Bundestagswahl 2025

Die Bundespolizei kontrolliert den Grenzübergang in Bad Bentheim.
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Streitpunkt im TV-Duell Zurückweisungen an der Grenze - was ist möglich?

Stand: 10.02.2025 16:41 Uhr

Im TV-Duell ging es auch um das Thema Zurückweisungen - Scholz und Merz widersprachen sich in Rechtsfragen. Wann sind Zurückweisungen erlaubt und wann nicht? Was sagt das Grundgesetz dazu?

Von Kolja Schwartz und Frank Bräutigam, ARD-Rechtsredaktion

Zwei Wochen vor der Bundestagswahl haben sich Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz am Sonntagabend im ersten TV-Duell einen 90-minütigen Schlagabtausch geliefert.

Ein zentrales Thema: Migration. Unter anderem forderte Merz erneut Zurückweisungen von Migranten an den deutschen Grenzen. Scholz verwies darauf, dass diese nicht zulässig seien. Gleichzeitig sprach Scholz davon, dass es bereits mehr als 40.000 Zurückweisungen gegeben habe. Merz erwiderte sinngemäß: Einerseits halte Scholz Zurückweisungen für rechtswidrig, andererseits gebe es sie.

In welcher Form sind Zurückweisungen möglich?

Eine zentrale Frage beim Thema Zurückweisungen ist: Berufen sich die ankommenden Menschen auf ein Recht auf Asyl oder nicht? Zwischen Januar und November 2024 hat Deutschland nach Angaben der Bundespolizei etwa 41.600 Personen an den deutschen Grenzen zurückgewiesen. Dabei geht es aber um Menschen, die kein Asyl beantragt haben. Daran sieht man, dass Zurückweisungen zum Teil rechtlich möglich sind.

Wenn Menschen aber an der Grenze zu erkennen geben, dass sie Asyl beantragen, gelten die Asylregelungen der Europäischen Union, denen sich Deutschland verpflichtet hat. Deutschland muss dann nach den europäischen Regeln zunächst prüfen, welches Land für dieses Asylverfahren zuständig ist.

Merz zitierte das Grundgesetz als Beleg - hat er damit recht?

In der Debatte verwies Merz auf Artikel 16a im Grundgesetz, wonach seiner Ansicht zufolge Zurückweisungen erlaubt seien. Dort steht in Absatz 2 sinngemäß: Flüchtlinge, die aus einem sichereren Drittstaat nach Deutschland kommen, haben kein Recht auf Asyl. Deutschland ist nur von sicheren Drittstaaten umgeben. Man könnte also aus diesem Absatz schließen, dass er Zurückweisungen an der deutschen Grenze erlaubt.

Aber: Artikel 16a Grundgesetz endet nicht mit Absatz 2. Er endet mit Absatz 5, den Merz nicht erwähnt. Darin steht sinngemäß: EU-Recht und anderes Völkerrecht gehen den deutschen Regeln vor. Das Grundgesetz verweist also ausdrücklich auf die europäischen und internationalen Regeln zum Thema Asyl.

Entscheidend bei der Frage, ob Zurückweisungen zulässig sind, bleibt deshalb das EU-Recht. In erster Linie die sogenannte Dublin-III-Verordnung. Auch nach dieser EU-Verordnung ist Deutschland in den meisten Fällen nicht zuständig für die Asylverfahren. Sondern das Land, in dem Flüchtende zum ersten Mal europäischen Boden betreten hat.

Aber: Deutschland muss nach den Regeln von Dublin-III zunächst einmal prüfen, welches EU-Land zuständig ist. Dorthin darf der Flüchtling dann überstellt, also quasi "abgeschoben" werden. Direkte Zurückweisungen an den deutschen Grenzen lässt das EU-Recht für Asylsuchende nach Ansicht der meisten Experten nicht zu.

Gestritten wird über die Frage, ob Deutschland einen Notstand erklären könnte, um dieses EU-Recht nicht mehr anwenden zu müssen. Ob in der aktuellen Situation so ein Notstand vorliegt, ist nicht abschließend geklärt. Alle Länder der EU, die das bisher versucht haben, sind damit bislang vor dem Europäischen Gerichtshof gescheitert.

Warum verwies Merz in der Debatte auf einen Historiker?

Es geht um einen Essay des Historikers Heinrich August Winkler, der ein SPD-Parteibuch hat. Er erschien mit dem Titel "Die deutsche Asyllegende" im Spiegel. Der Teaser des Artikels lautet: "Die Gegner der CDU-Vorschläge berufen sich auf das Grundgesetz. Die Verfassungsschöpfer wollten aber nie ein individuelles Grundrecht auf Asyl."

Die Gegner der CDU-Vorschläge, zum Beispiel Olaf Scholz, berufen sich beim Thema Zurückweisungen allerdings weniger auf das Grundgesetz, sondern vor allem auf EU-Recht. Den ausdrücklichen Verweis in Absatz 5 von Artikel 16a erwähnt Winkler nicht.

Zentrale These des Artikels ist dann: Die Mütter und Väter des Grundgesetzes hätten nie ein individuelles Grundrecht aus Asyl gewollt. Im Text stellt er nach seiner historischen Analyse später aber selbst fest: Es ist jedenfalls heute absolut anerkannt, dass das Grundgesetz ein individuelles Recht auf Asyl gewährt. Dieses Recht ist aktuell also ausweislich des Textes keine "Legende".

Weiter heißt es von Winkler: Es sei ein positivistisches und letztlich unpolitisches Verständnis von Politik, wenn man ständig, auch aus dem Munde des Bundeskanzlers, das Argument höre, dies oder jenes gebiete die Rechtslage und deshalb dürfe man nicht anders entscheiden. "Mit rechtsstaatlichen Mitteln auf die Änderung von Rechtslagen hinzuwirken, ist eine der vordringlichsten Aufgaben von Politik. Ob es sich dabei um deutsche oder europäische Gesetze oder um internationale Konventionen handelt: Sie lassen sich, den politischen Gestaltungswillen vorausgesetzt, ändern", schreibt er.

Selbstverständlich lassen sich geltende Gesetze ändern. Auf europäischer Ebene braucht man dafür aber die Zustimmung anderer Staaten. Das geht also nicht sofort. Solange die Rechtslage nicht geändert ist, müssen sich die EU-Mitgliedsstaaten an das geltende Recht halten. Argumente, dass Zurückweisungen Asylsuchender an der Grenze nach aktueller EU-Rechtslage möglich wären, nennt Winkler nicht.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 10. Februar 2025 um 17:00 Uhr.