Aufruf zum Frontdienst Sorge und Skepsis bei Exil-Ukrainern
Aus dem Ausland an die Front in der Ukraine? Äußerungen des Verteidigungsministeriums in Kiew sorgen für Unruhe bei Ukrainern hier in Deutschland. Der SWR hat mit einigen von ihnen gesprochen.
Yevhinii Lesnyk hat es von Anfang an gewusst. "Das ist doch nur Gelaber", sagt der Vorsitzende des Vereins S.O.S. Ukraine e.V. in Stuttgart. Er lebt schon seit vielen Jahren in Deutschland und kümmert sich seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine um seine Landsleute. "Wir sammeln Spenden und schicken Lebensmittel, Kleidung und medizinisches Gerät direkt an die Front", berichtet Lesnyk. Zuletzt haben sie sogar einen Rettungswagen geliefert.
Ganz so entspannt wie der Unternehmer waren die in Deutschland lebenden Ukrainer - mit vielen ist er im Kontakt - nicht, als "BILD" und "Welt" am Morgen über ein Interview mit dem ukrainischen Verteidigungsminister Rustem Umjerow berichtet haben.
In dem Bericht heißt es wörtlich: "Ukrainer im wehrfähigen Alter von 25 bis 60 Jahren in Deutschland und anderen Ländern sollten aufgefordert werden, sich in den Rekrutierungszentren der Streitkräfte zu melden. (…) Der Minister sprach zwar von einer Einladung. Er machte aber klar, dass es Sanktionen geben werde, wenn jemand der Aufforderung nicht folge."
"Nur Kanonenfutter"
Eine Nachricht, die Alexander (*Name geändert) beschäftigt. Alexander kam vor rund anderthalb Jahren aus umkämpften Gebieten in der Ukraine nach Deutschland. Gemeinsam mit seiner Frau und sechs Kindern lebt er in einer kleinen Stadt im Süden. Nach dem Krieg, sagt er, möchte er wieder nach Hause. Aber jetzt? "Ich habe all diese Monate in der Hoffnung gelebt, dass ich wieder nach Hause komme. Ich hatte nie vor, ins Ausland zu gehen. Und ich will zurück nach Hause. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das realistisch ist."
Zuhause in seiner Heimat gebe es viel Druck von Seiten des Staates, beobachtet Alexander. "Es werden viele Schritte unternommen, um sicherzustellen, dass die Studenten wieder zurückkommen, dass Frauen wieder zurückkommen. Es wird gesagt, dass es nicht so schlimm sei zu Hause." Es passe ins Bild, dass man auch im Ausland Soldaten rekrutieren wolle. "Ich denke aber, keine Armee der Welt wünscht sich Soldaten, die nicht kampfbereit sind."
"Was bringt es, wenn man uns hier jetzt zurückholt und an die Front schickt?", fragt sich ein anderer Ukrainer, mit dem wir sprechen. Serzhio Sternberg arbeitet als Umzugsunternehmer in Stuttgart. Er meint: Wer in Deutschland sei, habe doch ein klares Zeichen gesendet, dass man nicht kämpfen wolle. "Man wäre ja nur Kanonenfutter. Hilft das? Nein."
Kritik am ukrainischen Aufruf
Rudi Friedrich ist Geschäftsführer des Vereins "Connection e.V.", der sich für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure einsetzt. Die vermeintliche Rekrutierung von Soldaten im Ausland hält er vor allem für einen taktischen Zug der Ukraine: "Ich denke, der Vorschlag zielte vor allem darauf ab, Druck auf die ukrainische Community im Ausland auszuüben." Eine Art Appell an den Patriotismus. Verteidigungsminister Umjerow sagte dazu der "BILD": "Das ist ja keine Strafe, für das eigene Land einzutreten und dem Land zu dienen. Es ist eine Ehre."
Friedrich bereiten solche Entwicklungen sorgen. "Es gibt das anerkannte Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung. Aber seit Beginn des Krieges wird das in der Ukraine nicht mehr eingehalten", so Friedrich. "Es gibt Menschen, die aufgrund der Verweigerung ins Gefängnis kamen oder zum Dienst verpflichtet und an die Front geschickt wurden." Das sorge dafür, dass ukrainische Männer fliehen und sich so dem Militärdienst entziehen.
Ukrainisches Verteidigungsministerium dementiert
Inzwischen heißt es aus dem ukrainischen Verteidigungsministerium, dass die Aussagen des Ministers falsch interpretiert worden seien. So erklärte der Leiter der Presse- und Informationsabteilung des Verteidigungsministeriums, der Schwerpunkt der Aussage sei verschoben worden. Der Minister habe gesagt, dass es wichtig sei, den Ukrainern im Ausland die Bedeutung des Eintritts in die Armee zu verdeutlichen. Es gebe aber derzeit keine Diskussionen "über die Mechanismen der Einberufung in die Armee".