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Orientierungsdebatte im Bundestag Wie die Sterbehilfe geregelt werden soll

Stand: 18.05.2022 11:10 Uhr

Die Sterbehilfe muss nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts neu geregelt werden. Heute debattiert der Bundestag darüber. Welche Ideen gibt es? Und wann kommt das neue Gesetz?

Von Pit Kröger, ARD-Hauptstadtstudio

Wie darf Menschen bei einem Suizid geholfen werden? Vor zwei Jahren stellte das Bundesverfassungsgericht klar, dass jeder Mensch das Recht auf selbstbestimmtes Sterben hat und dabei auch Hilfe in Anspruch nehmen darf.

Seitdem diskutiert der Bundestag über eine Neuregelung der Sterbehilfe. In der vergangenen Legislaturperiode kamen die Abgeordneten nicht mehr zu einem Ergebnis. Heute wird in einer weiteren Orientierungsdebatte ein neuer Versuch gewagt.

Bundestag will Sterbehilfe gesetzlich neu regeln

Jakob Schaumann, ARD Berlin, tagesschau 17:00 Uhr

Worum geht es in der Orientierungsdebatte?

Seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2020 ist die sogenannte geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung nicht mehr gesetzlich verboten. Die Richter hatten argumentiert, dass jeder Mensch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben hat und dabei auch die freiwillige Hilfe Dritter in Anspruch nehmen kann. Damit erklärten sie den Paragrafen 217 im Strafgesetzbuch für nichtig. Dieser hatte bisher geregelt, dass Menschen, die wiederholt anderen bei der Durchführung ihres Suizidwunsches halfen, eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bekommen konnten.

In dem Urteil machten die Richter aber auch klar, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit hat, die Suizidhilfe zu regulieren. Viele Abgeordnete versuchten daraufhin in fraktionsübergreifenden Gruppen mehrere Gesetzentwürfe auf den Weg zu bringen. Keiner hatte in der letzten Legislaturperiode Erfolg.

Nun soll möglichst früh eine erneute Diskussion angeregt werden. Die Orientierungsdebatte können die neuen Abgeordneten im Bundestag dazu nutzen, sich eine Meinung zum Thema zu bilden.

Was ist mit geschäftsmäßiger Sterbehilfe gemeint?

Wenn Menschen, die sterben möchten, über einen Arzt, eine Organisation oder einen Verein ein tödliches Medikament bekommen möchten, dann wird allgemein von "geschäftsmäßiger“ Sterbehilfe gesprochen. Dabei geht es nicht darum, ob Gewinne erzielt werden, sondern ob die Sterbehilfe auf Wiederholung angelegt ist.

Wenn Angehörige und Nahestehende bei dem frei verantwortlichen Suizid helfen, ohne der sterbewilligen Person aktiv das Medikament zu verabreichen, handelt es sich um keine gewerbsmäßige Sterbehilfe. Hier wird von einer einmaligen Handlung ausgegangen.

Philipp von Trott, Palliativteam Hochtaunus, zur Neuregelung der Sterbehilfe in Deutschland

tagesschau24

Warum war die geschäftsmäßige Sterbehilfe verboten?

Der Gesetzgeber wollte mit dem Verbot einer Kommerzialisierung der Sterbehilfe entgegenwirken. Der Bundestag entschied sich deshalb 2015 dafür, die geschäftsmäßige Sterbehilfe zu verbieten. Ein Grund war auch die Sorge, dass sich der begleitete Suizid immer weiter verbreiten und ein Eindruck von Normalität entstehen könnte. Schwerstkranke und alte Menschen könnten sich dadurch unter Druck gesetzt fühlen, ihrem Leben vorzeitig ein Ende zu setzen.

Da sich eine kontroverse Debatte entwickelt hatte, war die Abstimmung im Bundestag zur Gewissensfrage erklärt worden. Die Abgeordneten waren somit nicht an die Fraktionsdisziplin gebunden und stimmten so ab, wie sie es ganz persönlich für richtig hielten.

Welche Ideen gibt es für eine gesetzliche Neuregelung?

In drei fraktionsübergreifenden Gruppen wurden in den vergangenen Monaten Gesetzentwürfe erarbeitet. In diesen wird vor allem geklärt, wie sichergestellt werden kann, dass Sterbewillige eine selbstbestimmte Entscheidung treffen.

Der wohl liberalste Vorschlag kommt von der FDP-Politikerin Katrin Helling-Plahr, Abgeordneten der SPD, der Linken und weiterer Parlamentarier der Liberalen. Dieser sieht vor, ein deutschlandweites Netz von Beratungsstellen zu schaffen, die sterbewillige Menschen auf ihrem Weg begleiten sollen. Durch eine Frist von zehn Tagen nach einem Beratungsgespräch soll ausgeschlossen werden, dass der Sterbewunsch nicht selbstbestimmt oder aufgrund einer schweren Episode im Leben gefasst wurde.

Ein zweiter Gesetzesentwurf, den unter anderem Renate Künast von den Grünen unterstützt, sieht eine striktere Regelung vor. So soll grundsätzlich differenziert werden, ob die Betroffenen ihren Tod wegen einer schweren Krankheit anstreben oder aus anderen Gründen.

Für Ersteres gilt, dass zwei Ärzte unabhängig voneinander klar bezeugen müssen, dass es einen nicht veränderlichen Sterbewillen gibt. Nach zwei Wochen dürfte die Person dann ein Betäubungsmittel erhalten. Den Zugang darüber möchte die Gruppe in einem eigenen Gesetz regeln. Bei Menschen, die aus anderen Gründen den Wunsch äußern zu sterben, müsse es eine langfristige Dokumentation des Suizidwillens geben, fordern die Abgeordneten in ihrem Vorschlag.

Am strengsten ist der Entwurf des SPD-Politikers Lars Castellucci. Er und seine Kolleginnen und Kollegen aus Union, SPD, FDP, Grünen und Linken möchten die geschäftsmäßige Sterbehilfe grundsätzlich wieder strafbar machen und im Strafgesetzbuch regeln.

Wie vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts soll es für geschäftsmäßige Sterbehilfe bis zu drei Jahre Haft geben. Allerdings möchte die Gruppe über Ausnahmen dennoch einen Weg für sterbewillige Personen offenhalten. So müssten diese drei Beratungsgespräche führen und eine Frist von drei Monaten einhalten, um nachzuweisen, dass es einen selbstbestimmten Sterbewunsch gibt.

Wann kann mit einem neuen Gesetz gerechnet werden?

Die Orientierungsdebatte im Bundestag dient zur Meinungsbildung für die Abgeordneten. So werden heute noch keine konkreten Gesetzesentwürfe besprochen. Aus den verantwortlichen fraktionsübergreifenden Gruppen hört man aber den Wunsch, rund um die Sommerpause des Bundestages ein Gesetz auf den Weg zu bringen. Die Abgeordneten hoffen dann auf eine Neuregelung der Sterbehilfe bis zum Ende des Jahres.

Hans-Joachim Vieweger, Hans-Joachim Vieweger, ARD Berlin, 18.05.2022 11:20 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk Kultur am 18. Mai 2022 um 05:05 Uhr.