Syrer versammeln sich im berliner Bezirk Neukö†lln mit Flaggen vor der Bäckerei Damaskus.

Reaktionen in Deutschland Autokorsos, Jubel - und Zukunftssorgen

Stand: 08.12.2024 13:58 Uhr

Der Sturz Assads ist von der syrischen Exilgemeinde in Deutschland jubelnd begrüßt worden. Bei Politikern mischen sich unter die Erleichterung auch Zukunftssorgen. Bundeskanzler Scholz forderte von einer neuen Regierung Minderheitenschutz.

Viele Millionen Syrerinnen und Syrer mussten ihre Heimat wegen des langjährigen Krieges verlassen. Auch in Deutschland suchten viele von ihnen Zuflucht - Ende 2023 waren es etwa 970.000 Menschen. Der Sturz von Machthaber Baschar al-Assad wird in der Exil-Gemeinde euphorisch gefeiert.

Bereits gestern Abend fuhr ein Autokorso mit jubelnden Menschen durch Berlin-Neukölln. Nach Angaben der Polizei hätten sich Menschen "im mittleren dreistelligen Bereich" beteiligt. Es habe keine besonderen Vorkommnisse gegeben. Auch heute gibt es in Berlin kleine Versammlungen. Besondere Vorfälle seien bislang nicht bekannt, hieß es weiter. Auf Flaggen war der Slogan "Free Syria" zu lesen.

In mehreren deutschen Städten sind heute Kundgebungen angekündigt.

"Der Frieden ist schwieriger"

Hassan al-Aswad von der Syrischen Demokratischen Allianz rief seine Landsleute auf, denjenigen zu verzeihen, die zwar Teil des alten Systems waren, aber keine schweren Verbrechen begangen haben. Der Anwalt aus dem syrischen Daraa, der inzwischen in Hannover lebt, veröffentlichte ein Video, in dem er sagte, es sei gut, dass beim Vorrücken der Assad-Gegner bislang keine staatlichen Einrichtungen zerstört worden seien.

Die Syrer stünden jetzt vor einer großen Prüfung, so Aswad. Er sagte: "Der Krieg ist nicht einfach, aber der Frieden ist schwieriger." Wer Schuld auf sich geladen habe, müsse ein faires Gerichtsverfahren bekommen. Dies sei etwas, was man den Syrern bisher vorenthalten habe.

"Man weiß nicht, wie die nächsten Tage sein werden", Borhan Akid, WDR, mit persönlichen Eindrücken von Verwandten in Damskus

tagesschau24, 08.12.2024 12:00 Uhr

Scholz fordert Schutz von Minderheiten

Für Bundeskanzler Olaf Scholz ist der Sturz des syrischen Machthabers Baschar Al-Assad eine "gute Nachricht." Assad habe sein eigenes Volk "auf brutale Weise unterdrückt, unzählige Leben auf dem Gewissen und zahlreiche Menschen zur Flucht aus Syrien getrieben, viele kamen auch nach Deutschland", teilt Scholz mit.

Jetzt komme es darauf an, dass in Syrien schnell Recht und Ordnung wieder hergestellt würden. Alle Religionsgemeinschaften und alle Minderheiten müssten Schutz genießen, fügt der SPD-Politiker hinzu. Man werde die zukünftig Regierenden daran messen. Auch die "bösartige Einmischung Dritter" müsse enden, sagt er in Anspielung etwa auf die Rolle Irans.

Sorge vor einer neuen, anderen Diktatur

Außenministerin Annalena Baerbock bezeichnete den Sturz Assads als "erstes großes Aufatmen", sie warnte zugleich vor einer erneuten Eskalation. "Das Land darf jetzt nicht in die Hände anderer Radikaler fallen - egal in welchem Gewand", warnte die Grünen-Politikerin in einer Mitteilung. Sie rief die Konfliktparteien auf, den "umfassenden Schutz von ethnischen und religiösen Minderheiten wie Kurden, Alawiten oder Christen" zu sichern.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, der SPD-Politiker Michael Roth, warnte nach der Flucht Assads, die "blutige säkulare Diktatur" durch eine religiös-fundamentalistische Diktatur zu ersetzen. Syrien sei ein multiethnischer und multireligiöser Staat, schrieb Roth im Onlinedienst X. Das Land habe "eine echte Chance auf Frieden, Versöhnung und Stabilität verdient".

Röttgen spricht von "großer Befreiung"

Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen ist optimistischer. Er bezeichnete den Umsturz als "eine große Befreiung für das Land und die Menschen". Dem Nachrichtenmagazin Spiegel sagte er, großer Gewinner sei die Türkei.

Erdogan wird versuchen, seinen Erfolg auch innenpolitisch zu nutzen. Er hat ein immenses Interesse daran, dass Syrien nicht zerfällt, um eine Rückführung der drei Millionen Syrer aus der Türkei zu erreichen.
CDU-Außenpolitiker Röttgen

Es sei aber noch zu früh, um sagen zu können, wann syrische Flüchtlinge aus Deutschland zurückkehren könnten. "Aber es gibt ein Momentum für Stabilität. Europa muss jetzt auf die Türkei zugehen und Kooperationen ausloten."

Lissy Kaufmann, ARD Berlin, tagesschau, 08.12.2024 12:25 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 08. Dezember 2024 um 12:00 Uhr.