Femizide Der alltägliche Mordversuch
Fast jeden dritten Tag stirbt eine Frau in Deutschland - getötet von ihrem Partner oder Ex-Partner. Doch ein Femizid ist in Deutschland bis heute kein eigener Straftatbestand. Hat die Politik versagt?
Ein Jahr lang ist Martina mit ihrem Freund zusammen. Bis zu dem Tag, als er sie aus heiterem Himmel aus dem Schlaf reißt. "Er hat mich umgedreht, hat sich auf mich gehockt und mir mit den Fäusten ins Gesicht gehauen und die Nase gebrochen, die Rippen gebrochen, versucht mich zu ersticken", so Martina vor der Verhandlung. Mit letzter Kraft gelingt es ihr zu fliehen.
Lange zwei Jahre später trifft sie ihren Ex-Freund wieder. Vor Gericht. Die Anklage lautet: gefährliche Körperverletzung. Martinas Leben war in den vergangenen beiden Jahren nicht mehr das Alte. "Mein Leben ist einfach komplett zerstört dadurch, ich werde körperlich auch nicht mehr gesund. Ich hoffe, dass er dafür ins Gefängnis muss."
Fausthiebe, Tritte, Messerangriffe, Würgen, auf dem Körper ausgedrückte Zigaretten - wie viele Frauen diese Grausamkeiten ertragen müssen, ist unklar. Die Dunkelziffer ist hoch. Häufig wird es für sie lebensbedrohlich. Hätte ihre Nachbarin nicht die Polizei gerufen, hätte Martina vielleicht nicht überlebt.
Zu wenige Frauenhausplätze
Viele Frauen, die Gewalt erfahren, suchen Schutz in einem Frauenhaus. Doch auch dieser schwere Weg ist nicht immer erfolgreich: Der Andrang auf die Plätze ist hoch. Hildegard Stolper, ehrenamtliche Vorsitzende im Frauenhaus Passau, kennt das nur zu gut: Woche für Woche muss das Team Hilfesuchende aus Platzmangel abweisen. Oft bleiben die Frauen dann zunächst bei ihren gewalttätigen Männern. Ein unerträglicher Zustand. In Passau strebt man deshalb eine Erweiterung des Hauses an.
Passau ist kein Einzelfall. Der Freistaat hat errechnet: Bayern braucht 490 Plätze. Laut der bayerischen Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales, Ulrike Scharf, sind 389 geförderte Frauenhausplätze vorhanden. Deutschlandweit sind Frauenhäuser einer neuen Studie zufolge überlastet. Nach einer Datenauswertung des Investigativmediums "Correctiv.lokal" meldeten die ausgewerteten Frauenhäuser im Durchschnitt im Jahr 2022 an 303 Tagen, dass keine Aufnahme mehr möglich war.
Kein spontaner Impuls-Ausbruch
Aber nicht nur wegen mangelnder Schutzräume haben Frauen mit Gewalterfahrung Probleme: Vor Gericht wird die Schwere der Schuld häufig nicht anerkannt. Davon kann Sonja Aziz berichten, die in Österreich als eine der bekanntesten Anwältinnen in diesem Bereich tätig ist. Gerade Frauen, die lange Gewalt in der Beziehung erlebt haben, werden laut ihrer Erfahrung häufig mit sogenanntem "Victim Blaming" vor Gericht konfrontiert: Viele Geschworenen könnten nicht verstehen, warum die betroffenen Frauen sich nicht früher aus der Beziehung gelöst hätten.
Lassen sich Männer, die zu Tätern werden, frühzeitig erkennen? Monika Schröttle forscht seit 30 Jahren an solchen Fällen. Die Politologin und Sozialwissenschaftlerin sagt, den typischen Täter gebe es nicht - zumindest nicht auf den ersten Blick. "Das sind jetzt nicht alles Männer, die man sofort irgendwie als Monster erkennt", so die Expertin. "Man erkennt sie halt daran, dass sie extrem kontrollierend, eifersüchtig, dominant sind."
In der Regel beginne so eine Beziehung sehr romantisch. "Das ist das Muster, weswegen die Frau relativ lang festhält an der Beziehung: Weil sie denkt, das kann doch so toll sein zwischen uns." Partnerschaftsgewalt sei in der Regel etwas Systematisches. "Sie ist kein spontaner Impuls-Ausbruch", betont die Expertin.
Spanien kämpft erfolgreich gegen Femizide
Dass es auch anders geht, dass Frauen lernen können, Tätermuster zu erkennen und sich frühzeitig zur Wehr zu setzen, zeigt ein anderes europäisches Land: Spanien gilt als Vorreiter im Kampf gegen Femizide. In Präventionskursen wird Aufklärungsarbeit geleistet, schon bei den Jüngsten: Solche Kurse stehen sogar in Lehrplänen - angestoßen vom Ministerium für Gleichstellung. Spanien hat bis zum Jahr 2025 weitere 20 Milliarden für die Gleichstellungspolitik angekündigt. Die Regierung nennt das "Staatsaufgabe mit hoher Priorität". Mit Erfolg: Die Femizidzahlen sinken hier seit Jahren.
In Österreich gibt es hingegen nicht einmal eine offizielle Erfassung und Analyse von Femiziden - obwohl das Land dazu verpflichtet wäre. Verpflichtet durch internationale Abkommen wie die Istanbul Konvention zum Schutz von Frauen. Österreich hat sie unterschrieben, wie auch Deutschland und Spanien. Bleibt die Frage: Hat in diesen Ländern die Politik versagt?
Die Ampelparteien hatten in ihrem Koalitionsvertrag zwar vereinbart, dass Gewalt gegen Frauen künftig strenger bestraft werden soll. In einem Gesetzentwurf heißt es, dass "geschlechtsspezifische" Tatmotive als weitere Beispiele für menschenverachtende Beweggründe und Ziele in die Liste der bei der Strafzumessung besonders zu berücksichtigenden Umstände aufgenommen werden sollen. Von Femizid als Mord ist in dem Entwurf allerdings nicht die Rede.
Geringes Strafmaß
Mittlerweile ist das Urteil gegen Martinas Ex-Freund gefallen. Sie findet es ernüchternd: ein Jahr und drei Monate. Das Strafmaß ist dem Opfer, das mittlerweile therapeutische Hilfe in Anspruch nimmt, viel zu gering. Der zuständige Staatsanwalt verteidigt die Entscheidung: Beziehungstaten entstünden aus einem spontanen Impuls, deshalb könne man durch hohe Strafen wahrscheinlich nicht erreichen, dass es weniger zu solchen Taten käme.
Laut der Expertin Schröttle ist diese Einschätzung aber falsch. Und so erleben Frauen in Deutschland weiterhin Fälle von Gewalt in Partnerschaften - allein im Jahr 2021 waren es 13 pro Stunde.