Bezahlkarte für Asylsuchende "Die Städte wollen keinen Flickenteppich"
Mit der Bezahlkarte für Asylsuchende soll der Verwaltungsaufwand für Städte und Gemeinden sinken. Ob das klappt, ist unklar. In Nordrhein-Westfalen sollen die Kommunen selbst über die Bezahlkarte entscheiden können.
Das Land Nordrhein-Westfalen stellt den Kommunen frei, ob sie die umstrittene Bezahlkarte für Asylbewerber einführen. Die Städte und Gemeinden müssten auch die Kosten für die Einführung der Karte selbst tragen, sagte ein Sprecher der Landesregierung von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) dem WDR: "Eine Übernahme der in den Kommunen entstehenden Kosten durch das Land ist in Nordrhein-Westfalen - auch vor dem Hintergrund der mit der Einführung verbundenen Entlastungen - nicht geplant. Anderseits wird es in Nordrhein-Westfalen auch keinen Anschlusszwang für die Kommunen geben." Der Bund werde sich an den mit der Einführung der Bezahlkarte verbundenen Kosten ebenfalls nicht beteiligen.
In der vergangenen Woche hatten sich 14 der 16 Bundesländer auf einen Fahrplan für eine Bezahlkarte für Asylbewerber verständigt. Die Einführung ist im Sommer oder spätestens im Herbst geplant. "Mit der Einführung der Bezahlkarte senken wir den Verwaltungsaufwand bei den Kommunen, unterbinden die Möglichkeit, Geld aus staatlicher Unterstützung in die Herkunftsländer zu überweisen und bekämpfen dadurch die menschenverachtende Schlepperkriminalität", hatte Hessens Regierungschef Boris Rhein (CDU) als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz gesagt.
Länder entscheiden über Höhe des Betrags
Mit der Karte sollen Asylsuchende nach einheitlichen Standards einen Teil der ihnen zustehenden Leistungen als Guthaben statt per Barauszahlung erhalten. Die Karte soll ohne Kontobindung funktionieren und bundesweit in allen Branchen einsetzbar sein. Die Länder entscheiden selbst über die Höhe des Betrags und weitere Zusatzfunktionen und können die Nutzung regional einschränken und Branchen ausschließen.
Wenn die nordrhein-westfälische Landesregierung davon spricht, dass es keinen "Anschlusszwang" für Kommunen geben soll, wirft das Fragen auf. Bedeutet dies, dass nun ein Flickenteppich von unterschiedlichen Regelungen in Ländern und Kommunen entsteht? Dass jede Kommune selbst entscheidet, wie sie mit der Bezahlkarte umgeht? Die Verunsicherung ist groß.
Kein Kommentar der zuständigen Ministerien
"Das Land muss sich jetzt mit den Kommunen zusammensetzen und mit ihnen besprechen, was die Karte im Einzelnen leisten soll und in welchem Rahmen die Städte und Gemeinden sie nutzen können", sagte ein Sprecher des Städte- und Gemeindebunds in Düsseldorf. "Für uns ist klar, dass Bund und Land die Kosten vollständig übernehmen müssen."
Helmut Dedy, Geschäftsführer des Städtetags, sagte: "Die neue Bezahlkarte für Asylbewerber bringt nur einen Fortschritt, wenn der Verwaltungsaufwand vor Ort sinkt und die Kosten für das neue System nicht bei den Kommunen hängen bleiben." Es müsse sichergestellt werden, dass die Geldkarte einfach handhabbar ist, sowohl für Asylsuchende als auch die Kommunen. "Die Städte wollen keinen Flickenteppich: Die Bezahlkarte muss im ganzen Land angewendet werden."
Zu den Plänen von Nordrhein-Westfalen gab es auf Anfrage des WDR weder von Hessen, das die Länder-Bund-Arbeitsgruppe zur Bezahlkarte koordiniert, noch vom Bundesinnenministerium oder vom Bundessozialministerium einen Kommentar.
In Niedersachsen liefen derzeit Gespräche zwischen Landesregierung und Kommunen zur Ausgestaltung der Bezahlkarte, sagte eine Sprecherin der Staatskanzlei in Hannover. Anders das Vorgehen in Sachsen: Dort sagte eine Sprecherin des Innenministeriums auf Anfrage, den Kommunen stehe es "frei, selbst Bezahlkarten als Zwischenlösung einzuführen und zu gegebener Zeit auf die bundeseinheitliche Variante umzusteigen".
Ob auch in anderen Bundesländern eine ähnlich unübersichtliche Situation entstehen könnte, wie sie sich für Nordrhein-Westfalen andeutet, ist offen.
Bayern will "schneller und härter" sein
Bayern und Mecklenburg-Vorpommern wollen die Bezahlkarte ebenfalls einführen, gehen bei der Vergabe aber eigene Wege. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) teilte am Sonntag beim Twitternachfolger X mit: "Unsere Bezahlkarte kommt schneller und ist härter."
Bargeld gebe es im Freistaat "nur noch als kleines Taschengeld bis 50 Euro", kündigte Söder an. Es könnten nur noch Waren in Geschäften des täglichen Gebrauchs gekauft werden. Online-Shopping, Glücksspielteilnahme und Überweisungen ins Ausland würden gestoppt. Laut einem Bericht der "Bild"-Zeitung will Söder die "Bayern-Karte" in einem Monat als Pilotprojekt in vier Kommunen an den Start bringen.
Komplizierte Lage für Wüst
In Nordrhein-Westfalen ist die Lage für Ministerpräsident Wüst, der wie Söder zum Kreis der möglichen Kanzlerkandidaten der Union zählt, nicht einfach. Einerseits geht der CDU-Politiker beim Asylthema immer wieder in die Offensive gegen die Ampelkoalition im Bund und verlangt seit Monaten härtere Maßnahmen gegen "irreguläre Migration". Andererseits regiert Wüst in Düsseldorf gemeinsam mit den Grünen, die sich lange gegen eine Bezahlkarte für Asylbewerber gesperrt hatten.
Auch sein Parteifreund, Sozialminister Karl-Josef Laumann, hatte noch im Oktober seine Skepsis betont: Die Menschen kämen in Not nach NRW und Deutschland und "nicht aus Jux und Tollerei". Im Landtag fordern die Oppositionsfraktionen SPD und FDP nun Klarheit bei der Bezahlkarte.
Skeptische Töne kommen aus der Wissenschaft: Im Interview mit dem WDR-Magazin "Westpol" bezweifelte der Sozialwissenschaftler Özgür Özvatan von der Humboldt-Universität Berlin, dass staatliche Sozialleistungen ein "Pull-Faktor" für Asylsuchende seien, nach Deutschland zu kommen. Entscheidend seien vielmehr "Push-Faktoren" wie staatliche Verfolgung und Krieg. Auch Migrationsforscher warnen davor, die Bedeutung von Geld- oder Kartenzahlungen für die Entscheidungen von Asylsuchenden zu überschätzen.
Pro Asyl sieht die Bezahlkarte kritisch
Flüchtlingshilfe-Organisationen sehen die Bezahlkarten-Pläne ohnehin sehr kritisch. Die Länder hätten die Bezahlkarte "ziemlich unverblümt als Diskriminierungsinstrument zur Abschreckung von Geflüchteten konzipiert", teilte Pro Asyl mit. "Die von den Ländern vereinbarten 'Standards' der Bezahlkarte sind lediglich der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die Bundesländer einigen konnten. Es liegt jetzt in der Verantwortung des Landes NRW, den Kommunen menschenrechtlich begründete Qualitätsvorgaben für eine möglichst diskriminierungsfreie Umsetzung zu machen", sagte Andrea Kothen von Pro Asyl.
Grundsätzlich müsse das Land die Kommunen angemessen ausstatten, um die Flüchtlingsaufnahme "vernünftig und menschenwürdig" gestalten zu können. "Was die Kosten für eine Bezahlkarte angeht, gibt es eine einfache Lösung für die Kommunen: der Verzicht auf die Bezahlkarte und stattdessen die Überweisung der Leistungsbeträge aufs normale Bankkonto. Das ist der kostengünstigste, einfachste und diskriminierungsfreie Weg", so Kothen.
In Deutschland haben Asylbewerber und Menschen mit einer befristeten Duldung Anspruch auf ein Dach über dem Kopf sowie Nahrung, Kleidung, Gesundheitspflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgüter. Statt solcher Sachleistungen sind teils auch Wertgutscheine oder Geldleistungen vorgesehen. Die Sätze liegen dabei zwischen 278 Euro für Kinder bis fünf Jahren und 410 Euro für erwachsene Alleinstehende oder Alleinerziehende. Nach 18 Monaten steigen die Sätze ungefähr auf Höhe der regulären Sozialhilfe.