ARD-DeutschlandTrend Migration und Wirtschaft wichtigste Themen
Gut sechs Wochen vor der Bundestagswahl gewinnt das Thema Migration stark an Bedeutung. Das zeigt der ARD-DeutschlandTrend. Auf Platz zwei: Wirtschaft. Die angekündigte SPD-"Aufholjagd" bleibt bislang aus.
An diesem Samstag will die SPD Olaf Scholz auch offiziell zu ihrem Kanzlerkandidaten küren. Eine "Aufholjagd" hat der amtierende Kanzler bis zur Bundestagswahl am 23. Februar versprochen - nach mehr als drei Jahren Regierungszeit, in denen sich die Sozialdemokraten von ihrem Wahlergebnis 2021 weit entfernt haben. Damals wurden sie mit 25,7 Prozent stärkste Kraft.
Gut sechs Wochen vor dem Wahltag zeigen sich in der Sonntagsfrage des ARD-DeutschlandTrends zwar leichte Verschiebungen - eine echte "Aufholjagd" ist bislang aber nicht zu spüren. Die SPD verbessert sich leicht auf 15 Prozent (+1 im Vergleich zu Mitte Dezember). Damit liegt sie weit hinter CDU/CSU, die zwei Punkte einbüßen und auf 31 Prozent kommen. Zwischen Union und SPD auf Platz zwei liegt die AfD mit nun 20 Prozent (+1) - ihr bester Wert seit einem Jahr.
Die Grünen kommen unverändert auf 14 Prozent. Dahinte r müssen nach aktuellem Stand gleich drei Parteien darum kämpfen, überhaupt die Mandatsschwelle zu überspringen. Am besten sind die Aussichten derzeit für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das auf 5 Prozent kommt. Die FDP und die Linke liegen derzeit bei 4 Prozent (jeweils +1). Alle anderen Parteien kommen zusammen auf 7 Prozent. Für die repräsentative Umfrage von infratest dimap wurden von Montag bis Mittwoch 1.323 Wahlberechtigte in Deutschland befragt.
Vorzeichen sind weniger SPD-freundlich als 2021
Auch 2021 schienen Scholz und seine SPD lange weit entfernt von einem Anspruch auf das Kanzleramt. Noch Anfang Juli 2021 standen sie im ARD-DeutschlandTrend ebenfalls bei 15 Prozent, ehe sie bis Anfang August auf 18 Prozent kletterten - noch immer 9 Punkte hinter CDU/CSU. Zu Beginn des Wahlmonats September lagen die Sozialdemokraten dann plötzlich bei 25 Prozent und damit 5 Punkte vor einer schwächelnden Union. Gut drei Wochen später gewann die SPD die Wahl.
Die Vorzeichen sind diesmal allerdings weit weniger SPD-freundlich. Vor der Wahl 2021 war Scholz bei einer Mehrheit der Wahlberechtigten in Deutschland beliebt, ließ die Kanzlerkandidaten von Union (Armin Laschet) und Grünen (Annalena Baerbock) weit hinter sich. Jetzt ist gerade einmal jeder Fünfte mit seiner Arbeit zufrieden. Und als SPD-Mutmacher muss die Tatsache herhalten, dass auch die Konkurrenz keinen begeisternden Kandidaten aufweisen kann.
Den höchsten Zufriedenheitswert erreicht aktuell Robert Habeck von den Grünen - mit gerade einmal 28 Prozent. Damit landet er noch vor dem Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz, der innerhalb eines Monats von 30 auf 25 Prozent absackt. Zum Vergleich: Auf exakt denselben Wert kam auch Laschet im Vorfeld jener Wahl 2021, bei der er das schlechteste Bundestagswahlergebnis der Unions-Geschichte zu verantworten hatte.
Migration und Wirtschaft im Problembewusstsein ganz vorne
Dass sich CDU und CSU aktuell große Hoffnung darauf machen dürfen, aus der Wahl als stärkste Kraft hervorzugehen, hat also weniger mit der Person Merz zu tun als mit einer für die Union günstigen Themenagenda. Denn das Problembewusstsein der Deutschen wird aktuell von Themen dominiert, bei denen die Deutschen regelmäßig CDU/CSU die größte Kompetenz zutrauen.
37 Prozent der Deutschen halten derzeit Zuwanderung beziehungsweise Flucht für eines der beiden wichtigsten politischen Probleme in Deutschland, um die sich die Politik kümmern muss. Damit hat dieses Thema in nur einem Monat deutlich an Bedeutung gewonnen (+14) und liegt gemeinsam mit der Wirtschaft (34 Prozent) vorne. Erst mit einigem Abstand folgen außenpolitische Fragen von Krieg und Frieden (14 Prozent), Umwelt und Klima (13 Prozent) sowie die soziale Ungerechtigkeit (11 Prozent).
Damit liegen zwei Themen vorn, die auch den bisherigen Wahlkampf bestimmen. Nach dem Anschlag in Magdeburg kurz vor Weihnachten, bei dem ein seit 2006 in Deutschland lebender Mann aus Saudi-Arabien nach jetzigem Stand sechs Menschen tötete und fast 300 verletzte, gibt das Tatmotiv den Behörden weiter Rätsel auf. Der Ton in der Migrationspolitik aber hat sich bereits verschärft.
Zuspruch für steuerfreie Überstunden-Zuschläge
Gleichzeitig tun sich die Parteien mit verschiedenen Ideen hervor, wie die Wirtschaft wieder angekurbelt werden kann. So hatten etwa Union und FDP jeweils gefordert, Zuschläge für geleistete Überstunden von Vollzeitbeschäftigten sollten künftig steuerfrei sein. Diese Forderung geht für vier von fünf Deutschen (78 Prozent) in die richtige Richtung.
Ähnlich hohen Zuspruch (71 Prozent) erntet der Vorschlag, staatliche Hilfen für Unternehmen zu gewähren, die in Deutschland investieren. Hierfür sprechen sich etwa SPD und Grüne aus. Eine Erhöhung des Mindestlohns von derzeit 12,82 Euro auf 15 Euro, den mehrere Parteien fordern, befürworten zwei Drittel der Deutschen (67 Prozent). Eine knappe Mehrheit (53 Prozent) fände eine allgemeine Senkung von Steuern für Unternehmen richtig; ein gutes Drittel (35 Prozent) sieht das anders.
Die AfD-Forderung, die CO2-Abgabe abzuschaffen, die für die Nutzung fossiler Brennstoffe anfällt, kommt bei knapp jedem Zweiten (48 Prozent) gut an; vier von zehn Deutschen (39 Prozent) fänden eine Abschaffung falsch.
Eine staatliche Kaufprämie für in Deutschland produzierte E-Autos haben mehrere Parteien ins Spiel gebracht; diese Maßnahme geht für ähnlich viele Menschen in die richtige Richtung (44 Prozent) wie in die falsche Richtung (45 Prozent). Eine von der AfD befürwortete Aufhebung der Wirtschaftssanktionen gegen Russland unterstützt gut jeder Vierte (28 Prozent); eine deutliche Mehrheit (61 Prozent) möchte die Sanktionen hingegen beibehalten.
Jeder Vierte fühlt sich in der Gesellschaft eher benachteiligt
Zwischen Kriegen und Krisen suchen viele Menschen aktuell nach Anlässen für Zuversicht. Einen solchen Anlass bietet für die meisten das Miteinander im Freundeskreis und der Familie, das fast ausnahmslos als gut beschrieben wird. Auch das Miteinander am Arbeitsplatz und in der eigenen Gemeinde oder Stadt wird mehrheitlich positiv bewertet. Anders verhält es sich mit dem öffentlichen Miteinander, etwa beim Einkaufen oder im Straßenverkehr. Die eine Hälfte empfindet es als gut, die andere als schlecht.
Als große Probleme für das Zusammenleben sieht eine deutliche Mehrheit der Deutschen vor allem Unterschiede zwischen Arm und Reich (77 Prozent) sowie kulturelle Unterschiede zwischen Menschen mit unterschiedlicher Herkunft (63 Prozent). Themen, die auch in diesem Wahlkampf präsent sind.
Zudem ist die Zahl jener Menschen zurückgegangen, die sich in unserer Gesellschaft angemessen behandelt fühlen: Zwei Drittel (66 Prozent) waren es im April 2018, jetzt sind es noch 56 Prozent. Gleichzeitig ist die Zahl jener Bürgerinnen und Bürger gestiegen, die sich im Vergleich zu anderen in der Gesellschaft eher benachteiligt fühlen: Im April 2018 waren es 16 Prozent, heute ist es jeder Vierte (24 Prozent).
Erhebungsmethode: Zufallsbasierte Online- und Telefon-Befragung (davon 60 Prozent Festnetz, 40 Prozent Mobilfunk)
Erhebungszeitraum: 06. bis 08. Januar 2025
Fallzahl: 1.323 Befragte (785 Telefoninterviews und 538 Online-Interviews)
Gewichtung: nach soziodemographischen Merkmalen und Rückerinnerung Wahlverhalten
Schwankungsbreite: 2 Prozentpunkte bei einem Anteilswert von 10 Prozent, 3 Prozentpunkte bei einem Anteilswert von 50 Prozent
Durchführendes Institut: infratest dimap
Die Ergebnisse sind auf ganze Prozentwerte gerundet, um falsche Erwartungen an die Präzision zu vermeiden. Denn für alle repräsentativen Befragungen müssen Schwankungsbreiten berücksichtigt werden. Diese betragen im Falle einer Erhebung mit 1.000 Befragten bei großen Parteien rund drei Prozentpunkte, bei kleineren Parteien etwa einen Punkt. Hinzu kommt, dass der Rundungsfehler für kleine Parteien erheblich ist. Aus diesen Gründen wird keine Partei unter drei Prozent in der Sonntagsfrage ausgewiesen.