Robert Habeck, Olaf Scholz und Christian Lindner

Ampelkoalition Wer hat das Sagen in der Wirtschaftspolitik?  

Stand: 25.04.2023 19:44 Uhr

Die SPD möchte mit Forderungen des Wirtschaftsforums mehr Profil zeigen - und auch FDP-Chef Lindner spricht bei der Veranstaltung. Zeitgleich gründen die Grünen eine Wirtschaftsvereinigung. Ein Zufall?

Von Nicole Kohnert und Iris Sayram, ARD-Hauptstadtstudio

Es gab diejenigen in der Ampelkoalition, die in den vergangenen Wochen eher laut waren: Finanzminister Christian Lindner etwa, wenn es um die Aufstellung des Haushaltes geht und das Sparen. Besonders emotional war Wirtschaftsminister Robert Habeck im Streit um das Thema Heizungen.

Fast schon verschwunden schien in den Diskussionen die SPD, allen voran, wenn es um wirtschaftspolitische Themen ging. Wofür steht die Partei eigentlich, fragte sich so mancher. Schon lange ist die Kanzlerpartei keine Partei der lauten Töne mehr und deren Kabinettsmitglieder überlegen sich drei Mal, ob und vor allem wann etwas gesagt wird.   

SPD arbeitet an wirtschaftspolitischem Profil

Doch schon länger arbeitet die Partei an ihrem wirtschaftspolitischen Profil. Nicht zufällig reiste also das komplette SPD-Präsidium zur Hannover Messe, um sich über eine klimaneutrale und auch digitale Industrie zu informieren und mit vielen Firmenchefs zu sprechen. Der Parteivorsitzende Lars Klingbeil betonte da immer wieder den aktiven Staat, der auch in Wasserstoff und schnell in Infrastruktur investieren soll. "Deutschland-Geschwindigkeit" nennen es die Sozialdemokraten. Ein Wort, das Kanzler Olaf Scholz prägte und mit dem er den schnellen Bau der LNG-Terminals meinte. 

Nun steht Klingbeil beim Wirtschaftsforum der SPD, um erneut die Wirtschaftspolitik zu erklären. Doch bevor er anfängt, gibt es erstmal Seitenhiebe des Wirtschaftsflügels gegen die Grünen. Die Präsidentin des Forums, Ines Zenke, meint, Habecks Ministerium sei doch der Bezeichnung gemäß ein Ministerium "für Wirtschaft", nicht "für die wirtschaftliche Abwicklung" - Applaus erntet sie von den Industrievertretern und Sozialdemokraten. Zu kritisch sieht so mancher im Raum die Arbeit des grünen Wirtschaftsministers.  

Einführung eines günstigen Industriestrompreises gefordert

Das Wirtschaftsforum sieht den Staat mehr in der Pflicht. Zwar spricht das 16-seitige Positionspapier nicht für die komplette Partei, dennoch sitzen im politischen Beirat des Wirtschaftsforums Kanzler Scholz, Parteichef Klingbeil, Arbeitsminister Hubertus Heil oder auch der Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich.

Konkret fordert also dieser Wirtschaftsflügel der SPD einen staatlich subventionierten Strompreis für die Industrie. Fünf bis sieben Cent je Kilowatt-Stunde soll er hoch sein. Derzeit liegt die Deckelung des Strompreises bei 13 Cent für Industrie-Großkunden und gilt auch nur bis Ende 2024. Der subventionierte Strompreis soll verlängert werden, so die Forderung des Wirtschaftsflügels.

Erst am Montag habe sich Klingbeil mit Volkswagen getroffen und sich für einen billigeren Strompreis ausgesprochen, wird auf der Veranstaltung betont. Das Signal soll wohl damit sein: Wir Sozialdemokraten kümmern uns auch um die Industrie. "Es ist keine Zeit, sich zurückzulehnen. Es ist die Gefahr da, dass viele Investitionsentscheidungen nicht in Deutschland getroffen worden", warnt Klingbeil auf dem Podium. "Wir brauchen dringend einen Industriestrompreis". Dafür müsse der Staat Geld in die Hand nehmen.  

Rot-gelbe Wirtschaftsliebe?

Ebenfalls sollen öffentliche Investitionen angehoben werden, so die Position des Wirtschaftsforums. Dafür solle es eine Ausnahmeklausel der Schuldenbremse geben. Etwas, was natürlich viel Geld kosten wird. Und daher ist nun auch, zufällig oder nicht, Finanzminister Lindner auf der Veranstaltung eingeladen. Er soll eine wirtschaftspolitische Rede halten - der Finanzminister, nicht der Wirtschaftsminister. Der war ja auch schon voriges Jahr da, heißt es.

Lindner wird nicht müde, die vielen Gemeinsamkeiten mit der SPD zu betonen. Wie sehr er besonders einen Sozialdemokraten schätzte für seine Weitsicht und macht damit eine Anspielung auf Kanzler Scholz. Gebt uns grünes Licht, damit wir das vorhaben können, was wir wollen, erzähle ihm immer wieder die Industrie. Der nächste Seitenhieb auf die Grünen. Das Thema Haushalt und Schuldenbremse spart er aus. Gibt den Sozialdemokraten nur indirekt einen Korb. Finanzierung von vielen Maßnahmen sehe er nicht im öffentlichen Haushalt, sondern in den privaten Investitionen. 

Inhaltlich ist er bei vielen Themen beim Wirtschaftsflügel der SPD. Denn der sieht die Pläne zum Gebäudeenergiegesetz ebenfalls kritisch, die Heizungspläne von Wirtschaftsminister Habeck. Generell sei man ja für eine "Wärmewende", allerdings müssten dafür erstmal die Nah- und Fernwärme-Netze klimaneutral ausgebaut werden, heißt es im Positionspapier. Eine Forderung, die auch immer wieder bei der FDP laut wurde. Man will das einzelne Gebäude, den Eigentümer nicht in den Fokus nehmen - bei dem Punkt herrscht ebenfalls Einigkeit zwischen der FDP und den Wirtschaftsflügel der SPD. Gerungen wird nun mit den Grünen im Bundestag. 

"Kein Wirtschaftsförderungsminister"

Einige Kilometer entfernt in Berlin-Pankow steht Habeck, Bundeswirtschaftsminister der Grünen, in einer Werkhalle. Aufmerksam schaut er einem Lehrling des Technologieunternehmens ABB dabei zu, wie dieser schweißt, ohne zu schweißen - es ist nur digital, augmented reality. Anerkennendes Nicken des Ministers. Sein Rundgang ist Teil der Auftaktveranstaltung der neu gegründeten Grünen Wirtschaftsvereinigung.

"Nach 44 Jahren des Bestehens unserer Partei kann das nicht zeitgemäßer sein", so Habeck im Anschluss bei seiner Rede vor Unternehmensvertretern. Ziel sei ein besserer Austausch zwischen Politik und Wirtschaft. Wie genau das erfolgen soll, blieb in den Reden unkonkret. Es gab auch keine Diskussionen über das Gebäudeenergieesetz und wie dessen Umsetzung in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft funktionieren kann. Habeck blieb grundsätzlicher. Unter anderem verwies er auf seine Rolle: "Früher hieß es, dass sich der Wirtschaftsminister am besten raushält und nur fördert. Ich will aber nicht nur ein Wirtschaftsförderungsminister sein."

Es ist nicht die erste Vereinigung der Grünen, die einen engeren Draht zur Wirtschaft pflegen möchte. Diese hier ist mit dem Co-Chef der Partei, Omid Nouripour, als Beirat allerdings besonders hochkarätig besetzt. Der Zeitpunkt für ihren kick-off - wahrscheinlich bloßer Zufall. Allerdings zeigen die beiden parallelen Veranstaltungen: Die Forderungen des SPD-Wirtschaftsflügels und der FDP, die permanenten Seitenhiebe und das Gerangel im Bundestag zum Gebäudeenergiegesetz sorgen für weiteren Sprengstoff in der Ampelkoalition.