DeutschlandTrend

ARD-DeutschlandTrend Viele Deutsche wollen zweite Chance für Wulff

Stand: 05.01.2012 22:18 Uhr

Die Mehrheit der Bevölkerung findet das Verhalten von Bundespräsident Wulff "peinlich" - dennoch sind 60 Prozent der Deutschen der Ansicht, er habe eine zweite Chance verdient. Das ist das Ergebnis einer Blitzbefragung des ARD-DeutschlandTrends. Bei der Sonntagsfrage rutscht die FDP weiter in den Keller. Kanzlerin Merkel erfährt großen Zuspruch.

Von Jörg Schönenborn, WDR

Vor allem eines fällt ins Auge: In der breiten Bevölkerung steht Bundespräsident Christian Wulff nach seinem Interview vom Mittwoch deutlich besser da als im Urteil der Medien. Während die Zeitungskommentatoren und Internet-Blogger fast einhellig den Stab über Wulff gebrochen haben, ist mit 60 Prozent die Mehrheit der Deutschen der Ansicht, der Präsident habe eine zweite Chance verdient. Das ist zumindest das Ergebnis der ersten Blitzbefragung im ARD-DeutschlandTrend nach Ausstrahlung des Interviews. Am Donnerstagnachmittag und -abend hat Infratest dimap 1000 repräsentativ ausgewählte Wahlberechtigte telefonisch befragt.

Eine Art Schutzreflex gegenüber Wulff

Überwältigend war offensichtlich das Interesse an dem Interview, denn 80 Prozent der Befragten geben an, entweder das Interview gesehen oder sich per Zeitung, Radio oder Internet informiert zu haben. Zwar ist mit 61 Prozent der größte Teil dieser Gruppe der Ansicht, Wulff habe während des Interviews eher nicht überzeugt, nur 30 Prozent fanden ihn überzeugend. Sogar 57 Prozent geben an, dass sie "das Verhalten unseres Bundespräsidenten peinlich finden", aber zugleich hat sich ein Schutzreflex eingestellt. Ebenfalls eine Mehrheit von 57 Prozent hat nämlich "den Eindruck, die Medien wollen ihn fertig machen".

Im Ergebnis waren am Donnerstag 56 Prozent der Ansicht, Wulff solle im Amt bleiben, nur 41 Prozent fordern noch seinen Rücktritt. Am Mittwoch war das Bild noch umgekehrt. Da hatten 50 Prozent seinen Rücktritt gefordert und sich nur 47 Prozent für den Verbleib im Amt ausgesprochen.

Glaubwürdigkeit Wulffs gestiegen

Wulff ist in der öffentlichen Meinung eindeutig noch nicht aus dem Schneider. Seine Glaubwürdigkeit ist gegenüber Mittwoch um zehn Punkte von 27 auf 37 Prozent gestiegen, und statt am Mittwoch 22 Prozent, halten ihn am Donnerstag 31 Prozent für ehrlich. Aber das ist nicht mehr als ein positiver Trend. Und wie schnell dieser Trend sich drehen kann, haben die Einzelerhebungen in der vergangenen Woche gezeigt. Wulff hat von der Mehrheit der Fernsehzuschauer einen "Kredit" bekommen, einen Vertrauensvorschuss. Wenn er diesen Vorschuss nicht sehr bald zurückzahlt, wenn etwa neue, bisher nicht bekannte Unregelmäßigkeiten auftauchen sollten, dann wird auf die Öffentlichkeit nicht mehr zählen können.

FDP nur noch bei zwei Prozent

Die Mailbox-Affäre hat in dieser Woche so hohe Wellen geschlagen, dass die Parteipolitik in den Hintergrund getreten ist - trotz CSU-Klausur und FDP-Dreikönigstreffen. Dabei enthält der ARD-DeutschlandTrend für die FDP am Vorabend ihres wichtigen Treffens bittere Nachrichten. Zum ersten Mal in der 15-jährigen Geschichte unserer Erhebungen erreicht die FDP nur zwei Prozent, muss also erneut gegenüber dem Vormonat einen Punkt abgeben. Unverändert sind die drei größeren Parteien: Die Union bleibt bei 35, die SPD bei 30 und die Grünen bei 16 Prozent. Die Linkspartei verliert einen Punkt auf sechs Prozent und ist nun gleichauf mit den Piraten, die ebenfalls sechs Prozent verzeichnen.

Noch nie war die FDP in einer so tiefen und vor allen Dingen lang anhaltenden Krise. Seit dem Sommer 2010 schwankte sie zwischen vier und sechs Prozent, rutschte Anfang Oktober erstmals auf drei Prozent und nun zum Jahresbeginn auf zwei Prozent.

Liberale sind Schlusslicht beim Thema Glaubwürdigkeit

Die Gründe dafür sind in erster Linie inhaltlicher und nicht personeller Natur. Schlusslicht unter allen Parteien ist die FDP beim Stichwort Glaubwürdigkeit. Während 57 Prozent der Befragten die SPD und 54 Prozent die Grünen für insgesamt glaubwürdig halten, sind es bei der FDP nur 15 Prozent. Selbst die Linkspartei und die Piraten stehen mit 16 und 17 Prozent ein bisschen besser da. Auf konkrete Nachfrage erklären dann 83 Prozent der Befragten, "die FDP verspricht seit Jahren vieles, was sie nicht gehalten hat." Auch der innerparteiliche Streit um den Kurs in der Euro-Krise hat Spuren hinterlassen: 72 Prozent bemängeln: Man wisse nicht, "wo die FDP bei diesem Thema eigentlich steht". Danach folgt erst die "schlechte Arbeit der FDP-Minister im Kabinett", die 65 Prozent als entscheidenden Grund für die schlechte Lage der Partei nennen.

Liberale Spitzenpolitiker auf den hinteren Plätzen

Trotz dieser vor allem inhaltlichen Kritik ist natürlich auch die personelle Lage der FDP prekär. Unter den abgefragten wichtigsten Spitzenpolitikern liegen drei Liberale auf den letzten Plätzen. Fraktionschef Brüderle hat noch 27 Prozent Zustimmung, Außenminister Westerwelle 25 Prozent, und Parteichef Rösler ist mit 20 Prozent das Schlusslicht.

Dagegen haben an der Spitze der Tabelle CDU-Politiker spürbar zugelegt. Verteidigungsminister de Maizière (plus 7 Punkte), Finanzminister Schäuble (plus 8) und Kanzlerin Merkel (plus 9) erreichen gleichermaßen 63 Prozent Zustimmung und bilden damit das Spitzentrio. Keine(r) der Drei ist in den letzten Wochen durch besondere politische Initiativen aufgefallen. Aus meiner Sicht spricht vieles dafür, dass sie von der großen Enttäuschung über Bundespräsident Wulff profitieren. Denn gerade im Vergleich zu ihm wirken Merkel, de Maizière und Schäuble integer und glaubwürdig. Sie sind frei von persönlichen Affären und dem Verdacht, ein öffentliches Amt für private Interessen auszunutzen.

Steinmeier vor Steinbrück

Interessanterweise hat sich unter den Spitzen der Sozialdemokraten eine neue Rangfolge gebildet. In der Liste der Spitzenpolitiker rangiert Frank-Walter Steinmeier mit 58 Prozent (plus 1) jetzt deutlich vor Ex-Finanzminister Peer Steinbrück mit 53 Prozent (minus 4). Das ist das eine. Zum anderen aber schneidet Steinmeier im Vergleich zu seinen innerparteilichen Konkurrenten im Direktwahl-Vergleich mit Merkel erstmals am besten ab. Merkel führt zwar alle drei Duelle klar an, aber gegenüber Steinmeier ist der Abstand am kleinsten. Hier kommt Merkel für den Fall, dass man den Regierungschef direkt wählen könnte, auf 48 zu 38 Prozent. Gegenüber Steinbrück lautet das Ergebnis 49 zu 36 Prozent und gegenüber Parteichef Gabriel sogar 55 zu 30. Hier ist der Vorsprung für die Kanzlerin mit Abstand am größten.

"Rente mit 67" wird mehrheitlich als sozial ungerecht empfunden

Während die regierende CDU nach wie vor von der als ausgesprochen gut bewerteten Wirtschaftslage profitiert, fehlt der SPD ein überzeugendes Thema. Sie engagiert sich zwar in der Diskussion über die "Rente mit 67", aber der Öffentlichkeit ist bewusst, dass es einst der SPD-Minister Franz Müntefering war, der das Gesetz einbrachte. Zwar gibt es nur noch eine relativ knappe Mehrheit von 55 Prozent, die fordert, die Rente mit 67 rückgängig zu machen (41 Prozent dagegen). Aber sie wird immer noch von einer deutlichen Mehrheit als sozial ungerecht empfunden. 77 Prozent sehen in der Rente mit 67 "eine verdeckte Rentenkürzung". Und 88 Prozent unterstützen die Forderung, der Staat müsse dafür "sorgen, dass es auch für ältere Arbeitnehmer Stellen gibt".

Bleibt zu Beginn eines Jahres, das mit einer Politikeraffäre und Rücktrittsspekulationen begonnen hat, noch der Blick in den Kaffeesatz. Wer wird das politische Jahr überleben, wer am Ende von 2012 ganz vorne mitspielen? 70 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass am 31. Dezember die schwarz-gelbe Koalition noch regieren und Merkel Bundeskanzlerin sein wird.

Wer könnte gehen, wer wiederkommen?

Weniger als die Hälfte, nämlich 45 Prozent glauben, dass Bundespräsident Wulff sein Amt am Ende des Jahres noch ausüben wird, und ganze 30 Prozent rechnen damit, dass Rösler in seiner Rolle als Parteivorsitzender der FDP überlebt. Aber auch ein potentieller Rückkehrer scheint eher schlechte Chancen zu haben. Gerade mal jeder Dritte (37 Prozent) glaubt, dass Karl-Theodor zu Guttenberg dann in die deutsche Politik zurückgekehrt sein wird.

Untersuchungsanlage DeutschlandTrend

Grundgesamtheit: Wahlberechtigte Bevölkerung in Deutschland ab 18 Jahren
Stichprobe: Repräsentative Zufallsauswahl / Randomstichprobe
Erhebungsverfahren: Computergestützte Telefoninterviews (CATI)
Fallzahl: 1000 Befragte
Erhebungszeitraum: 02. und 03. Januar 2012
Erhebungszeitraum Wulff-Umfrage: 05. Januar 2012
Fallzahl Sonntagsfrage: 1500 Befragte
Erhebungszeitraum: 02. bis 04. Januar 2012
Fehlertoleranz: 1,4* bis 3,1** Prozentpunkte
* bei einem Anteilswert von 5%, ** bei einem Anteilswert von 50%