FAQ zum Wiederaufnahmeverfahren Was bringt Mollath das Urteil?
Das Wiederaufnahmeverfahren war für Mollath die einzige Chance, gegen seine jahrelange Unterbringung in der Psychiatrie durch das rechtskräftige Urteil von 2006 vorzugehen. Doch was bringt ihm der Freispruch im Wiederaufnahmeverfahren und welche Folgen hat er?
Wie lautete das erste Urteil?
Im Jahr 2006 stand Gustl Mollath erstmals vor Gericht. Der Vorwurf: Er habe seine damalige Frau misshandelt und mehrere Autoreifen zerstochen. Das Landgericht Nürnberg-Fürth sah es damals zwar als erwiesen an, dass Mollath diese Taten begangen hat. Dennoch sprach es ihn wegen möglicher Schuldunfähigkeit frei. Ein Gutachter hatte ihm eine psychische Störung und paranoide Symptome bescheinigt. Mollath sei gemeingefährlich. Das Gericht verurteilte Mollath also nicht, ordnete aber die Unterbringung Mollaths in der Psychiatrie an. Mollath legte gegen diese Entscheidung Revision ein - erfolglos.
Wie kam es jetzt zu einem neuen Verfahren?
Nach Jahren in der Psychiatrie häuften sich die Zweifel an Mollaths Gemeingefährlichkeit, auch ausgelöst durch verschiedene Medienrecherchen. Im März 2013 beantragte die Staatsanwaltschaft schließlich die Wiederaufnahme des Verfahrens. Das aber wurde zunächst im Juli 2013 vom Landgericht Regensburg abgelehnt. Auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft ließ das Oberlandesgericht Nürnberg aber im August 2013 die Wiederaufnahme zu. Mollath wurde aus der Psychiatrie entlassen - nach rund sieben Jahren. Ein knappes Jahr später, im Juli 2014, begann Mollaths neuer Prozess.
Was ist ein Wiederaufnahmeverfahren?
Das Wiederaufnahmeverfahren ist ein spezieller Rechtsbehelf, mit dem man bereits rechtskräftige, also eigentlich endgültige Entscheidungen angreifen kann. Die "Wiederaufnahme" dient der nachträglichen Korrektur von krassen Fehlentscheidungen. Ein Strafurteil ist rechtskräftig, wenn es nicht mehr mit den herkömmlichen Rechtsmitteln "Berufung" und "Revision" angegriffen werden kann.
Im Fall Mollath hatte der Bundesgerichtshof die Revision zurückgewiesen. In solchen Situationen prallen stets zwei Grundsätze aufeinander: "Gerechtigkeit" gegen "Rechtssicherheit". Ob Verurteilung oder Freispruch - ein falsches Urteil widerspricht massiv unserem Verständnis von Gerechtigkeit. Zu einem Rechtsstaat gehört aber auch, dass irgendwann Rechtssicherheit eintritt und ein Verfahren endgültig ("rechtskräftig") abgeschlossen wird, nachdem es mehrere Instanzen geprüft haben.
Um in diesem Spannungsfeld einen Ausgleich hinzubekommen, hat der Gesetzgeber festgelegt: In bestimmten Fällen muss man auch die Rechtskraft von Strafurteilen durchbrechen können, also: Gerechtigkeit vor Rechtssicherheit. Wird - wie im Fall Mollath - eine Wiederaufnahme zugunsten des Angeklagten betrieben, sieht das Gesetz vor, dass er im Ergebnis nicht schlechter gestellt werden darf als im ersten Urteil.
Was genau hat das Landgericht jetzt entschieden?
Nach 15 Verhandlungstagen hat nun das Landgericht Regensburg sein Urteil im wiederaufgenommenen Verfahren verkündet: Freispruch für Mollath. Denn eine Verurteilung kann es nur dann geben, wenn eine objektive und eine subjektive Seite erfüllt sind: Zur Erfüllung des Tatbestandes (also zum Beispiel Körperverletzung) muss noch die Schuldfähigkeit des Angeklagten hinzukommen. Daran fehlt es hier. Das Gericht sieht es zwar als erwiesen an, dass Mollath seine Ex-Frau misshandelt hat, kann aber nicht ausschließen, dass er zum Zeitpunkt der Tat schuldunfähig war.
Insoweit ähnelt das neue Urteil dem ersten von 2006 - allerdings mit dem wesentlichen Unterschied, dass Mollath nun nicht mehr als ein Fall für die Psychiatrie betrachtet wird. Nicht jeder Angeklagte, der wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen wird, muss eine Einweisung fürchten. Dafür müssten dann weitere wesentliche Umstände (z.B. Gemeingefährlichkeit) hinzukommen. Diese sieht das Landgericht Regensburg nicht.
Im zweiten Anklagepunkt, den zerstochenen Autoreifen, fehlen dem Gericht schon die Beweise dafür, dass Mollath die Tat überhaupt begangen hat. Auf die Frage einer möglichen Schuldunfähigkeit kommt es hier also gar nicht an, Mollath wird also auch insoweit freigesprochen.
Kommt es auf das vielzitierte "Verschlechterungsverbot" im Wiederaufnahmeverfahren überhaupt an?
Nein. Das "Verschlechterungsverbot" besagt, dass das Urteil im Wiederaufnahmeverfahren nicht zum Nachteil des Verurteilten abgeändert werden darf. Dem liegt der Gedanke zu Grunde, dass der Angeklagte keine Angst haben soll, ein Rechtsmittel einzulegen, weil ihm dadurch möglicherweise ein Nachteil entstehen könnte. Dem Angeklagten sollen also die durch das erste Urteil erlangten Vorteile erhalten bleiben.
Hier ist aber Mollath gar kein Nachteil entstanden: Er wurde vom Landgericht Regensburg freigesprochen, eine Unterbringung in der Psychiatrie wurde nicht angeordnet. Das neue Urteil ist also schon gar nicht "schlechter" als das vorige, sondern zumindest von der Begründung her "besser". Auch wenn also Mollath andere Erwartungen gehabt hat - auf das Verbot einer Schlechterstellung des Angeklagten muss gar nicht zurückgegriffen werden.
Kann sich Mollath gegen dieses Urteil wehren?
Mollath wollte mit der Wiederaufnahme des Verfahrens laut eigener Aussage einen vollumfänglichen Freispruch vom Tatvorwurf, also die Bestätigung: "Ich war es nicht." Und ein neues Urteil sollte zudem auch den "Makel" beseitigen, den die Unterbringung in der Psychiatrie für ihn bedeutet hat. Nun hat das Landgericht Regensburg bezüglich der Misshandlung von Mollaths Frau entschieden: Der Tatbestand sei erfüllt, zu einer Verurteilung komme es aber nicht, weil Mollath bei der Tat möglicherweise schuldunfähig gewesen sei.
Mollath wird damit nicht zufrieden sein. Dennoch: In Revision gehen kann er gegen dieses Urteil nicht. Zwar kann man grundsätzlich auch im Wiederaufnahmeverfahren die regulären Rechtsmittel gegen Urteile einlegen. Wie immer gilt dabei aber, dass nur derjenige ein Rechtsmittel einlegen kann, der durch das angegriffene Urteil "beschwert" ist. Da Mollath freigesprochen wurde, ist das nicht der Fall. Ein freigesprochener Angeklagter kann nicht gegen seinen eigenen Freispruch in Revision gehen, weil ihm die Begründung des Freispruchs nicht passt.
Warum bekommt Mollath eine Entschädigung?
Mollath war fast sieben Jahre lang in psychiatrischen Einrichtungen untergebracht - zu Unrecht, wie jetzt entschieden wurde. Trotz möglicher Schuldunfähigkeit zum Tatzeitpunkt sei Mollath eben kein Fall für die Psychiatrie, so das Urteil im Wiederaufnahmeverfahren. Die Unterbringung Mollaths in der Psychiatrie im Jahr 2006 erfolgte also zu Unrecht. Darum hat er Anspruch auf eine Entschädigung, um dieses Unrecht wieder auszugleichen. Das Gesetz sieht eine Geldentschädigung vor, die Höhe beträgt 25 Euro pro Tag, den Mollath zu Unrecht der Psychiatrie verbringen musste. Kritiker bemängeln, dass dieser vergleichsweise überschaubare Betrag eine Freiheitsentziehung nicht aufwiege, das Gesetz sieht jedoch derzeit keine höheren Summen vor. Streng genommen können von der Summe sogar noch Abzüge für "Kost und Logis" vorgenommen werden.
Die Anwaltskosten und die Kosten des Gerichtsverfahrens fallen wegen des Freispruchs jetzt der Staatskasse zu Last.
Welche Bedeutung hat der Fall Mollath?
Der Fall Mollath hat die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf das System der Unterbringung in der Psychiatrie gelenkt und Missstände offenbart. Sowohl was die erstmalige Anordnung einer solchen "Maßregel" betrifft, als auch die Verlängerung derselben von Jahr zu Jahr. Für die Betroffenen hat eine Unterbringung ähnlich einschneidende Folgen wie eine Verurteilung zu einer Haftstrafe. Die Betroffenen verlieren ihre persönliche Freiheit. Wichtig also, dass hier klare Regeln und hohe Hürden dafür sorgen, dass nicht die Falschen untergebracht werden.
Im Fall Mollath hat sich sogar das Bundesverfassungsgericht geäußert und angemahnt, dass die Gerichte nicht zu leichtfertig die Unterbringung in der Psychiatrie anordnen dürfen. Der Fall Mollath hat also eine wichtige juristische Grundsatzdebatte angestoßen.