Folgen der Haushaltskürzungen Weniger Geld für Hilfe in Syrien?
Hilfsorganisationen in Syrien versuchen, die Menschen im Bürgerkriegsland zu unterstützen. Drohende Budgetkürzungen im Haushalt der Bundesregierung setzen die Helfer aber unter Druck.
In den Tagen, bevor die Bundesregierung den Entwurf für den Haushalt 2025 bekanntgab, folgte für Mirna Abboud ein Termin dem nächsten. Sie war extra aus Syrien nach Berlin gereist, um deutlich zu machen, wie wichtig die deutsche Unterstützung für ihr Land ist.
Dort leitet die Syrerin alle Projekte der Hilfsorganisation "Help - Hilfe zur Selbsthilfe". Projekte, die vom Auswärtigen Amt und vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) zu einem großen Teil mitfinanziert werden. Dass ausgerechnet in diesen Bereichen nun drastisch gespart werden soll, beunruhigt Abboud.
Im Bundestag traf die 33-Jährige Abgeordnete. Auch im Auswärtigen Amt und im BMZ hatte sie Termine. Alle seien sehr interessiert gewesen. Manchen sei gar nicht klar gewesen, wie schlimm die Lage in Syrien immer noch sei.
Kürzung mit Folgen
Abboud hatte sich mit Zahlen gewappnet, um die Auswirkungen zu beschreiben, was der Sparzwang für ihre Organisation bedeuten würde. Sie müsste die Hilfe in diesem und dem kommenden Jahr um 34 Prozent kürzen.
Was das konkret heißt? Allein in Nordostsyrien würden 30.000 Menschen keine Hygieneartikel mehr bekommen, keine Windeln und auch keinen Zugang zu Sanitäreinrichtungen haben. 4.000 Kinder müssten auf Winterkleidung verzichten. 3.300 Menschen würden ohne Gesundheitsversorgung bleiben. Zahlen nur für eine Organisation und nur für einen Teil Syriens, aber Zahlen, mit denen die "Help"-Landesdirektorin Abboud hofft, der Not ein Gesicht zu geben.
Zwölf Millionen Menschen auf Hilfe angewiesen
Seit 2011 herrscht in Syrien Bürgerkrieg. Und dann noch das verheerende Erdbeben im Februar 2023. Millionen Menschen sind auf der Flucht. Millionen haben Zuflucht außerhalb des Landes gesucht, vor allem in der Türkei. Doch auch in Syrien selbst haben 7,2 Millionen Menschen ihre Heimat verloren, vertrieben durch Krieg und Katastrophen.
Zwölf Millionen Syrerinnen und Syrer sind derzeit auf humanitäre Hilfe angewiesen. Viele leben in Lagern. In fünf dieser Lager und in 40 Gemeinschaftsunterkünften ist "Help" allein für die gesamte Sanitärversorgung und Hygiene zuständig.
Deutschland hat viel investiert
Die Organisation, für die Abboud arbeitet, legt großen Wert darauf, neben der humanitären Hilfe auch Übergangshilfe zu leisten, zum Beispiel in der Landwirtschaft. Dort gibt es erste Erfolge. Menschen gehen zurück auf ihr Land.
Doch nun soll in beiden Bereichen gekürzt werden, bei der humanitären Hilfe wie beim Wiederaufbau. "Wenn dieser logische Weg durch Kürzungen unterbrochen wird, dann riskieren wir jeden Fortschritt, den wir gemacht haben, wieder zu verlieren, von einer Sekunde auf die nächste", so Abboud. "Wenn ein humanitäres Projekt gestoppt wird, werfen wir die Menschen in genau die Situation zurück, in der sie waren, bevor wir geholfen haben."
Deutschland habe in den vergangenen Jahren sehr viel investiert. "Wenn wir also jetzt über Mittelkürzungen reden, dann möchte ich uns alle einladen, sie nicht als Einsparungen zu sehen, sondern als Verschwendung. Eine Verschwendung all der Gelder, Anstrengungen und der Entwicklung, die Syrien zugutekamen."
Aus dem Fokus geraten?
Aus den zuständigen Ministerien heißt es in diesen Tagen oft, man müsse angesichts der Haushaltslage priorisieren. Die Hilfen für die Ukraine und für Gaza scheinen gesetzt. Syrien dagegen, so der Eindruck von Mirna Abboud, ist aus dem Fokus geraten.
Das zeigt sich daran, dass auch große internationale Organisationen wie das Welternährungsprogramm ihre Hilfen für Syrien bereits reduzieren müssen. So wurde das Nahrungsmittelprogramm zuerst drastisch verkleinert und Ende 2023 ganz aufgegeben. Inzwischen gibt es ein neues, viel kleineres Programm, das aber nur eine Million Menschen erreicht. Anfang 2023 wurden noch 5,5 Millionen Syrer unterstützt. Der Grund dafür sind höhere Kosten für Nahrungsmittel, aber eben auch fehlende Zuwendungen von Gebern.
In vielen Ländern, die traditionell Geber für das Welternährungsprogramm sind, wurden die Mittel für humanitäre Hilfe und Entwicklung drastisch gekürzt. Das wirkt sich aus. Die Organisation fürchtet in diesem Jahr zum zweiten Mal eine Finanzierungslücke von bis zu 60 Prozent.
"Triage ist der Normalfall"
Martin Frick, der Leiter des Berliner Büros des Welternährungsprogramms, sieht in der Priorisierung der Notlagen in einzelnen Regionen oder Ländern eine verheerende Entwicklung:
Nothilfe sollte sich daran orientieren, wer dringend Hilfe benötigt. Leider ist aber die Triage der Normalfall. Die direkten Konsequenzen dessen sehen wir in Syrien schon jetzt. Die Verzweiflung der hungerleidenden Familien führt zu Kinderehen, Kinderarbeit, Betteln oder gar Überlebenssex im Austausch für Nahrungsmittel. Langfristig zerstören Hunger und Not den sozialen Kitt in Gesellschaften. Das stärkt Kriminelle, Extremisten und schürt Konflikte in einer Region, die jetzt schon Pulverfass ist.
Auch das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, so zumindest die Erfahrung der Organisation "Help", hat weniger Mittel für Syrien zur Verfügung als in den vergangenen Jahren. Das UNHCR koordiniert in Syrien die Hilfe mit sogenannten "non-food items" - also Hilfsgüter, die keine Nahrungsmittel sind. Das bedeutet, dass das Hilfswerk auch darüber entscheidet, welche konkreten Hilfen kleinere Organisationen leisten.
Die finanzielle Situation ist auf allen Ebenen schwierig. Auch private Spenden gehen zurück. Der Grund aus Abbouds Sicht: Es gebe immer weniger Berichterstattung über Syrien. Ihre große Sorge ist, dass noch mehr Menschen das Land verlassen.
Menschen im Land halten
Um sie im Land zu halten, brauchen sie - davon ist die Syrerin überzeugt - Stabilität und eine Perspektive, "das Ende des Tunnels, das wir noch nicht sehen, aber wir versuchen, uns daran zu erinnern, wie es aussah." Man müsse ihre Lebensbedingungen verbessern, ihnen das Gefühl von Sicherheit in Syrien zurückgeben, dann würden die Menschen auch nicht mehr weggehen, nach Deutschland oder woanders hin.
"Was ich als Syrerin den Deutschen sagen will, ist, wenn wir einen minimalen Lebensstandard haben und in der Lage sind, in unserem Land zu überleben, dann wird niemand seine Heimat verlassen, sich auf einen sehr riskanten Weg machen und wieder bei Null anfangen."
Statt darüber zu reden, die Menschen zurückzuschicken, solle man erst einmal versuchen, denen, die so lange in Syrien überlebt haben, zu helfen. Deshalb setze ihre Organisation auf stabilere Lebensverhältnisse im Land. Sie versorgen die Menschen auf dem Land mit Schafen und Hühnern, verteilen Saatgut, beraten, um weitere Tiere zu züchten, unterstützen beim Bau von Dämmen gegen Überflutungen und vieles mehr. Doch all das werde auf den Prüfstand kommen, wenn die Gelder für solche Projekte gekürzt werden.
Abboud weiß, es wird noch dauern, bis "Help" die genauen Zahlen kennt. Erst einmal muss der Entwurf ins Parlament. Sie hofft, dass sich dann die Abgeordneten, die sie in Berlin getroffen hat, daran erinnern, wie dringend Syrien weiterhin Hilfe benötigt.