. Aber wenn sich das Menschen aus dem zivilen Leben anschauen, denken sie - oh mein Gott - das ist so schlimm. Aber ich empfinde das nicht so."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 22. Februar 2025 um 17:35 Uhr.