EKD-Ratsvorsitzende Kurschus "Antisemitismus keimt auch in der Kirche"
In einem Appell hat die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Kurschus, zu mehr Einsatz gegen Antisemitismus aufgerufen. Zu Beginn der jährlichen EKD-Synode kritisierte sie zudem den Ton der Parteien in der Asyl-Debatte.
Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, fordert ein entschiedeneres Engagement gegen Antisemitismus in den eigenen Reihen der Kirche. Dieser habe seine Wurzeln "nicht bei den anderen" und blühe nicht nur in kleinen extremen Gruppen, sagte sie zum Auftakt der Jahrestagung der EKD-Synode.
"Er kommt aus unserer christlichen Geschichte, er keimt auch in unserer Mitte, unter unseren Kirchenmitgliedern", sagte sie. Die westfälische Präses ergänzte: "Wir haben es nicht ernst genug genommen." Das lasse sich aber verändern. "Lasst uns weiter dagegen arbeiten", appellierte sie.
Jüdische Menschen dürften "nicht den Hauch eines Zweifels haben, dass sie auf die Kirchen zählen können", so Kurschus weiter. Zugleich warnte sie auch vor einem als Israelfreundlichkeit getarnten "unverschämten Hass auf Muslime" durch die aktuellen Auseinandersetzungen.
Die EKD ist die Gemeinschaft von 20 lutherischen, reformierten und unierten Landeskirchen. 19,2 Millionen evangelische Christinnen und Christen in Deutschland gehören zu einer der 12.700 Kirchengemeinden
Kurschus betont Solidarität mit Israel
Kurschus betonte erneut ihre Solidarität mit dem von der Terrororganisation Hamas angegriffenen Israel. Das Land habe nach dem grauenhaften Massaker das Recht, sich zu verteidigen und seine Bevölkerung zu schützen, sagte die Theologin.
Das mindere in keiner Weise ihr Entsetzen über das Leid, das die Menschen im Gazastreifen erlebten, ergänzte sie. Der Angriff der Hamas sei "ebenfalls ein Angriff auf die Palästinenserinnen und Palästinenser, christliche und muslimische, die sich für Frieden einsetzen" gewesen.
Kritik an Parteien bei Asyl-Debatte
Mit Blick auf Deutschland kritisierte Kurschus den Ton der Parteien in der Asyl-Debatte. Neuerdings werde über die Menschen, um die es geht, in einer Weise geredet, "die mich zutiefst erschüttert", sagte sie. Das geschehe nicht nur vom rechten Rand, sondern aus der Mitte der Parteienlandschaft heraus, so die Theologin.
"In perfider sprachlicher Verdrehung wird aus den Ertrinkenden die Flut gemacht und aus den Schiffbrüchigen die Welle, die angeblich uns überschwemme“, sagte sie. Es werde teils erschreckend offen dazu aufgerufen, sich gegen die Not der Geflüchteten zu immunisieren, weil der Einsatz für Migranten auf die Kosten der Gesellschaft gehe.
Seitenhieb an Merz
Zudem sei in der Vergangenheit "unbedacht oder bewusst grob" suggeriert worden, Geflüchtete machten Einheimischen die Gesundheitsvorsorge streitig, so Kurschus, ohne CDU-Parteichef Friedrich Merz konkret zu nennen, dessen Äußerung zu mutmaßlichen Problemen bei Zahnarztterminen wegen Flüchtlingen für Kritik gesorgt hatte.
Die Kirche beteilige sich bereits seit Jahren an der Suche nach Lösungen für die Flüchtlingsproblematik. "Aber wir werden niemals mitmachen, wo aus Angst vor weiteren Wahlerfolgen der AfD Scheinlösungen vorgetragen werden, die nichts austragen", so die Präses. "Grenzkontrollen, Abschiebungen im großen Stil und ein paar Piesackereien, die Flüchtlingen das Leben schwerer machen sollen, lösen nichts, sie lösen lediglich noch mehr Ressentiments aus."
Kurschus gegen "Obergrenze"
Zu häufig stünden bloße Zahlen im Vordergrund der Migartionsdebatte, als ginge es um eine reine Rechenaufgabe. "Wer von Migration redet, redet von Menschen", so Kurschus. Beinahe unisono werde das Wort "Migrant" mit den Adjektiven "illegal" oder "irregulär" verbunden, obwohl die Mehrheit von ihnen einen Schutzstatus erhalte.
"Um ein Missverständnis auszuräumen: Ich bin keineswegs für eine unbegrenzte Zuwanderung, wohl aber gegen die Festlegung einer 'Obergrenze'", sagte Kurschus. Eine solche wäre weder mit der deutschen Verfassung noch mit EU-Recht vereinbar.
Bei der EKD-Synode werden am Dienstag die Ergebnisse einer aktuellen Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung vorgestellt. Kurschus deutete an, die Untersuchung zeige ernüchternd deutlich, dass das Vertrauen in Institutionen quer durch alle Bevölkerungsschichten sinke. Es ist das sechste Mal seit 1972, dass die evangelische Kirche diese soziologische Studie über die Haltung zu Religion und Kirche in der Gesellschaft in Auftrag gegeben hat.