Rückzug aus dem Amt Wenn Politik krank macht
Immer erreichbar sein, Niederlagen erklären, Stärke zeigen: Politikeralltag ist oft hart. Jüngst zog sich SPD-Generalsekretär Kühnert aus Gesundheitsgründen zurück. Einblicke in eine Welt, die krank machen kann.
Es sind nur wenige Tage vor seinem Rücktritt: Kevin Kühnert sitzt im Talkshow-Stuhl bei Markus Lanz. Der setzt zur Begrüßung an, Kühnert soll mal wieder Wahlergebnisse erklären. Schon beim "Hallo" wirkt der SPD-Politiker müde. Generalsekretäre müssen immer Antworten geben. Morgens im Morgenmagazin und abends in den tagesthemen. Der Tag ist immer zu kurz und die Zeit reicht nie.
"Also die 40 Stunden sind am Mittwoch rum", sagt einer, der es wissen muss. Peter Tauber war auch mal Generalsekretär - gut vier Jahre für die CDU. Das sei kein "Nine-to-five-Job". Ein Wochenende gebe es in der Regel nicht. "Irgendeiner sagt was Dummes. Irgendeiner zündet ein Feuer an. Da können Sie nicht sagen, heute ist Samstag." Man müsse immer erreichbar sein, erzählt Tauber. Und er sagt heute ehrlich, er habe den Zeitpunkt verpasst, habe Warnsignale ignoriert. "Insofern war der Kevin klüger als ich."
"Es ging nicht mehr"
Eines Morgens um drei Uhr lag Tauber mit starken Schmerzen zu Hause und war eigentlich um sechs Uhr für ein Interview verabredet. "Es ging nicht mehr. Ich muss den Notarzt rufen." Peter Tauber hat eine schwere Darmentzündung. Krankenhaus und mehrere Operationen folgen.
Heute hat er sich ganz zurückgezogen aus der Berufspolitik. Und mit Abstand wirkt manches seltsam auch auf ihn. Besonders Wahlabende.
Lieblingsbeispiel: Die Berliner Runde - wenn er Niederlagen erklären muss. "Da setzen Sie sich ja nicht hin und sagen: falscher Kandidat." Schließlich hätten die Leute ehrenamtlich Wahlkampf gemacht, denen könne er nicht vor laufender Kamera auf die Nase hauen. "Sondern dann sagen Sie, die haben ja gut gekämpft. Und ich danke unseren Mitgliedern, obwohl das Wahlergebnis desaströs ist. Dass jeder Außenstehende sagt: Was erzählt der denn da?"
Peter Tauber (Foto von 2020) war etwa vier Jahre CDU-Generalsekretär - heute hat er sich aus der Berufspolitik zurückgezogen.
Immer wieder Wahlergebnisse erklären
So ein Gefühl dürfte auch Ricarda Lang kennen. Noch ist sie Grünen-Chefin, und auch sie musste zuletzt immer wieder schlechte Wahlergebnisse erklären - zum Beispiel für die eigenen Social-Media-Kanäle. "Und ich stand da vor der Kamera und habe zum Team gesagt: 'Ganz ehrlich: Ich habe keinen Bock, mich hier jetzt hinzustellen und zu sagen: Wir müssen nur 1, 2, 3 machen und dann wird alles wieder gut'", erzählt sie in einer ARD-Dokumentation.
Zugeben, dass es nicht einfach ist. Ricarda Lang kann das nun. Denn sie hat kurze Zeit später erklärt, dass sie sich von der Grünen-Spitze zurückzieht.
Furcht vor dem Machtverlust
Schwäche zeigen, krank sein. Das kann Macht kosten, fürchten viele. 1989 muss der damalige Bundeskanzler und CDU-Chef Helmut Kohl um die Macht fürchten. Auf dem Parteitag in Bremen läuft ein Putsch gegen ihn. Kohl müsste eigentlich zum Arzt, hält aber unter starken Schmerzen durch und gewinnt den Machtkampf. Es ging wohl in seinen Augen nicht, zuzugeben, dass er krank ist.
So sieht es später auch Peter Struck, der Bundesverteidigungsminister von der SPD. Im Amt erleidet er einen Schlaganfall, den er sogar vor Kanzler Gerhard Schröder zunächst verheimlicht.
Merkels Zittern
Doch, dass die Kraft nicht reicht, lässt sich nicht immer verstecken. 2019 empfängt Bundeskanzlerin Angela Merkel den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Militärische Ehren vor dem Kanzleramt. Als die deutsche Hymne gespielt wird und die Kameras auf Merkel gerichtet sind, beginnt sie zu zittern. Ihr gehe es gut und man müsse sich keine Sorgen machen, sagt sie kurz danach. Das Thema wird abgehakt, bis die Kanzlerin erneut zittert und sie bei den Hymnen nun sitzen bleibt.
Erst Jahre später - da ist sie nicht mehr im Amt - erklärt sich Merkel: Sie sei erschöpft gewesen nach dem Tod ihrer Mutter und habe zu wenig getrunken. "Und zum Schluss war es dann auch schon so eine Art Angst: Wenn überhaupt wieder so eine Situation auftrat."
Überzeugungstäter in der Politik
Auch Manuela Schwesig war krank. Mit Krebs zieht sie sich 2019 aus der Bundespolitik zurück. Und bleibt Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern. Der Rücktritt von Kühnert lässt sie nicht kalt. Sie spricht in der ARD-Sendung maischberger von Überzeugungstätern in der Politik. "Man muss sich das so vorstellen, wie mit einem Fußallverein. Vielleicht nicht inhaltlich vergleichbar, sondern vom Gefühl her."
Überzeugungstäter, das war der CDU-Politiker Tauber. Wer in die Politik gehe, müsse robust sein, das sagt auch er. Aber er gibt zu, nicht wirklich geahnt zu haben, was auf ihn zukommt. "Da hätte es mir geholfen, wenn bei meiner ersten Wahl in den Deutschen Bundestag mir einer nicht nur gezeigt hätte, wo steht der Kopierer".
Besser wäre Ehrlichkeit gewesen. Zu sagen: Wie viel Zeit der Job als Berufspolitiker koste und dass man ständig beobachtet werde. "Du musst lernen, dir selbst Pausen zu geben, weil die Politik macht keine Pause", sagt er. Wichtig sei es, auf sich selbst zu achten. Tauber hat das gemacht. Führt heute ein anderes Leben - jenseits der Politik. Eine Rückkehr in die erste Reihe plant er nicht.