Menschen stehen an einer Gedenkstätte mit Kerzen und Blumen in Aschaffenburg.

Merz zu Aschaffenburg "Das Maß ist endgültig voll"

Stand: 23.01.2025 15:04 Uhr

Nach dem tödlichen Messerangriff in Aschaffenburg hat Unions-Kanzlerkandidat Merz weitreichende Asyl-Verschärfungen gefordert. Die Gewalttat trifft Deutschland im Wahlkampf. Nach dem Motiv des Täters wird weiter geforscht.

Die Diskussion über ein schärferes Vorgehen in der Migrationspolitik nimmt nach dem tödlichen Messerangriff in Aschaffenburg an Fahrt auf. Dabei steht vor allem die Tatsache im Fokus, dass der mutmaßliche Täter ausreisepflichtig war - genau wie der Täter von Solingen, der im Sommer vergangenen Jahres drei Menschen auf einem Stadtfest erstach.

Ein "faktisches Einreiseverbot"

Genau einen Monat vor der Bundestagswahl kündigte Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz drastische Maßnahmen an, sollte er die Wahl gewinnen. "Ich werde im Fall meiner Wahl zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland am ersten Tag meiner Amtszeit das Bundesinnenministerium im Wege der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers anweisen, die deutschen Staatsgrenzen zu allen unseren Nachbarn dauerhaft zu kontrollieren und ausnahmslos alle Versuche der illegalen Einreise zurückzuweisen", sagte der CDU-Vorsitzende. Er wolle ein "faktisches Einreiseverbot" für alle Menschen ohne gültige Einreisedokumente.

Friedrich Merz, Vorsitzender CDU, will eine Verschärfung des Asyl- und Aufenthaltsrechts nach Gewalttat in Aschaffenburg

tagesschau24, 23.01.2025 15:00 Uhr

Abschiebehaft für Zehntausende?

Merz forderte zudem ein massenhaftes Abschiebegewahrsam von Personen, die ausreisepflichtig seien. Der Bund dürfe den Ländern nicht mehr die Abschiebung allein überlassen. "Der Bund muss auch so schnell wie möglich alle verfügbaren Liegenschaften zur Verfügung stellen, wie etwa leerstehende Kasernen und weitere Gebäude, Containerbauten auf abgeschlossenen Grundstücken, um die Zahl der Plätze im Abschiebegewahrsam signifikant zu erhöhen." Es sei inakzeptabel, dass nur 750 Plätze zur Verfügung stünden, obwohl es 42.000 "vollziehbar ausreisepflichtige" Personen gebe und weiteren 180.000 Personen, die zwar ausreisepflichtig seien, aber in Deutschland geduldet würden.

Die Bundespolizei müsse zudem Haftbefehle aussprechen können, wenn sie ausreisepflichtige Personen aufgreife. Merz begründete seine Forderungen damit, dass er es nicht hinnehmen wolle, dass diese Anschläge in Mannheim, Solingen und Aschaffenburg die neue Normalität in Deutschland würden. "Das Maß ist endgültig voll." Abschiebungen und Rückführungen müssten "täglich stattfinden" und die Zahl müsse endlich größer werden. "Wir stehen vor dem Scherbenhaufen einer in Deutschland seit zehn Jahren fehlgeleiteten Asyl- und Einwanderungspolitik."

Faeser kritisiert Bayern

Innenministerin Nancy Faeser erklärte in Berlin, es müssten mehrere Fragen aufgeklärt werden. Etwa, warum der Mann noch in Deutschland sei und warum er trotz der Gewalttaten noch auf freiem Fuß gewesen sei. Dabei kritisierte sie auch die bayerische Landesregierung: Offenbar seien dort "einige Dinge schiefgelaufen". Insofern sei "die Reaktion der Bayern befremdlich".

Nancy Faeser, SPD/Bundesinnenministerin, verweist auf die Verantwortung der Länder nach Gewalttat in Aschaffenburg

tagesschau24, 23.01.2025 15:00 Uhr

Auch bei der Umsetzung von Abschiebungen kritisierte sie die Länder: "Ich erwarte, dass die Abschiebungen, für die die Länder zuständig sind, auch passieren." Es brauche vor allem mehr Konsequenz in der Durchsetzung, der Rechtsstaat müsse mehr Härte zeigen.

"Dublin-Center" als Reaktion

Mit Blick auf das derzeitige EU-Asylsystem sagte sie: "Die Dublin-Regeln funktionieren nicht mehr". Als Konsequenz der Tat von Aschaffenburg kündigte sie zwei Maßnahmen an: Zum einen sollen Teile der GEAS-Reformen vorgezogen werden. Dabei geht es um das neue Gemeinsame Europäische Asylsystem, eine Asylrechtsverschärfung, die die EU im vergangenen Jahr beschlossen hatte.

Zudem will Faeser sogenannte Dublin-Center schaffen, um Fälle von Menschen zu sammeln, die bereits in anderen Ländern Asyl beantragt haben und die es deshalb nicht noch in Deutschland tun können. Unter anderem sollten diese Menschen in Deutschland keine Leistungen mehr erhalten. Dies solle sicherstellen, dass sie schnell in die für sie zuständigen Länder zurückgeführt werden können.

Söder fordert "null Toleranz"

Auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) fordert eine verschärfte Migrationspolitik. Die Leitlinien müssten "null Toleranz" und "null Kompromiss" sein. "Die Migration überfordert unser Land", sagte Söder. Das gelte nicht nur in finanzieller Hinsicht. Deutschland sei ein "humanes Land", aber das könne "am Ende nicht auf Kosten der eigenen Bevölkerung gehen".

Die AfD-Bundeschefin und -Kanzlerkandidatin Alice Weidel drängte auf die konsequente Abschiebung von ausreisepflichtigen Migranten. Die Vorsitzende des BSW, Sahra Wagenknecht, sprach von einem Versagen des Kanzlers und seiner Innenministerin. Sie forderte Korrekturen in der Asylpolitik.

Scholz spricht von "Terrortat"

Bundeskanzler Olaf Scholz hatte noch am Mittwoch umfassende Aufklärung der Tat angekündigt und deutliche Worte für die "unfassbare Terrortat" gefunden. "Ich bin es leid, wenn sich alle paar Wochen solche Gewalttaten bei uns zutragen. Von Tätern, die eigentlich zu uns gekommen sind, um hier Schutz zu finden. Da ist falsch verstandene Toleranz völlig unangebracht", sagte der SPD-Politiker laut einer Mitteilung.

Barbara Ecke, ARD Berlin, zur politischen Debatte nach dem Messerangriff in Aschaffenburg

tagesschau24, 23.01.2025 14:00 Uhr

In psychiatrischer Behandlung, gewalttätig - und ausreisepflichtig

Das Motiv des Täters ist derweil weiter unklar. Der aus Afghanistan stammende 28-Jährige soll heute einem Haftrichter vorgeführt werden. Ob er sich zur Tat äußert, ist allerdings unklar. Noch am Mittwoch wurde die Wohnung des Verdächtigen durchsucht. Nun müssen die Spuren ausgewertet werden, zudem hatte die Polizei mögliche Zeugen aufgerufen, sich zu melden. Von einem islamistischen Hintergrund gehen Ermittler und Staatsanwaltschaft derzeit nicht aus.

Noch am Tag der Tat wurde bekannt, dass der 28-Jährige bereits mehrfach wegen einer psychischen Erkrankung in Behandlung war. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann erklärte zudem, der Mann habe eine gerichtlich bestellte Betreuerin gehabt. Er habe auch Medikamente bekommen. Daher muss auch die Frage der Schuldfähigkeit des mutmaßlichen Täters zum Zeitpunkt des Angriffs aufgeklärt werden. Bereits drei Mal war der Verdächtige wegen Gewalttaten auffällig geworden, seitdem er 2022 nach Deutschland eingereist war, unter anderem wegen Körperverletzung.

Bayern weist Kritik zurück

Unklar ist, warum der Verdächtige überhaupt noch in Deutschland war. Nach seiner Einreise nach Deutschland hatte der Mann Asyl beantragt. Vor rund anderthalb Monaten aber gab er bei den zuständigen Behörden an, freiwillig nach Afghanistan zurückkehren zu wollen. Das Asylverfahren wurde daraufhin am 11. Dezember eingestellt und der Verdächtige wurde zur Ausreise aufgefordert.

Bayerns Innenminister Herrmann wies Kritik der Bundesregierung an den bayerischen Behörden zurück. Die Verantwortung über den Afghanen habe beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gelegen. Den Afghanen selbst habe die Behörde zwar über seine Ausreisepflicht informiert. Die bayerischen Ausländerbehörden habe das BAMF aber "aufgrund welcher Fehler und Probleme auch immer" erst am 26. Juli, also mehr als einen Monat später, in Kenntnis gesetzt - wenige Tage vor Ablauf der Frist für eine solche Abschiebung. Herrmann schränkte aber ein, dass selbst bei einer früheren Ablehnung des Asylantrags beim BAMF eine Rückführung des Mannes unter den geltenden Regeln nach Afghanistan schwierig gewesen wäre. Bisher habe es nur einen entsprechenden Flug gegeben.

Kranzniederlegung in Aschaffenburg

In Aschaffenburg wurde am Vormittag ein Kranz im Gedenken an die Opfer niedergelegt. Der Oberbürgermeister von Aschaffenburg, Jürgen Herzing, mahnte bei der Kranzniederlegung, trotz der schockierenden Tat besonnen zu bleiben. "Wir alle sind entsetzt über diese Tat mitten unter uns", sagte der SPD-Politiker. Dennoch dürfe die Tat eines Einzelnen niemals einer ganzen Bevölkerungsgruppe angerechnet werden. Herzing mahnte Zusammenhalt an, damit keine Spirale von Hass und Gewalt entstehe.

Am Sonntagvormittag soll in der Aschaffenburger Stiftskirche eine Trauerfeier abgehalten werden. Für den heutigen Abend plant ein Bündnis namens "Aschaffenburg ist bunt" ein stilles Gedenken im Park.

Neben den zwei Todesopfern waren bei dem Angriff drei weitere Menschen verletzt worden: ein zwei Jahre altes Mädchen, ein 61-jähriger Mann und eine Erzieherin. Wie die Polizei mitteilte, befinden sich alle verletzten Opfer außer Lebensgefahr.

Hans-Joachim Vieweger, ARD Berlin, tagesschau, 23.01.2025 10:40 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 23. Januar 2025 um 11:00 Uhr.