Friedrich Merz
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CDU-Chef zu Asylbewerbern Warum sich Merz' Aussage nicht halten lässt

Stand: 28.09.2023 15:24 Uhr

Eine Aussage von CDU-Chef Merz erweckt den Eindruck, dass abgelehnte Asylbewerber Zahnsanierungen erhalten und Deutsche deshalb keine Behandlungstermine bekommen. Faktisch lässt sich diese Aussage so nicht halten.

Von Corinna Emundts, ARD-aktuell und Wulf Rohwedder

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz ist schon häufiger durch Behauptungen zur Migration und Integration aufgefallen. Aktuell löste er mit einer Aussage zu abgelehnten Asylbewerbern eine heftige Diskussion aus:

Auch die Bevölkerung, die werden doch wahnsinnig, die Leute. Wenn die sehen, dass 300.000 Asylbewerber abgelehnt sind, nicht ausreisen, die vollen Leistungen bekommen, die volle Heilfürsorge bekommen. Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine.

So äußerte sich Merz im Talk des Fernsehsenders "Welt". Gegen die Aussage des CDU-Chefs gab es schnell Widerspruch, denn faktisch lässt sie sich nicht halten: Geduldete erhalten in den ersten 18 Monaten ihres Aufenthalts eine reduzierte medizinische Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.

"Rhetorische Knüppel", Journalist Stephan Anpalagan zur Aussage von CDU-Chef Merz

tagesschau24, 28.09.2023 18:00 Uhr

Zahnarzttermin nur in Notfällen

Konkret heißt das, dass sie nur in Notfällen Anspruch auf Gesundheitsversorgung ohne Erlaubnis der Behörde haben:

Zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sind die erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen zu gewähren. Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist.
Paragraf 4, Asylbewerberleistungsgesetz

GKV-Leistungen erst nach 18 Monaten

Jeder Zahnarzt müsse aufgrund der individuellen Situation des Patienten entscheiden, welche Untersuchungen und Behandlungen im Sinne des Asylbewerberleistungsgesetz notwendig und abgedeckt seien, schreibt die Bundeszahnärztekammer in einem Leitfaden zur zahnärztlichen Behandlung von Asylbewerbern.

Nach den ersten 18 Monaten des Aufenthalts werden Asylbewerber, auch solche mit Duldungsstatus, von den gesetzlichen Krankenkassen mitbetreut. Sie erhalten in einigen Bundesländern auch eine elektronische Gesundheitskarte, mit der sie nahezu dieselben Leistungen erhalten wie gesetzlich Krankenversicherte. Die Kosten holen sich die Kassen von den Behörden zurück.

Wie für alle gesetzlich Versicherten gilt dann auch für Asylbewerber, dass sie alle Kosten übernehmen müssen, die über dem festen Zuschuss der Kassen liegen: Diese zahlen nur die günstigste Lösung. Lediglich in Härtefällen wird auf eine Zuzahlung des Patienten verzichtet. Abgelehnte Asylbewerber werden also nicht bevorzugt behandelt, wie die Aussage des CDU-Chefs suggerieren könnte.

Laut Merz würden solche Leistungen als "Pull-Faktoren" wirken, die Migranten nach Deutschland locken. Migrationsexperten halten diese Theorie jedoch für überholt. Zu dem gleichen Ergebnis kommt auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags in einer Dokumentation. Demnach würden solche einfachen Erklärmodelle der Komplexität der Migrationsprozesse nicht gerecht werden.

Gibt es 300.000 Ausreisepflichtige?

Zum Stichtag 31. Dezember 2022 befanden sich laut Ausländerzentralregister insgesamt 304.308 vollziehbar ausreisepflichtige Menschen in Deutschland. Der Begriff ist jedoch problematisch, da 248.145 von ihnen eine Duldung besaßen. Das bedeutet, dass eine Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht möglich ist.

Für sie gelten strengere Regeln als für Asylbewerber, zum Beispiel eine eingeschränkte Bewegungsfreiheit. Zudem können unter bestimmten Bedingungen Leistungen reduziert und eine Arbeitserlaubnis verweigert werden. Sobald ein Ausreisetermin und eine Ausreisemöglichkeit für einen Asylbewerber feststeht, hat dieser ab dem Tag nach dem Ausreisetermin keinen Anspruch mehr auf Leistungen.

CDU/CSU-Fraktion löscht Merz-Video zeitweise

Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag schien zwischenzeitlich nicht mehr hinter der Aussage ihres Parteivorsitzenden zu stehen: Wie die "Bild" berichtet, hatte sie ein Video des Talks aus X, ehemals Twitter, gelöscht. Auf einem neu auf dem Kanal hochgeladenen Clip wurden die kritisierten Sätze entfernt. Inzwischen wurde die ursprüngliche Version wieder gepostet und mit einem Kommentar versehen:

Dazu hieß es:

Fakt ist:👇 Nach 18 Monaten steht Asylbewerbern, auch abgelehnten, grundsätzlich dieselbe medizinische Versorgung zu, wie gesetzlich Versicherten. Dies betrifft auch Zahnbehandlungen & Zahnersatz (§ 2 Abs. 1 AsylbLG) Abgelehnte Asylbewerber bzw. ausreisepflichtige Ausländer dürfen sich in aller Regel aufgrund der Verfahrensdauer länger als 18 Monate in Deutschland aufhalten. #CDUCSU
CDU/CSU-Bundestagsfraktion

Problematische Aussage zu ukrainischen Geflüchteten

Ähnlich wie Merz hatte sich am 23. September der AfD-Abgeordnete Martin Sichert im Bundestag zu Geflüchteten aus der Ukraine geäußert:

Während ukrainische Nobelkarossen vor deutschen Zahnarztpraxen stehen und Ukrainer sich auf Kosten der deutschen Beitragszahler die Zähne richten lassen, wissen viele Deutsche nicht mehr, wie sie angesichts der gestiegenen Lebenshaltungskosten selbst ihre Grundnahrungsmittel finanzieren sollen.
Martin Sichert

Der AfD-Abgeordnete Sichert behauptet, dass wohlhabende Ukrainer in Deutschland kostenlose Zahnbehandlungen erhalten.

Seit dem 1. Juni 2022 können Geflüchtete aus der Ukraine bei Hilfsbedürftigkeit Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende beantragen - das sogenannte Bürgergeld. Damit haben sie Anspruch auf Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB II oder SGB XII) - zum vollen Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung - sofern sie hilfebedürftig sind.

Sollte das nicht der Fall sein, weil sie über Vermögen verfügen oder eine Arbeit aufgenommen haben, dann müssen sie die Kassenbeiträge zahlen - oder die Behandlungen privat abrechnen lassen. So waren nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit im Juni 2023 192.700 Ukrainerinnen und Ukrainer im Deutschland beschäftigt. 152.400 von ihnen gingen einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nach.

Bis Oktober 2022 waren laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) rund 654.000 Ukrainerinnen und Ukrainer im Alter unter 65 Jahren in der Grundsicherung registriert, darunter gut 80 Prozent Frauen und Kinder.