Brasilien VW empfahl NS-Kommandanten einen Anwalt
Der VW-Konzern hat den einstigen NS-Kommandanten Stangl nicht nur jahrelang in Brasilien beschäftigt, sondern ihm nach seiner Verhaftung sogar noch einen Anwalt empfohlen. Das ergaben Recherchen von NDR und "Süddeutscher Zeitung".
Acht Jahre lang hatte er bei Volkswagen unter Klarnamen gearbeitet - bis er am 28. Februar 1967 verhaftet wurde: Franz Stangl, der ehemalige Kommandant der NS-Vernichtungslager Sobibor und Treblinka. Recherchen von NDR und "Süddeutscher Zeitung" zufolge blieb Stangl lange unbehelligt, der deutsche Autokonzern wollte nicht wissen, wer für ihn arbeitet.
1951 war Stangl nach Brasilien gekommen, Ende 1959 trat er seinen Arbeitsplatz im damals neuen Volkswagenwerk an. Stangl war dort in der Werksinstandsetzung tätig. Im Dezember 1970 verurteilte ihn das Landgericht Düsseldorf wegen gemeinschaftlichen Mordes an 400.000 Menschen zu lebenslanger Haft.
Das brasilianische Gesetz verbiete es, Informationen über Arbeiter einzuholen, rechtfertigte sich der damalige Chef von VW in Brasilien, Friedrich Wilhelm Schultz-Wenk, kurz nach Stangls Verhaftung in einem Schreiben an die Zentrale in Wolfsburg. Das sei auch nicht Sache des Betriebs, so das ehemalige NSDAP-Mitglied: "VW in Brasilien ist es völlig gleichgültig, welcher Religionsgemeinschaft jemand angehört." Im Fall Stangl ging es aber nicht um Glauben, sondern um Kriegsverbrechen.
"Das war eine ganz normale Geschichte"
Während politisch Linke unter den VW-Arbeitern vom Werkschutz ausgespäht wurden und Informationen über sie bei der Geheimpolizei des Militärregimes landeten, ließ man den Kriegsverbrecher Stangl in Ruhe. Man habe seine Geschichte wohl nicht gekannt, sagt das Unternehmen bis heute: "Alles deutet darauf hin, dass sie es nicht wussten", so Rogério Varga, Anwalt von VW Brasilien.
Der ehemalige VW-Vorstandsvorsitzende Carl Hahn, der zur Zeit der Verhaftung Stangls im Aufsichtsrat von VW Brasilien saß, drückt es so aus: "Wir kannten sicher nicht die Namen von KZ-Kommandanten auswendig. Dass die dort angestellt werden, wenn sie aus Deutschland kommen, war, glaube ich, eine ganz normale Geschichte."
VW empfahl Stangl einen Anwalt
Recherchen von NDR und "Süddeutscher Zeitung" zeigen aber, dass Volkswagen dem ehemaligen Lagerkommandanten nach dessen Verhaftung noch einen Anwalt empfahl. Simon Wiesenthal, der die Suche nach Stangl maßgeblich betrieben hatte, schrieb an den damaligen Bundestagsabgeordneten Walther Leisler-Kiep: Stangls Frau habe nach dessen Verhaftung bei Volkswagen vorgesprochen, der Konzern habe seinen Anwalt empfohlen.
Die jüdische Gemeinde beschwerte sich über die Hilfe für den Kriegsverbrecher beim deutschen Konsulat in São Paulo und bat um Intervention des Botschafters, wie aus Akten des Auswärtigen Amtes hervorgeht. Ob die Botschaft intervenierte, ist nicht mehr nachvollziehbar - schließlich wurde der NS-Täter aber von einem anderen Anwalt vertreten, den sein Heimatland Österreich bezahlte. Genützt hat es ihm nichts: Im Juni 1967 wurde er an Deutschland ausgeliefert.
Stangl wurde schließlich in Deutschland vor Gericht gestellt. Noch bevor das Urteil rechtskräftig wurde, starb er am 28. Juni 1971 im Gefängnis an einem Herzinfarkt.