Verfassungsgericht zu Drohneneinsätzen Macht sich Deutschland bei US-Angriffen mitschuldig?
Die USA nutzen die Militärbasis Ramstein für Kampfdrohnenangriffe im Jemen. Jemenitische Zivilisten halten die Einsätze für völkerrechtswidrig und haben die Bundesregierung verklagt. Heute verhandelt das Bundesverfassungsgericht.
Geklagt haben zwei jemenitische Staatsangehörige der Familie bin Ali Jaber. 2012 wurden zwei ihrer Angehörigen durch einen Kampfdrohnen-Angriff der USA getötet. Der Angriff galt eigentlich Al-Qaida-Terroristen. Getötet wurden dabei aber auch zwei Familienmitglieder der bin Ali Jabers: ein muslimischer Geistlicher und ein Polizist. Nachdem sich der Geistliche in seiner Predigt kritisch über Al-Qaida geäußert hatte, stellten die Terroristen ihn zur Rede. Beim Gespräch begleitete ihn zur Sicherheit sein Cousin, ein Polizist. Während des Gesprächs schlugen plötzlich mehrere Raketen einer US-amerikanischen Kampfdrohne ein und töteten alle Beteiligten. Die Kläger bekamen den Drohnenangriff mit. Sie saßen nicht weit vom Einschlagsort gerade zu Hause beim Essen.
"Drohnenüberflüge psychisch belastend"
Bis heute leiden die Kläger psychisch unter den Folgen des Angriffs auf ihre Angehörigen, erzählt ihr Anwalt, Andreas Schüller vom European Center For Constitutional And Human Rights (ECCHR). Die Menschenrechtsorganisation mit Sitz in Berlin unterstützt die beiden Kläger vor dem Bundesverfassungsgericht. Sie würden immer wieder davon berichten, wie psychisch belastend die Drohnenüberflüge seien. Sie wüssten nicht, wann an welcher Stelle zugeschlagen werde und was die Ziele seien, sodass sie auch ihr tägliches Verhalten nicht danach ausrichten könnten, so Schüller.
Per Glasfaser nach Deutschland, per Satellit in den Jemen
Die unbemannten Kampfdrohnen werden von den USA aus ferngesteuert. Zwischengeschaltet wird dabei die US-Militärbasis Ramstein in Rheinland-Pfalz. Dabei wird das Steuerungssignal per Unterwasser-Glasfaser von den USA nach Ramstein geschickt, und von dort über eine Satelliten-Relaisstation zu den Drohnen im Jemen weitergeleitet. Die Kampfdrohnen-Einsätze wären ohne Ramstein also nicht möglich.
Die Kläger sind der Ansicht, die Kampfdrohneneinsätze seien völkerrechtswidrig. Deutschland mache sich mitschuldig, weil es den USA erlaube, die Militärbasis in Ramstein zu nutzen, um die Drohnen zu steuern. Die Kläger sagen, die deutsche Bundesregierung treffe eine besondere Verantwortung, sie vor den völkerrechtswidrigen Drohnenangriffen schützen, weil diese durch die US-Militärbasis in Ramstein ermöglicht werden.
Dort würden nicht nur die Satellitensignale in den Jemen geschickt, sondern noch mehr: Zum Beispiel würden auch Satellitenbilder ausgewertet und dadurch mögliche Ziele ausgekundschaftet. Ramstein sei also ein zentraler Knotenpunkt für den gesamten Drohneneinsatz. Eine verfassungsrechtliche Schutzpflicht der Bundesregierung für das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Kläger ergebe sich aus Artikel 2 Grundgesetz. Diese Schutzpflicht habe die Bundesregierung verletzt.
Bundesverwaltungsgericht wies Klage zurück
Ursprünglich hatten drei Mitglieder der Familie bin Ali Jaber geklagt. Zunächst vor dem Verwaltungsgericht Köln. Das Gericht wies die Klage im Mai 2015 ab. Dagegen legten die Kläger Berufung vor dem Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in Münster ein. 2019 gab das OVG den Klägern recht. Es verurteilte die Bundesregierung dazu, "sich durch geeignete Maßnahmen zu vergewissern, dass eine Nutzung der Air Base Ramstein durch die Vereinigten Staaten von Amerika für Einsätze von unbemannten Fluggeräten, von denen Raketen zur Tötung von Personen abgeschossen werden, auf dem Gebiet der Republik Jemen […] nur im Einklang mit dem Völkerrecht […] stattfindet, sowie erforderlichenfalls auf dessen Einhaltung gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika hinzuwirken".
Das OVG war der Ansicht, dass die Bundesregierung eine Pflicht habe, das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Kläger zu schützen. Diese extraterritoriale Schutzpflicht ergebe sich aus Artikel 2 Grundgesetz. Sie bestehe deshalb, weil die Bundesregierung den USA die Militärbasis Ramstein für die Drohneneinsätze zur Verfügung stelle. Damit bestehe ein Bezug zwischen Deutschland und den jemenitischen Betroffenen. Das OVG meinte außerdem, dass die Regierung dieser Schutzpflicht nicht ausreichend nachgekommen sei.
Dieses Urteil wollte die Bundesregierung nicht akzeptieren und legte dagegen beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig Revision ein - mit Erfolg. Das Bundesverwaltungsgericht wies die Klage der drei Kläger ab. Es sah die Bemühungen der Bundesregierung, auf die USA einzuwirken, etwa durch regelmäßige diplomatische Gespräche, in diesem Fall als ausreichend an. Außerdem hätten die USA der deutschen Regierung zugesichert, sich an das Völkerrecht zu halten. Darüber hinausgehende Schritte habe die Bundesregierung nicht ergreifen müssen, so die Richterinnen und Richter des höchsten deutschen Verwaltungsgerichts.
"Deutschland muss auf USA einwirken"
Gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts legten zwei der drei Kläger 2021 Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Sie wollen erreichen, dass die Kampfdrohnen-Einsätze aufhören. In der Entscheidung, wie die deutsche Regierung das genau erreiche, sei sie zwar aus Sicht der Kläger relativ frei. Einwirken müsse die Bundesregierung auf die USA aber in jedem Fall, meint Andreas Schüller vom ECCHR. "Sie soll zumindest deutlich machen, dass völkerrechtlich eine Verpflichtung besteht, die Drohnenangriffe zu stoppen und nicht so weiterzuführen wie bislang."
Die Bundesregierung selbst ist der Ansicht, sie tue genug. Sie habe "wiederholt die Versicherung eingeholt, dass Einsätze von unbemannten Luftfahrzeugen von Deutschland aus in keiner Weise gestartet, gesteuert oder befehligt werden und dass die US-Streitkräfte bei ihren Aktivitäten geltendes Recht einhalten", so eine Sprecherin des Bundesverteidigungsministeriums.
Mündliche Verhandlung als "Hoffnungsschimmer"
Dass das Bundesverfassungsgericht eine mündliche Verhandlung angesetzt hat, dürfen die Kläger schon als Erfolg verbuchen. Denn es macht deutlich, dass das Gericht bei vielen rechtlichen Detailfragen größeren Klärungsbedarf sieht. Schüller vom ECCHR sieht darin "einen Hoffnungsschimmer für die Kläger". Mit einem Urteil ist frühestens in einigen Monaten zu rechnen.
Aktenzeichen: 2 BvR 508/21