Islamisten in Gefängnissen "Imame sind keine Lösung"
Experten machen sich Sorgen, dass muslimische Häftlinge sich in deutschen Gefängnissen radikalisieren könnten. Extremismus-Expertin Dantschke fordert im tagesschau.de-Interview mehr Sozialarbeiter und Pädagogen zur Prävention. Imame zur Deradikalisierung in die JVA zu schicken, sei jedoch der falsche Weg.
tagesschau.de: Angenommen, ein islamischer Terrorist kommt nach Deutschland: Es gibt eine Razzia, er wird festgenommen und landet im Knast. Wie groß ist die Gefahr aus Ihrer Sicht, dass er in einer Justizvollzugsanstalt andere Häftlinge radikalisiert?
Claudia Dantschke: Wenn eine einzelne Person ohne Anbindung an ein Netzwerk im Knast landet, ist die Gefahr erst mal nicht so groß. Natürlich spricht sich so etwas im Knast aber auch herum. Der mutmaßliche Terrorist ist dann eine Art Berühmtheit - und dann kann das im Knast ein Selbstläufer werden. Vielleicht spricht er arabisch und vielleicht gibt es in der JVA noch weitere, die arabisch können. Und vielleicht geben sie dann an, wenn sie Kontakt zu diesem "Prominenten" haben. So könnte sich das entwickeln.
Wenn hinter der Person auch ein islamistisches Netzwerk stehen sollte, dann wirkt das natürlich auch ins Gefängnis mit rein. Solche Netzwerke versuchen immer, die Gefangenen bei der Stange zu halten.
tagesschau.de: Eines dieser Netzwerke heißt al Asraa - "die Gefangenen". Hält auch sie die Islamisten im Gefängnis bei Stange?
Dantschke: Ja, und sie ist vor allem bestrebt, all diejenigen bei sich zu halten, die wegen eines Terrorvorwurfs in Haft sind. Ihr Slogan: "Unsere Kämpfer sind im Gefängnis. Und Muslime darf man nicht alleine lassen." Letztendlich wollen sie verhindern, dass die Dschihadisten abtrünnig werden. Sie könnten ja vor Gericht aussagen oder anfangen, Zweifel zu haben. Das Netzwerk hingegen will sie in der radikalen Szene halten.
"Keine organisierte Rekrutierung"
tagesschau.de: Europaweit ist davon die Rede, dass Dschihadisten in Gefängnissen andere Insassen anwerben könnten. Wie groß schätzen Sie das Problem der Radikalisierung speziell in Gefängnissen ein?
Dantschke: In Deutschland findet eine organisierte Rekrutierung zwar punktuell statt, aber die salafistische Szene ist nicht explizit angetreten, um im Gefängnis zu radikalisieren.
Dort, wo es aber Kontakte gibt, sind natürlich gerade Inhaftierte, die wegen Kriminalität, Gewaltdelikten oder Drogendelikten einsitzen, leichte Ziele für die Rekrutierer. Die Kriminellen sind häufig frustriert mit ihrem Leben, wissen mit sich nichts anzufangen und sind vielleicht auch gewaltbereit. Die Ideologie gibt ihnen dann die Legitimation zur Gewalt.
"Imame sind keine Lösung"
tagesschau.de: Manche Bundesländer setzen verstärkt auf Imame bei der De-Radikalisierung.
Dantschke: Das ist genau der falsche Ansatz! Viele von denen, die sich radikalisiert haben, sind nicht auf der Suche nach Religion gewesen. Die wollten nicht den Islam finden, sondern die wollten Aufmerksamkeit, eine Weltdeutung, eine Zukunftsperspektive. Wir müssen eher an die Wünsche der jungen Menschen ran. Der Imam ist aber nur für religiöse Seelsorge da, er ist kein Pädagoge. Er ist damit kein De-Radikalisierer.
tagesschau.de: Jedes Bundesland geht anders vor. Wäre es nicht besser, wenn es in Deutschland einen bundesweiten Ansatz gäbe, wie mit Islamisten in JVAs umzugehen ist?
Dantschke: Das wäre schon sinnvoll. Wir brauchen eine bundesweite Vernetzung, bestimmte Standards. Zumal auch die Gefangenen oft über Bundesländergrenzen hinweg verlegt werden. Wir brauchen eine Koordinierung und einen Fachaustausch auf Bundesebene.
"Viel und transparent kommunizieren"
tagesschau.de: Was bewirkt das Vorgehen gegen führende Islamisten in Deutschland, wie Abu Walaa, im muslimischen Teil unserer Gesellschaft?
Dantschke: Es muss viel und transparent kommuniziert werden: Warum diese Razzia, warum diese Verurteilung? Denn die große Mehrheit der Muslime ist gegen den IS. Viele muslimische Familien haben Angst, dass ihre Kinder sich radikalisieren und zum IS gehen könnten.
Und wenn man deutlich macht: Wir haben hier Leute festgenommen, die Kinder radikalisiert und dafür gesorgt haben, dass sie zu Mördern werden, dann verstehen das die Muslime und gehen den Weg auch mit.
tagesschau.de: Die Zahl der Ausreisen in das IS-Gebiet ist immerhin zurückgegangen.
Dantschke: Wir müssen aber aufpassen: Selbst wenn der IS weg ist, ist die Ideologie ja nicht weg. Es gibt immer noch andere Terrororganisationen wie Al Kaida. Und es kommen immer noch viele Flüchtlinge. Die kommen natürlich nicht primär hierher, um Anschläge zu begehen. Wir müssen aber aufpassen, ob nicht doch einige dschihadistische Organisationen versuchen, kleine Trupps mit einzuschleusen.
Die Flüchtlingseinrichtungen müssen mit entsprechenden Strukturen ausgestattet werden, um bei Bedarf gegenzusteuern. Man darf die Menschen, vor allem die Jugendlichen, nicht von früh bis spät Däumchen drehen lassen.
Mehr Fortbildung
tagesschau.de: Kanzlerin Angela Merkel ist kürzlich nach Tunesien geflogen. Eines der Themen: Die Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern, darunter auch mutmaßliche Terroristen. Ist es überhaupt richtig, solche Menschen an einen Staat wie Tunesien zurückzugeben, der mit dieser Aufgabe überfordert scheint?
Dantschke: Die meisten ausländischen IS-Kämpfer kommen aus Tunesien. Das Land wird also eh viele Rückkehrer haben, und die werden hochradikalisiert sein. Aber: Wenn ein Dschihadist aus Tunesien nach Deutschland kam, dann wird politisch nichts anderes möglich sein, als ihn abzuschieben. Insofern wäre es sinnvoll, wenn Deutschland Tunesien stärker mit Know-How unterstützt, um besser mit dem Thema Radikalisierung umzugehen.
tagesschau.de: Sind also besser ausgebildete Fachkräfte der Schlüssel beim Thema De-Radikalisierung?
Dantschke: Ja, aber wir brauchen dringend eine professionelle Ausbildung in diesem Bereich. Es geht nicht nur um Sozialarbeiter, sondern auch um pädagogische Ansätze. Wir brauchen viel mehr Fortbildung in diesem Sinne - auch für Lehrer und Gefängnismitarbeiter.
Das Interview führte Michael Stempfle, ARD-Hauptstadtstudio