Europawahl 2024
Klimapolitik im Wahlkampf Geht es weiter mit dem "Green Deal"?
Bis zur Corona-Pandemie und zum Beginn des Kriegs gegen die Ukraine stand der Kampf gegen den Klimawandel ganz oben auf Brüssels Agenda. Und jetzt? Jetzt ist er wieder Wahlkampfthema.
Ursula von der Leyen, die Präsidentin der EU-Kommission, stellte nach ihrem Amtsantritt 2019 einen kühnen Plan auf. Die Kommissionspräsidentin will die EU bis Mitte des Jahrhunderts klimaneutral machen und spricht von "Europas Mann-auf-dem-Mond-Moment". Es war ein gewagter Vergleich.
Viereinhalb Jahre später ist nach Ansicht der Grünen der Schwung erlahmt. Ihr europäischer Spitzenkandidat Bas Eickhout erklärte in einer Wahldebatte: "Stellt euch vor, John F. Kennedy hätte nach vier Jahren gesagt: Ok, vielleicht ist der halbe Weg zum Mond auch in Ordnung."
Vormals breite Zustimmung
Der "Green Deal" ist Brüssels Plan zum nachhaltigen Umbau von Europas Wirtschaft und Gesellschaft. Damit gießt die EU-Kommission in Gesetze, wozu sich die EU-Staaten 2015 in Paris verpflichtet haben: die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Die meisten dieser Gesetze hat die EU inzwischen beschlossen - mit Stimmen von Christdemokraten, Sozialdemokraten, Grünen, Liberalen und Linken.
Nach Ansicht von der Leyens hat der "Green Deal" eine klare Vision geliefert, um Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen, und einen verbindlichen Gesetzesrahmen, der vom Europäischen Parlament und allen 27 Mitgliedsstaaten unterzeichnet wurde: "Damit ist der politische Wille Europas klar."
Dafür verschärft die EU den Handel mit Ausstoßgutschriften, indem sie schrittweise deren kostenlose Zuteilung beendet. Außerdem weitet sie den Emissionshandel auf Gebäude und Straßenverkehr aus. Ab 2035 werden keine Neuwagen mit Verbrennungsmotor mehr zugelassen. Der Anteil der Energie aus Sonne, Wind und Wasser am Gesamtverbrauch soll bis 2030 auf 42,5 Prozent steigen.
Allerdings sind die Mitgliedsstaaten uneins, ob Atomkraft eine Lösung im Kampf gegen den Klimawandel darstellt. Frankreich und Polen sehen das so, Deutschland und Österreich nicht.
Plötzlich kaum noch Konsens
Im vergangenen Jahr verschlechtert sich die politische Großwetterlage für den Klima- und Umweltschutz. Mit Blick auf die Europawahl scheuen sich Regierungen, ihre Bevölkerungen auf Veränderung und Verzicht einzustellen.
Frankreich und Belgien verlangen eine Pause bei den Umweltvorschriften. Unter dem Eindruck der Bauernproteste lockert die EU Auflagen.
Auch im EU-Parlament dreht sich der Wind. Der Fraktionschef der konservativen EVP, Manfred Weber, bekennt sich zwar zum Ziel, die EU klimaneutral zu machen: "Aber über den Weg darf gerungen werden. Beispielsweise war die Entscheidung, den Verbrennungsmotor zu verbieten, aus unserer Sicht eine Fehlentscheidung. Und wenn wir Mehrheiten haben, werden wir diese Fehlentscheidung in der nächsten Legislaturperiode rückgängig machen."
Die EVP-Fraktion, in der die Abgeordneten von CDU und CSU sitzen, bremst auch das Vorhaben, bis 2030 weniger Pflanzengifte in der Landwirtschaft einzusetzen. Sie blockiert ein Gesetz, um Wälder, Moore und Flüsse zu schützen. Damit rückt die EVP vom "Green Deal ab", dem Kernprojekt ihrer eigenen Spitzenkandidatin.
Richtungsentscheidung bei der Wahl
Zwischen von der Leyen und der EVP bestehe keine Liebesbeziehung, sagt Nicolai von Ondarza von der Stiftung Wissenschaft und Politik: "Man merkt immer wieder, dass die Fraktion sie eigentlich ein Stück weit nach rechts ziehen will."
Er erwarte also, dass von der Leyen sich im Wahlkampf in Richtung Fraktion bewegen und den "Green Deal" nicht in den Vordergrund stellen werde, meint von Ondarza:" Sie wird den Fokus eher auf Verteidigung, eine härtere Migrationspolitik und die Stärkung der Wirtschaft legen - also Themen, wo sie näher an ihrer Fraktion dran ist."
Im EU-Parlament haben die pro-europäischen Fraktionen den "Green Deal" lange weitgehend gemeinsam getragen. Dieser Zusammenhalt bröckelt. Der Grünen-Abgeordnete Michael Bloss sieht in der Europawahl deshalb eine Richtungsentscheidung, ob es mit dem "Green Deal" weitergeht oder nicht. Auf jeden Fall ist die Frage, wer noch wie weit hinter "Europas Mondlandung" steht, nun ein heiß diskutiertes Thema im Wahlkampf.