Interview

Polizeiforscher zum DFL-Papier "Drohungen der Politik grenzen an Nötigung"

Stand: 12.12.2012 03:43 Uhr

Das DFL-Sicherheitspapier sorgt seit Wochen für Streit zwischen Politik, DFL, Vereinen und Fans. Der Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes betont im Interview mit tagesschau.de, die Stadien seien bereits sicher. Der Druck der Politik auf den Fußball grenze zudem an Nötigung.

tagesschau.de: Inwieweit wurden bislang die Fangruppen in die Sicherheitsdebatte eingebunden?

Thomas Feltes: Es gibt nicht "die Fangruppen". Wir beobachten seit geraumer Zeit eine Tendenz zu immer mehr unterschiedlichen und teilweise auch untereinander zerstrittenen Fangruppierungen. DFL und DFB reden, wenn überhaupt, nur mit dem "Mainstream". Vor allem viele Ultra-Gruppierungen verweigern sich aber diesem Dialog mit der Begründung, dass es eben kein Gespräch auf Augenhöhe sei. Und da ist durchaus was dran.

Zur Person
Professor Dr. Thomas Feltes lehrt Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum. Feltes war im wissenschaftlichen DFL-Beirat tätig, die Zusammenarbeit wurde beendet, nachdem Feltes deutliche Kritk an der Fußball-Liga geübt hatte.

tagesschau.de: Wie sinnvoll ist das Sicherheitskonzept?

Feltes: Als Wissenschaftler beantwortet man die Frage nach dem Sinn danach, ob es ein Ziel gibt, das erreicht werden kann, und ob dieses Ziel dann auch erreicht worden ist. Schon bei der Zieldefinition habe ich Probleme: Ein sicheres Stadion haben wir bereits. Wo wir Probleme haben, ist bei der An- und Abreise. Und dafür sind, da wir uns im öffentlichen Raum bewegen, die Bundes- und Landespolizeien zuständig, und damit die Innenminister selbst - und gerade nicht die Vereine, und schon gar nicht die DFL. Zudem kann das Ziel mit diesen Mitteln nicht erreicht werden. Im Gegenteil: Es ist eine weitere Eskalation und Verschärfung der Situation zu befürchten. Einige Innenminister versuchen, sich auf dem Rücken von Polizeibeamten und Fans zu profilieren. Kein guter Stil.

tagesschau.de: Inwieweit sind beispielsweise Ganzkörperkontrollen oder mehr "Transparenz" bei staatlichen Ermittlungen mit rechtsstaatlichen Prinzipien vereinbar?

Feltes: Nacktkontrollen - und darum geht es - sind schlichtweg rechtswidrig, da unverhältnismäßig. Die Polizei darf sie nicht durchführen, da es hierfür keine Rechtsgrundlage gibt: Wenn eine konkrete Gefahr besteht, dann darf - und muss - sie einschreiten und jemanden festnehmen oder auch durchsuchen. Aber sie darf nicht auf gut Glück und nur, weil ein genereller Verdacht vorliegt, in dieser Form durchsuchen. Denn dabei handelt es sich um eine Untersuchung und nicht Durchsuchung, die nur unter sehr engen Voraussetzungen zulässig ist und von einem Richter angeordnet werden muss.

Wenn die Polizei es aber nicht darf, dann dürfen die Vereine es erst recht nicht, zumal die Stadionordnungen dies nicht vorsehen. Und wenn sie es vorsehen würden, dann wäre diese Klausel ungültig, da unverhältnismäßig. Ungeachtet dessen sind solche Untersuchungen schlicht wirkungslos, da es andere, bessere und einfachere Möglichkeiten gibt, Pyro ins Stadion zu bringen. Letztendlich will man hier auch nur abschrecken.

Zündeln mit Pyro - und mit Worten

tagesschau.de: Wie bewerten Sie die Drohungen von Innenpolitikern in Richtung Vereine und Fans, was das Sicherheitskonzept angeht?

Feltes: Das grenzt an Nötigung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Innenpolitiker so schlecht beraten gewesen sind, dass sie nicht wissen, dass einige ihrer Forderungen rechtlich unzulässig sind, andere nicht umsetzbar. Das ist symbolische Politik. Man will den starken Mann markieren, muss aber aufpassen, dass man nicht am Ende als derjenige dasteht, der nur mehr Öl ins Feuer gegossen hat. Die Ultras zündeln mit Pyro, die Innenminister mit Worten.

tagesschau.de: Welches Bild haben die Verbände und Politik von den Fans?

Feltes: Offensichtlich weder ein gutes noch ein sehr genaues, denn sonst würden sie nicht so sehr an der Sache vorbei argumentieren. Wie der ehemalige DFB-Sicherheitsbeauftragte Helmut Spahn zu Recht sagte: Nur die wenigsten, die hier mitreden, wissen worum es geht. Auch DFL und DFB entfernen sich immer weiter von der Realität: die DFL geblendet von ihren wirtschaftlichen Erfolgen, der DFB aufgrund seiner Unprofessionalität im Umgang mit Sicherheit.

tagesschau.de: Welchen Stellenwert und Einfluss haben die Fans für den Fußball?

Feltes: Was passiert, wenn die Fans schweigen, haben wir ja gesehen. Man kann sich ein Spiel über 90 Minuten ohne Fangesänge vorstellen, das will aber keiner. Und: Ohne die Fans verkommt der Fußball zu einem Instrument der asiatischen Wettmafia und der organisierten Kriminalität. Dies sieht man in vielen Staaten weltweit, wo kaum noch jemand zu den Spielen geht und die Spiele zumeist manipuliert sind. Die Fans sind ein wichtiges Kontrollinstrument für einen sauberen, fairen Sport. Dies wird bislang zu wenig beachtet.

Das Interview führte Patrick Gensing, tagesschau.de

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 12. Dezember 2012 um 09:15 Uhr.