Franziska Brantner, Felix Banasza, Katharina Dröge und Britta Haßelmann
analyse

Verhandlungen zum Sondervermögen Grüne beim Taktieren

Stand: 11.03.2025 16:26 Uhr

Lehrbuchreife Verhandlungstaktik oder schon die neue Knallhart-Opposition? Die Grünen haben sich durch ihre vorläufige Absage zum Finanzpaket inhaltlichen Spielraum verschafft - und stecken trotzdem in einer Zwickmühle.

Eine Analyse von Corinna Emundts, tagesschau.de

Können die Grünen überhaupt schlussendlich Nein zum schwarz-roten Finanzpaket sagen, wenn es um Investitionen in Sicherheit und Infrastruktur geht? Wer den Grünen-Spitzenkandidat Robert Habeck noch im Ohr hat, kann nur zu dem Schluss kommen, dass Unions-Kanzlerkandidat und Wahlsieger Friedrich Merz jetzt zumindest grob das umsetzt, was Habeck wollte.

Vermutlich hat auch Merz gedacht, damit die Zustimmung der Grünen automatisch in der Tasche zu haben. Vor allem die Grünen braucht er an der Seite, wenn es um Zweidrittelmehrheiten im noch amtierenden alten Bundestag geht, aber auch im Bundesrat.

Es gebe mit den neuen Mehrheiten "keine verfassungsändernde Mehrheit mehr im Deutschen Bundestag - für eine Reform der Schuldenbremse, für Sicherheit oder auch für wirtschaftliche Ertüchtigung", stellte Habeck am Tag nach der Bundestagswahl fest. Er betonte: "Die ist aber nötig - Die Aufgaben sind so groß und so dramatisch und sie müssen schnell angegangen werden." Das konnte nur als Appell an Merz verstanden werden. Aus seiner Sicht hat er geliefert - so sehr, dass er selbst in eine Glaubwürdigkeitskrise gegenüber seines Finanzkurses im Wahlkampf gerät.

Fraktionschefin Haßelmann: "Appelle brauchen wir nicht!"

Nun ärgern sich die Grünen über Appelle von Merz, CSU-Chef Markus Söder und auch von der SPD-Spitze an ihre "staatspolitische Verantwortung" - und stellen sich zunächst quer, was das Finanzpaket angeht. Man solle nicht einfach nur an die staatspolitische Verantwortung appellieren, sagt die grüne Fraktionschefin Britta Haßelmann. "Die brauchen wir im Übrigen nicht, denn die besitzen wir." Das habe man in der Regierungsbeteiligung in den vergangenen Jahren wie in den "vielen Jahren davor bei zentralen, weitreichenden Entscheidungen im Deutschen Bundestag gezeigt".

Gerade deswegen könnte sich jetzt eine Glaubwürdigkeitslücke auch für die Grünen auftun, wenn sie nun Schwarz-Rot die Zustimmung für Investitionen vorenthalten, von denen sie selbst viele gefordert haben. Sie zeigen sich verhandlungsbereit - legen jedoch nicht offen, wie wichtig ihnen das Ziel ist, dass die Gespräche mit Union und SPD am Ende zu einem Finanzpaket mit alter Zweidrittelmehrheit führen.

Damit öffnen sie sich zumindest den größtmöglichen Spielraum für Verhandlungen. Das klingt nach Lehrbuch der Verhandlungspsychologie in punkto Hartnäckigkeit, um einen kreativen Lösungsweg mit mehr grüner Handschrift zu eröffnen.

Psychologe: "Klar taktisches Agieren"

Systematisch psychologisch analysiert, sei alles durchdacht, wie die Grünen vorgehen, sagt der Professor für Politische Psychologie an der Universität Lüneburg, Roman Tröschel. Es sei klar taktisches Agieren zu erkennen, indem sie Schwarz-Rot in den Abgrund des Scheiterns blicken lassen, was die aktuellen Pläne zum Finanzpaket angehe. Gerade so eröffnen sie sich den Spielraum, am Ende zustimmen zu können.

Erreicht haben sie etwa schon, dass sich die Verhandler der Union nun sehr respektvoll ihnen gegenüber äußern. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann bezeichnete die Änderungsvorschläge als "konstruktiv" und "nicht lebensfremd" und signalisierte damit ähnlich wie der Parlamentarische Geschäftsführer der Union, Thorsten Frei, in den tagesthemen, dass man darüber reden könne.

Von Linnemann war man andere Töne über die Grünen gewöhnt: "Die verunsichern das ganze Land", sagte er etwa noch im Frühsommer 2024 über die Grünen. Jetzt sind Union und SPD auf die Grünen angewiesen, obwohl sie nicht Teil der Koalitionsverhandlungen werden.

Doch ganz so einfach sei es für die grünen Verhandlerinnen und Verhandler nicht, sagt Psychologe Trötschel. Die Grünen befänden sich tatsächlich in einem Dilemma. Einerseits müssen sie auf ihre Reputation und Aufrichtigkeit achten - im Sinne der auch von ihnen hochgehaltenen staatspolitischen Verantwortung. Das hieße, nach erfolgreichen Verhandlungen mitzumachen, um selbst inhaltliche Akzente zu setzen, obwohl man in der Opposition gelandet ist.

Andererseits müssten sie jetzt mitdenken, dass ihnen auch schaden kann, was sie jetzt mittragen. Sei es, weil das Bundesverfassungsgericht Teile der Gesetze im Nachhinein kassiert - und sie nach der juristischen Haushaltspanne in der Ampelkoalition erneut auch als diejenigen da stünden, die unsaubere Politik mitverantworten. Sei es, weil sie in Teilen ihrer Anhängerschaft als Partei wahrgenommen werden, die immer nur zustimmt.

In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, Thorsten Frei sei Fraktionschef der Union. Das ist nicht korrekt. Thorsten Frei ist Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion. Wir haben die Stelle geändert und bitten um Entschuldigung.

Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen