Eine Frau hält bei einer Jobmesse für ukrainische Geflüchtete von der IHK Berlin und der Agentur für Arbeit den Messeplan mit der ukrainischen Flagge.
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Nach CSU-Vorstoß Wie viele Ukrainer in Deutschland aktuell arbeiten

Stand: 24.06.2024 12:36 Uhr

CSU-Landesgruppenchef Dobrindt fordert, Ukrainer ohne Arbeit in Deutschland zurück in ihre Heimat zu schicken. Viele andere Politiker weisen das zurück. Wie viele Ukrainer arbeiten aktuell und wie ist das rechtlich geregelt? Ein Überblick.

Die CSU verschärft ihren Kurs in der Migrationspolitik und droht Ukraine-Flüchtlingen ohne Arbeit mit Ausweisung in ihr Heimatland. "Es muss jetzt über zwei Jahre nach Kriegsbeginn der Grundsatz gelten: Arbeitsaufnahme in Deutschland oder Rückkehr in sichere Gebiete der West-Ukraine", sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt der "Bild am Sonntag".

Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann wies den Vorstoß als "bizarr" zurück. Auch andere Politikerinnen und Politiker äußerten sich kritisch über Dobrindts Vorstoß.

Was hat Dobrindt genau gefordert?

Wie schon zuvor andere Unionspolitiker fordert Dobrindt Änderungen bei den staatlichen Hilfen für Geflüchtete aus der Ukraine. Das Bürgergeld halte zu viele Menschen aus der Ukraine in der Sozialhilfe fest, so der CSU-Mann.

"Wir brauchen stärkere Mitwirkungspflichten für Asylbewerber, wenn es um die Arbeitsaufnahme geht. Es muss ein Angebot auf Arbeit geben und dieses muss Teil einer Integrationsleistung sein", so Dobrindt.

Sind wirklich so viele Ukrainer in Deutschland arbeitslos?

Seit Kriegsbeginn im Februar 2022 hat sich die Bevölkerung mit ukrainischer Staatsangehörigkeit in Deutschland bis April 2024 um 1,1 Millionen auf rund 1,3 Millionen erhöht. Die Mehrheit der ukrainischen Kriegsflüchtlinge sind Frauen und Kinder. Von 855.415 Ukrainern im erwerbsfähigen Alter sind mit 541.927 knapp zwei Drittel weiblich, teilte die Bundesagentur für Arbeit auf Anfrage von tagesschau.de mit.

Im April lebten der Arbeitsagentur zufolge 289.000 Kinder und Jugendliche bis 15 Jahren und 117.000 Senioren ab 65 Jahren in Deutschland. Sie zählen als nicht erwerbsfähig.

Den Angaben zufolge bekamen nach aktuellem Datenstand im Februar 723.363 ukrainische Staatsangehörige Bürgergeld. Dazu zählen auch ukrainische Staatsangehörige, die bereits vor Kriegsbeginn nach Deutschland gekommen sind.

Unter den Bürgergeldempfängern waren im Februar 506.339 Menschen im erwerbsfähigen Alter, davon wiederum zwei Drittel weiblich (etwa 336.000) und ein Drittel männlich (etwa 170.000). 217.024 waren nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte - in der Regel Kinder, so die Arbeitsagentur.

Nach Angaben des Arbeitsministeriums arbeiten inzwischen 187.000 Ukrainerinnen und Ukrainer in einem regulären Job. Weitere 47.000 sind geringfügig beschäftigt, etwa in einem Minijob.

Wie genau ist das Bürgergeld für Ukrainer geregelt?

Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine können in Deutschland seit Juni 2022 Leistungen der Grundsicherung (damals noch Hartz IV, heute Bürgergeld) erhalten - anstelle der geringeren Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Darauf hatten sich damals Bund und Länder verständigt.

Begründet wurde die Änderung unter anderem damit, dass Flüchtlinge aus der Ukraine direkt Anspruch auf einen Aufenthaltstitel haben und keine Entscheidung wie bei Asylbewerbern abwarten müssten. Geflüchtete Ukrainer dürfen hierzulande auch arbeiten. Anspruch auf Bürgergeld haben sie wie üblich nur, wenn sie über kein oder nur ein geringes Einkommen verfügen.

Warum zahlt Deutschland Bürgergeld für Ukrainer?

Die grundsätzliche Entscheidung, Ukrainern und Ukrainerinnen in Deutschland das Bürgergeld zu zahlen, anstatt den geringeren Betrag nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, war politisch gewollt, nicht rechtlich zwingend.

Begründet wurde dies 2022 auch damit, dass Ukrainerinnen und Ukrainer anders als Asylbewerber direkten Zugang zum Arbeitsmarkt haben und das Bürgergeld als Nachfolge von ALG II eben auch von den Jobcentern verwaltet wird.

Sollte die politische Mehrheit hier wieder eine Kehrtwende vollziehen wollen, wäre das demzufolge europarechtlich wohl möglich. Die EU gewährt den Mitgliedsstaaten diesen Spielraum.

Könnte man Ukrainern die Sozialleistungen vollständig streichen?

Nein. Die Massenzustrom-Richtlinie der EU fordert ausdrücklich, dass Sozialleistungen gewährt werden. Aber selbst ohne die EU-rechtlichen Vorgaben wäre es in Deutschland nicht möglich, die Leistungen allzu niedrig oder gar auf Null zu setzen.

Das ergibt sich aus Artikel 1 des Grundgesetzes. Das dort verankerte Menschenwürdeprinzip gilt für alle Menschen, also ausdrücklich auch für Flüchtlinge. Eine ersatzlose Streichung von Sozialleistungen würde das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verletzen. Danach muss der Staat dafür Sorge tragen, dass den Menschen mindestens die Mittel zur Verfügung stehen, die sie für ein menschenwürdiges Dasein unbedingt brauchen.

Bei der Bestimmung des Existenzminimums steht dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zu. Es gibt aber die Vorgabe, dass die Leistungen fortlaufend realitätsgerecht bemessen werden müssen. Migrationspolitische Erwägungen könnten von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das Existenzminimum rechtfertigen, hat das Bundesverfassungsgericht entschieden.

Es geht also nicht, Leistungen an Asylbewerber und Flüchtlinge niedrig zu halten, um so Anreize für Migration zu vermeiden. "Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren", heißt es in der Entscheidung.

Deutschland muss also schon mit seinen eigenen Gesetzen diesen Anforderungen gerecht werden. Darunter dürfen die Leistungen für alle Flüchtlinge, also auch für diejenigen aus der Ukraine, nicht zurückfallen.

Ist Bürgergeld der falsche Anreiz für Ukrainer?

Dazu gibt es unterschiedliche Ansichten. Der deutsche Landkreistag findet die Regelung gegenüber Geflüchteten aus anderen Ländern ungerecht. Und die FDP sagt, dass ukrainische Geflüchtete wegen des Bürgergelds nicht genug Anreiz hätten, sich hier Arbeit zu suchen. Das wird häufig am Bürgergeld kritisiert, auch von der Union.

Der Unterschied zwischen Asylbewerberleistungen und Bürgergeld ist allerdings gar nicht so hoch. Bei einer alleinstehenden Person zum Beispiel beträgt die Differenz 103 Euro pro Monat. Ob der Anreiz dann höher wäre, arbeiten zu gehen, ist fraglich. Außerdem sind viele der ukrainischen Geflüchteten Frauen, oft mit kleinen Kindern, die gar nicht arbeiten gehen können.

Eine Umstellung würde viel Bürokratieaufwand bedeuten, der für die Länder und Kommunen kaum stemmbar wäre. Ein Sprecher der Bundesregierung hat bereits gesagt, dass die Regierung an der bisherigen Bürgergeld-Regelung für ukrainische Geflüchtete festhalten will.

Wie sollen Ukrainer in Arbeit kommen?

Im vergangenen Herbst hatte die Bundesregierung einen "Job-Turbo" angekündigt, um Geflüchteten mit Bleibeperspektive eine schnellere Vermittlung in Arbeit zu ermöglichen. Nach Angaben von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil konnten inzwischen 187.000 ukrainische Geflüchtete in eine sozialversicherungspflichtige Arbeit gebracht werden.

"Mein Ziel ist klar, dass wir diejenigen, die als Geflüchtete im Bürgergeld sind, nicht nur die ukrainischen Geflüchteten, besser und schnell in Arbeit bringen müssen", sagte der SPD-Politiker im Deutschlandfunk vor Bekanntwerden von Dobrindts Äußerungen.

Warum wird das Thema aktuell diskutiert?

Zuletzt hatten mehrere Länder-Innenminister verlangt, die Zahlung von Bürgergeld an ukrainische Kriegsflüchtlinge zu beenden und ihnen nur noch niedrigere Zahlungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zuzugestehen. Auch die FDP hatte das gefordert.

Die Bundesregierung hat das jedoch bereits abgelehnt und erklärt, an den Bürgergeld-Zahlungen für Ukrainerinnen und Ukrainer festhalten zu wollen.

Gibt es in der Ukraine "sichere Gebiete"?

Die ins EU-Parlament gewählte FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann wies den Vorstoß Dobrindts zurück. "Da sitzen Jungs im Warmen und diskutieren darüber, was in der Ukraine geht und was nicht geht", sagte Strack-Zimmermann im Deutschlandfunk. "Es gibt keine Ecke mehr in der Ukraine, die sicher ist", sagte sie mit Blick auf Dobrindts Äußerungen zu "sicheren Gebieten der West-Ukraine".

Auch aus der SPD gibt es scharfe Kritik. "Putin bombardiert immer wieder Ziele in der gesamten Ukraine. Hierhin will Dobrindt jetzt auch Frauen und Kinder zurückschicken, die möglicherweise ihren Vater bereits an der Front verloren haben", sagte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese der "Bild am Sonntag".

Aktive Kämpfe gibt es in der West-Ukraine nicht. Von der Front im Gebiet Charkiw ist die Großstadt Lwiw mehr als 800 Kilometer entfernt. Als sicher lässt sich die Region aber nur im Vergleich zum Osten und Süden des Landes bezeichnen, wo Drohnen, Raketenangriffe und in Frontnähe Artilleriebeschuss praktisch zum Alltag gehören. 

Millionen Binnenflüchtlinge sind aus dem Osten der Ukraine in sicherere Landesteile geflüchtet. Doch auch dort schlagen in gewissen Abständen weitreichende Raketen des russischen Militärs ein. Sie zielen meist auf Anlagen der Energieversorgung und richteten schon gewaltige Schäden an. Mit den Angriffen auf Kraftwerke ist dabei landesweit keine stabile Stromversorgung mehr gesichert. 

Mangelt es an Kinderbetreuung?

Strack-Zimmermann plädierte dafür, die Anstrengungen zu verstärken, um Ukrainerinnen und Ukrainer in Deutschland in Arbeit zu bringen. Dafür müssten die Kommunen es schaffen, dass die Kinder versorgt sind, um vor allem Frauen zu ermöglichen, arbeiten zu gehen. "Dass genug Arbeit da ist, ist gar keine Frage", sagte Strack-Zimmermann, die aus dem Bundestag ausscheidet und kürzlich den Vorsitz im Verteidigungsausschuss abgegeben hat.

Martin Rosemann, Arbeitsmarkt-Experte der SPD-Fraktion, verwies darauf, dass viele der Ukraine-Flüchtlinge alleinerziehende Mütter seien: "Die Hürden für ukrainische Geflüchtete beim Start ins Arbeitsleben liegen bei der fehlenden Kinderbetreuung, mangelnden Sprachkenntnissen und der langwierigen Anerkennung von Berufsabschlüssen." Den Vorschlag, sie aus dem Bürgergeld ins Asylverfahren zu packen, nannte er "populistischen Unsinn".

Wie äußern sich andere Politiker?

Auch Grünen-Chef Omid Nouripour lehnte die Vorschläge aus der Union ab. "Natürlich müssen wir die Ukrainer noch schneller in Arbeit bringen. Aber neue rechtliche Hürden, wie sie die CDU will, helfen da doch nicht, sie schaden."

Dobrindt schüre Vorurteile gegen Menschen aus der Ukraine, sagte der stellvertretende Grünen-Fraktionschef Andreas Audretsch der "Welt". Damit mache er das Geschäft Moskaus in Deutschland.

BSW-Chefin Sahra Wagenknecht sagte dagegen der "Welt": "Wer unseren Schutz in Anspruch nimmt, von dem kann man auch erwarten, dass er mit eigener Arbeit dazu beiträgt, die Kosten zu minimieren." Es empöre Bürger zu Recht, wenn in Dänemark mehr als 80 Prozent der Ukrainer arbeiteten, während es hierzulande ein Viertel sei. Entscheidend sei aber die Frage von Krieg und Frieden: "Sobald die Waffen schweigen, sollten die Menschen natürlich in ihre Heimat zurückkehren."

Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Karin Prien verwies auf die Ursache der Flucht. "Ukrainer fliehen vor Putins Terror und Putins Krieg. Selbstverständlich genießen sie unseren Schutz und unsere Gastfreundschaft", schrieb Schleswig-Holsteins Bildungsministerin auf der Plattform X.

"Die allermeisten aus der Ukraine geflüchteten Menschen wollen bei uns schnell Fuß fassen, arbeiten und sich auf den Wiederaufbau ihrer Heimat vorbereiten. Unsere Aufgabe muss sein, ihre Teilnahme am Arbeitsmarkt zu erleichtern", betonte Prien. Sie warf zugleich der Bundesregierung vor, hierbei zu versagen. Die Arbeitsmarktintegration müsse besser laufen. "Wir dürfen nicht das Lied von Putins Freunden singen, und diese geflüchteten Menschen zu einem Problem machen", so die CDU-Politikerin. 

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 23. Juni 2024 um 19:15 Uhr.