Kritik an Novelle Steinmeier unterschreibt neues Klimaschutzgesetz
65 Prozent weniger CO2 bis 2030 hat sich Deutschland mit dem Klimaschutzgesetz vorgenommen. Doch durch das neue Gesetz, das der Bundespräsident heute unterschrieben hat, ändert sich ein zentraler Baustein. Ein Überblick.
- Was ist das Klimaschutzgesetz?
- Was ändert sich nun mit dem neuen Gesetz?
- Wie lauten die deutschen Klimaziele?
- Wie sehen Experten das neue Klimaschutzgesetz?
- Wie stehen Umweltverbände dazu?
- Wie sieht die deutsche Industrie die Gesetzesnovelle?
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat das von Umweltverbänden scharf kritisierte neue Klimaschutzgesetz unterschrieben. Es kann damit nach seiner Veröffentlichung in Kraft treten.
Das Gesetz war vom Bundestag Ende April beschlossen worden und hatte Mitte Mai den Bundesrat passiert. Die Prüfung des Gesetzes auf seine Verfassungsmäßigkeit durch das Bundespräsidialamt dauerte ungewöhnlich lang.
Was ist das Klimaschutzgesetz?
Mit dem Klimaschutzgesetz wurden im Jahr 2019 die Klimaschutzziele in Deutschland erstmals verbindlich geregelt. Verantwortlich für die Regelung war die damals regierende Große Koalition mit Kanzlerin Angela Merkel. Für einzelne Sektoren wie Industrie, Energiewirtschaft, Verkehr und Gebäude wurden bis 2030 zulässige Jahresemissionsmengen festgelegt.
Kernpunkt war folgender Mechanismus: Wenn Sektoren Vorgaben verfehlen, müssen die zuständigen Ressorts der Bundesregierung in Form von Sofortprogrammen nachsteuern - um die Einhaltung der Emissionsmengen sicherzustellen.
2022 überschritten die Sektoren Gebäude und Verkehr die gesetzlichen Zielwerte. 2023 verfehlte der Verkehrssektor die Ziele erneut deutlich, der Gebäudesektor dagegen nur knapp.
Die Regierung legte ein generelles Klimaschutzprogramm vor, damit eine "Klimalücke" beim Einsparen von Treibhausgasen kleiner wird - und sah damit die Pflicht zum Nachsteuern im Verkehr und bei Gebäuden als erfüllt an.
Was ändert sich nun mit dem neuen Gesetz?
Nach der Novelle soll es künftig eine mehrjährige und sektorenübergreifende Gesamtbetrachtung des Treibhausgasausstoßes geben. Dieser soll dort gemindert werden, wo die größten Einsparpotenziale liegen. Damit entfällt die bisherige sektorale Betrachtungsweise. Davon profitiert vor allem Bundesverkehrsminister Volker Wissing, weil der Verkehrssektor seine Klimaziele bisher nie erreicht hat.
Für Wissing kommt die Ausfertigung der Gesetzesnovelle in letzter Minute. Wäre sie nicht erfolgt, hätte der FDP-Politiker noch heute ein Sofortprogramm für mehr Klimaschutz im Verkehrsbereich vorlegen müssen.
An den Klimazielen selbst ändert die Novelle nichts. Mit der Reform des Klimaschutzgesetzes folgt die Ampelkoalition dem Beispiel anderer Länder mit Klimaschutzgesetzen wie Großbritannien, Finnland oder Schweden. Auch dort sind nur Gesamteinsparungen festgehalten - jahresgenaue, gesetzlich verbindliche Sektorziele jedoch nicht.
Wie lauten die deutschen Klimaziele?
Bis 2030 will Deutschland 65 Prozent Treibhausgase weniger ausstoßen als 1990. Zurzeit beträgt die Minderung laut Umweltbundesamt rund 41 Prozent. Bis 2045 will Deutschland dem selbst gesteckten Ziel zufolge klimaneutral sein, also nicht mehr Treibhausgase ausstoßen, als auch wieder gebunden werden können.
Wie sehen Experten das neue Klimaschutzgesetz?
Der Expertenrat für Klimafragen hatte zuletzt im April festgestellt, dass der Verkehrssektor sein jährliches Ziel erneut verfehlt und deutlich mehr Treibhausgase ausgestoßen hat als vorgesehen.
Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Kemfert sagte im Interview mit den tagesthemen, man werde "in der Tat die Klimaziele bis 2030 nicht erreichen können, wenn man nicht einen Mechanismus findet, wo man nachsteuert". Sie sei sehr pessimistisch und kritisiere das auch sehr, sehr deutlich. Die Gefahr sei sehr groß, "dass wir mit diesem wertvollen Sektorenmechanismus, den wir in der Vergangenheit hatten, ein sehr wertvolles Instrument aus der Hand geben".
Wie stehen Umweltverbände dazu?
Umweltschutzverbände sehen in der Änderung eine Entkernung des ursprünglichen Klimaschutzgesetzes und fürchten, dass Deutschland seine Klimaziele damit nicht einhalten kann. Im Juni hatten die Deutsche Umwelthilfe, Germanwatch, Greenpeace, der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und der Solarenergie-Förderverein Verfassungsbeschwerden angekündigt.
Die Deutsche Umwelthilfe hatte Steinmeier aufgefordert, die Unterschrift unter dem Gesetz zu verweigern. Der Verband schickte nach eigenen Angaben ein 18-Seiten-Schreiben an den Bundespräsidenten, in dem er die aus seiner Sicht bestehenden Verfassungsverstöße in dem Gesetz dokumentierte.
Die Bewegung "Fridays for Future" kritisierte bereits im Herbst, das Klimaschutzgesetz solle durch die de-facto-Abschaffung der Sektorziele um sein Herzstück beraubt werden.
Greenpeace-Sprecher Thilo Maack sagte: "Deutschland hängt beim Klimaschutz nachweislich hinterher, und dieses Klimaschutzgesetz will das Tempo weiter drosseln - das darf nicht passieren." Die Klimakrise sei zu gefährlich, um die nötigen Maßnahmen mit langwierigen Überprüfungen weiter auszusitzen. "Wenn das Haus brennt, braucht man kein Thermometer, man braucht dann einen Feuerlöscher."
Die Politische Geschäftsleiterin der Klima-Allianz Deutschland, Stefanie Langkamp, sagte, das Klimaschutzgesetz müsse gestärkt und nicht geschwächt werden. Ein Rechtsbruch jage den nächsten. Die Sektoren Verkehr und Gebäude hätten wiederholt Ziele gebrochen, ohne dass die Regierung ernsthaft nachgelegt habe. Das sei "absolut inakzeptabel".
BUND-Energieexperte Oliver Powalla sagte, mit der geplanten Abschaffung der Sektorziele verliere das Klimaschutzgesetz seine bisherige Stärke. Eine Gesamtrechnung verschleiere den Handlungsdruck in den Sektoren.
Wie sieht die deutsche Industrie die Gesetzesnovelle?
Kritik kam im Herbst auch vom Bundesverband der Deutschen Industrie - aber mit einem anderen Fokus. Der stellvertretende Hauptgeschäftsführer Holger Lösch sagte, die Bundesregierung bestätige mit der Novelle des Gesetzes erneut die "sehr ehrgeizigen" Klimaziele Deutschlands. "Unklar bleibt jedoch weiterhin, wie diese Ziele erreicht werden sollen."
Die hohen Energiekosten seien eine enorme Belastung für die Industrie. "Die Bundesregierung muss schnell abgestimmte Antworten finden, um die drohenden Verlagerungen von Investitionen und Produktion ins Ausland zu verhindern."