Pläne für Verteidigungsetat Lindners Neun-Milliarden-Gedankenspiel
Nichts zu verteilen, aber hoher Investitionsbedarf: Finanzminister Lindner regt an, die Corona-Schulden später zu tilgen und damit den Verteidigungsetat zu stärken. Und reizt damit die Ampelpartner.
Lange hat die Bundesregierung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts um ihre Finanzen gerungen. Der fiskalpolitische Blick in die Zukunft sah zuletzt durch multiple Krisen gedämpft aus: Die Wirtschaft schwächelt, gleichzeitig muss die Bundeswehr langfristig besser ausgestattet werden.
Mit einem optimistischen Blick in die Zukunft hat sich Finanzminister Christian Lindner nun über die Ostertage zu Wort gemeldet. In einem von mehreren Vorstößen sagte er der Nachrichtenagentur dpa, er sehe ab 2028 einen Spielraum von bis zu neun Milliarden Euro zur Aufstockung des Verteidigungsetats.
Neuverschuldung soll gedrückt werden
Sollte die Neuverschuldung der Bundesrepublik bei disziplinierter Haushaltsführung dann nämlich unter den vorgeschriebenen 60 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen, könnte man den Tilgungsplan zur Rückzahlung der in der Coronakrise aufgenommenen Kredite anpassen - soweit Lindners Überlegungen.
Ein durchaus realistisches Szenario, denn die Quote ist laut Bundesfinanzministerium nach einem Stand von 69 Prozent im Jahr 2021 bereits auf 63 Prozent gesunken. Das Grundgesetz sehe vor, die Rückzahlung solcher Kredite müsse über einen "angemessenen Zeitraum" erfolgen - ein dehnbarer Begriff, aber entscheiden müsste am Ende der Bundestag.
Gemischte Reaktionen in der SPD
Vom Ampelpartner SPD kommen gemischte Reaktionen auf Lindners Neun-Milliarden-Gedankenspiel. Deren haushaltspolitischer Sprecher Dennis Rohde begrüßt den Vorschlag des Finanzministers: Es sei "volkswirtschaftlich sinnvoll, die Frage der Tilgung von Schulden stets in der haushalterischen Gesamtsituation zu beurteilen", sagte Rohde dem ARD-Hauptstadtstudio. Also: Sollte die deutsche Schuldenquote 2028 unter 60 Prozent liegen, könnte man mit der Tilgung der Pandemie-Schulden auch später beginnen - und die frei werdenden Mittel in Sicherheit und Verteidigung stecken: "Die Modernisierung unserer Bundeswehr muss weiter auf Rekordtempo gehalten und die NATO-Ziele im Bundeshaushalt stringent verfolgt werden."
Dagegen sagt Rohdes Fraktionskollege, der SPD-Haushaltspolitiker Andreas Schwarz, die von Lindner ins Spiel gebrachten neun Milliarden Euro seien "nicht mal im Ansatz" genug. Im Gespräch mit der Mediengruppe Bayern argumentiert Schwarz, das Geld im Bundeshaushalt für Sicherheit und Verteidigung dürfe nicht von Corona-Tilgungen abhängig sein. Sonst sende man "das falsche Zeichen an Putin und unsere Bündnispartner."
Grüne erkennen ihren eigenen Vorschlag wieder
Der haushaltspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Sven-Christian Kindler, betont, dass es sich bei Lindners Vorstoß um einen alten Vorschlag seiner Partei handele. Denn die Grünen hätten bereits 2021 angeregt, die Tilgung der Notkredite zu strecken. Allerdings löse das "die grundsätzlichen Probleme im Haushalt" nicht, so Kindler gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio.
Auch die Schuldenbremse ist wieder Thema
Stattdessen fordert Kindler erneut, über eine Lockerung der Schuldenbremse zu verhandeln, denn Deutschland habe auf der einen Seite eine der niedrigsten Schuldenquoten aller Industrieländer weltweit, aber gleichzeitig ein großes Investitionsdefizit und stehe vor einer großen ökonomischen und ökologischen Transformation. "Wir legen uns sonst ein viel zu enges Korsett an, das uns langsam die Luft zum Atmen nimmt", sagt Kindler. "Wir wissen, in Krisenzeiten verstärkt ein harter Sparkurs die gesellschaftlichen Konflikte und verlängert die wirtschaftliche Krise."
Und damit verschiebt der Grünen-Haushälter Kindler die Debatte in eine Richtung, in der sie Lindner partout nicht haben wollte. Erst am Osterwochenende hatte der FDP-Minister seine Koalitionspartner dazu aufgerufen, die Schuldenbremse - so etwas wie die heilige Kuh der FDP - zu akzeptieren und am besten bis zur Bundestagswahl 2025 nicht mehr darüber zu streiten. Der dpa sagte Lindner: "Für das Außenbild der Koalition ist diese permanente Uneinigkeit schädlich."
Ein Appell, der in den zurückliegenden zwei Jahren schon häufig zu hören war - und ähnlich häufig ignoriert wurde.