Ampel in der Finanzkrise Wege aus dem Milliardenloch gesucht
Nach dem Karlsruher Urteil hat Finanzminister Lindner Haushaltssperren verfügt. Wie geht es jetzt weiter? Was wird aus den Energiepreisbremsen? Wackelt die Schuldenbremse? Dazu hat der Bundestag Experten befragt.
Es ist eine weitere Notmaßnahme: Wegen des 60 Milliarden-Lochs dürfen die Berliner Ministerien erst mal keine neuen Verpflichtungen eingehen. Und zwar weder aus dem regulären Haushalt noch aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds. Das bedeutet, dass zwar alles, was schon versprochen wurde, unangetastet bleibt. Doch die Ministerien dürfen vorerst kein Geld für neue Projekte versprechen.
Wirtschaftsminister Robert Habeck trägt diese Entscheidung von Finanzminister Christian Lindner mit, weist aber auch auf die Folgen hin: Unternehmen, die sich gerade Hoffnungen auf staatliche Unterstützung machten, würden erst mal enttäuscht.
Milliardenschweren Zusagen wackeln
In bestehende Verpflichtungen greift die Haushaltssperre, die zuvor bereits für den Klima- und Transformationsfonds verfügt wurde, nicht ein. Doch was ist mit Zusagen, die politisch gegeben wurden, die aber noch nicht rechtlich abgesichert sind?
Beispiel: Die milliardenschweren Subventionen für die Ansiedlung von Chipfabriken in Magdeburg (Intel) und Dresden (TSMC). Solche Projekte abzusagen wäre mit einem enormen Schaden für die Volkswirtschaft verbunden, so Habeck.
Investitionskrise könnte sich verschärfen
In diesem Sinn äußern sich auch Fachleute bei der Bundestagsanhörung und warnen vor drastischen Einschnitten in den Programmen, die den Umbau der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität unterstützen sollen. So weist der Düsseldorfer Ökonom Jens Südekum darauf hin, dass Deutschland bereits jetzt eine tiefgreifende Investitionsproblematik, fast schon eine Investitionskrise habe.
Diese Problematik drohe sich zu verschlimmern - je nachdem, wie die Politik mit dem Urteil aus Karlsruhe umgehe. Südekum wirbt vor diesem Hintergrund für eine Reform der Schuldenbremse, auch wenn es dafür im Moment politisch keine Mehrheit gibt.
Andere Fachleute halten dagegen an der Schuldenbremse fest und sehen die Verantwortung für die Haushaltsprobleme bei der Ampelkoalition. Die Bundesregierung habe auf Warnungen vor der möglichen Verfassungswidrigkeit nicht gehört, kritisiert Thiess Büttner von der Universität Erlangen-Nürnberg. Er verweist dabei auf Gutachten des Bundesrechnungshofs und Stellungnahmen anderer unabhängiger Regierungsberater: Die Regierung sei mit der Umwidmung von Corona-Schulden für den Klimafonds bewusst erhebliche finanzpolitische Risiken eingegangen.
Auch WSF betroffen
Klar wird bei der Anhörung: Auch die Ausgaben, die aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) gezahlt werden, insbesondere die Energiepreishilfen, müssen auf eine neue Basis gestellt werden. Denn auch sie werden mit Schulden auf Vorrat finanziert, was laut Karlsruhe verfassungswidrig ist.
Ein besonderes Problem ergibt sich hier daraus, dass die entsprechenden Ausgaben zum Beispiel für die Strom- und Gaspreisbremsen schon getätigt worden sind, allein in diesem Jahr mehr als 35 Milliarden Euro.
Weitere Ausnahme von der Schuldenbremse?
An eine Rückzahlung ist natürlich nicht gedacht, als Lösung schlagen mehrere Sachverständige der Bundesregierung vielmehr vor, einen Nachtragshaushalt für dieses Jahr aufzustellen - und dabei erneut die Ausnahmeregel von der Schuldenbremse zu ziehen. Dies könnte zwar nicht unmittelbar mit der Energiekrise, aber doch mit ihren Folgen begründet werden, sagt zum Beispiel der Berliner Jurist Alexander Thiele: "Es lag vertretbarer Weise eine solche Notlage vor."
Andere Experten sind da skeptischer. Eine Notlagenerklärung setze voraus, dass die Notlage nicht durch Regierungshandeln verschuldet sei, so der Hamburger Wirtschaftswissenschaftler Dirk Meyer von der Universität der Bundeswehr.
Nachtragshaushalt wohl nötig
Innerhalb der Ampel zeichnet sich aber Sympathie für die Idee eines Nachtragshaushalts ab. Das würde - sofern es im Einklang mit dem Grundgesetz gestaltet werden kann - alle Zahlungen aus dem noch laufenden Jahr auf eine saubere Grundlage stellen. Andere Zusagen, etwa die Energiepreishilfen fürs kommende Jahr oder weitere Unterstützungen für Unternehmen, wären damit aber noch nicht gesichert.
Hier warnt der Heidelberger Rechtswissenschaftler Hanno Kube vor einem übereilten Vorgehen: Erst wenn der Haushalt 2023 verfassungsrechtlich abgesichert sei, könne der Haushalt für 2024 verfassungskonform geplant und ins Ziel gebracht werden - beide Haushalte bauten schließlich aufeinander auf.
Union verlangt Verschiebung
Das ist auch die Position der Unionsfraktion, die von der Ampelkoalition eine Verschiebung der Abschlussberatungen über den Haushalt für das kommende Jahr verlangt. Vorerst aber hält die Regierung an ihrem Zeitplan fest. Am Donnerstag soll der Haushaltsausschuss die finalen Beschlüsse zum Etat für das kommende Jahr treffen. Kommende Woche sind dann die Beratungen im Bundestag vorgesehen. Korrekturen aber sind nicht ausgeschlossen, wie die neue Haushaltssperre zeigt.